Blindenschrift auf Tablettenverpackung.© fotojog / iStock / Getty Images Plus
Um die Packungen zu unterscheiden, können den Kunden Markierungen angeboten werden.

Besonderer Beratungsfall

SEHBEHINDERTE KUND*INNEN IN DER APOTHEKE

Menschen, die sehr schlecht sehen können oder gar völlig erblindet sind, brauchen Ihre besondere Aufmerksamkeit. Bei der Beratung müssen Sie den Tast- und den Gehörsinn Ihrer Kund*innen ansprechen – das kann zur Herausforderung im Alltag werden.

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Schätzung und Hochrechnungen gehen von rund 1,2 Millionen blinden und stark sehbehinderten Menschen in Deutschland aus. Dazu zählen die Menschen, die im Alter unter fortschreitenden altersbedingten Augenerkrankungen, wie zum Beispiel einer Makuladegeneration oder Netzhautablösung, leiden und zunehmend schlecht sehen können.

Aber auch jüngere Kund*innen, die zum Beispiel von Geburt an blind sind, gehören zu dieser besonderen Gruppe. Es wird unterschieden zwischen Blindheit, wenn also das Augenlicht vollständig fehlt, oder einer Sehbeeinträchtigung, eingeteilt von leicht bis hochgradig.

Vor allem Senior*innen in der Kommunikation überfordert

Junge Menschen, die seit der Kindheit nicht sehen können, gehen mit ihrer Erkrankung oft sehr souverän um, arbeiten in Berufen und sind komplett selbstständig. Sie kennen und nutzen digitale Hilfen und haben ihren Alltag organisiert. Die Kommunikation läuft meist gut, denn sie haben gelernt mit der Behinderung zu leben. 

Wenn auch das Gehör nicht mehr so kann, wie es soll, dann wird Kommunikation eine echte Herausforderung.

Die älteren multimorbiden Patient*innen, deren Sehkraft sich fortschreitend verschlechtert, brauchen jedoch noch mehr Unterstützung. Zum einen kennen sie die Hilfsmöglichkeiten technischer Geräte nicht, zum anderen belasten die Einschränkungen sie psychisch, weil man nicht mehr lesen oder fernsehen kann. Vielfach sind diese Menschen auch noch durch verschiedene weitere Erkrankungen beeinträchtigt.

Apotheke sehbehindertengerecht gestalten

Wer nicht sieht, braucht im Alltag Orientierungshilfen. Die Betroffenen nutzen oft einen Blindenstock oder werden von einem Hund begleitet, das sollte auch in der Apotheke möglich sein. Den eigenen Wohnraum kennt man, da liegt alles an seiner definierten Stelle. Aber wenn in der Stamm-Apotheke die Verkaufsschütten umgeräumt wurden, kann das zu Irritation führen. 

Ein barrierefreier Zugang der Apotheke durch eine automatische Tür ist für diese Patient*innen ein großer Vorteil. Die Verkehrswege in der Apotheke zu den HV-Tischen sollen frei zugänglich und übersichtlich sein. Wichtig ist auch, dass die Akustik in der Apotheke eine gute Dämpfung hat, sodass das gesagte Wort auch bei mehreren Beratungsgesprächen parallel gut verstanden wird. 

Persönliche Begegnung in der Beratung

Wenn Sie mit Blinden kommunizieren, müssen Sie sensibel vorgehen. Floskeln, die sich auf das Sehen beziehen, wie „Das zeige ich Ihnen jetzt. Möchten Sie die Tabletten einmal anschauen? Möchten Sie etwas zu lesen mitnehmen?“ sind unpassend und wirken schnell unsensibel. Das ist nicht generell der Fall, sollte aber mit Fingerspitzengefühl berücksichtigt werden. 

Wenn ein blinder Kunde oder eine Kundin mit einer Begleitperson in die Apotheke kommt, sollte trotzdem die sehbehinderte Person direkt angesprochen werden. Stellen Sie sich genau gegenüber, schauen Sie den Kunden oder die Kundin an und sprechen Sie ihn oder sie auch klar an. Es ist kein gutes Gefühl für Betroffene, wenn über sie und nicht mit ihnen gesprochen wird. Mit dieser Art der Kommunikation äußert der Beratende seine Wertschätzung, die Behinderung tritt in den Hintergrund. 

Bei der Belieferung von Rezepten sollte vorgelesen werden, was verordnet wurde, damit der Kunde oder die Kundin die Richtigkeit der Verschreibung kontrollieren kann. Wenn eine Packung geholt wird, sollte das Vorgehen verbal kommuniziert werden: „Ich hole Ihnen eben die Medikamente, einen kleinen Moment bitte. So, da bin ich wieder mit Ihren Blutdruckmedikamenten.“ Am besten geben Sie den Kund*innen die Packungen in die Hand, dann kann die Packungsgröße und die Oberfläche erfasst werden.

Packungen nicht einfach austauschen

Einige Menschen mit Sehbehinderung können noch schemenhaft Schatten, Farben oder die Form erkennen und orientieren sich daran. Wichtig ist, die bekannten Medikamente nicht gegen Rabattartikel auszutauschen. Hier sollten pharmazeutische Bedenken auf das Rezept gedruckt werden und die bisherigen Firmen mitgegeben werden. 

Um die Packungen zu unterscheiden, können Markierungen angeboten werden. Diese sollten tastbar sein. Zum Beispiel kann eine Büro- oder Tackerklammer an der Packung befestigt werden. Außerdem gibt es tastbare Aufkleber.

Praktische Tipps für die Beratung

  • Sollen Säfte mit einer Spritze aufgezogen werden, ist es wichtig zu überprüfen, ob die Markierungen zu fühlen sind, ansonsten kann ein Klebeband an der richtigen Stelle Abhilfe schaffen. Messbecher eignen sich für die Abmessung nicht und sollten proaktiv gegen Spritzen ausgetauscht werden.
  • Wenn Tropfen abgezählt werden müssen, können Tropfenzähler (ein Hilfsmittel für Blinde) angeboten werden. Ganz simpel kann auch ein leerer Plastikbecher verwendet werden, bei dem die Tropfen gehört werden.
  • Mittlerweile gibt es auch zahlreiche digitale Messgeräte zur Blutdruckmessung oder Fieberthermometer mit Sprachfunktion.
  • Auch Smartphones haben Sprachfunktionen, so können sich sehbehinderte Menschen zum Beispiel den Beipackzettel eines Medikaments barrierefrei vorlesen lassen.
  • Lesehilfen wie elektronische Lupen mit starker Vergrößerung, aber auch elektronische mobile oder stationäre Vorlesesysteme bieten eine enorme Unterstützung für Sehbehinderte. 

Ältere Patient*innen, bei denen sich die Sehbehinderung langsam entwickelt hat, wissen oftmals nicht von den technischen Möglichkeiten. Sprechen Sie die Betroffenen darauf an, erzählen sie auch den Angehörigen davon und stellen Sie Informationen bereit. Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband stellt zahlreiche hilfreiche Materialien zur Verfügung.

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