Aus der Psychologie
ESSSTÖRUNG: WENN DER KOPF SICH GEGEN DEN KÖRPER WENDET
Seite 1/1 6 Minuten
Essen, bis ein angenehmes Sättigungsgefühl eintritt. Sich von anderen bekochen lassen. Oder schlichtweg mit seinen Liebsten ins Restaurant gehen. Für viele Menschen sind das unproblematische Vergnügungen. Essstörungen allerdings hindern daran, diesen normalen Umgang mit Ernährung zu erleben. So sehr, dass sie Betroffene in soziale Einsamkeit oder Lebensgefahr zwingen.
Kurzgesagt beschreiben Essstörungen psychische Krankheiten, die sowohl ein gestörtes Essverhalten als auch eine Körperschemastörung umfassen. Neben den drei häufigsten Formen Magersucht, Bulimie und Binge-Eating-Störung gibt es noch weitere Krankheitstypen, wobei es häufig zu Mischformen kommt.
Essstörungen müssen behandelt werden
Fakt ist, dass Essstörungen schon bevor sie körperlich sichtbar werden, etwa in Form von Unter- oder Übergewicht, valide sind und therapiert werden müssen. Die Ursachen von Essstörungen können ungesunde, aber gesellschaftlich akzeptierte Schönheitsideale sein oder Traumata. Fest steht jedoch: Es gibt nicht nur einen Ursprung und es kann jeden treffen.
Magersucht – Anorexia nervosa
Die Essstörung Magersucht beschreibt das pathologische Verlangen der Gewichtsreduktion, erzielt durch geringe bis keine Nahrungsaufnahme aus der Angst heraus zuzunehmen. Diese langwierige Essstörung führt zu starkem Untergewicht, das die Betroffenen aufgrund ihrer gestörten Körperwahrnehmung allerdings selbst nicht erkennen.
Ein großer Aspekt der Magersucht ist der soziale Rückzug für die Verheimlichung des Zustandes und des Umgangs mit Essen. Beispielsweise, indem gemeinsame Speisen gemieden oder der untergewichtige Körper in weiten Klamotten versteckt wird.
Depressionen, Schuldgefühle nach einer Nahrungsaufnahme und, dass das zunächst freiwillige Hungern in einen Zwang übergeht, sind psychische Begleiterscheinungen der Magersucht. Die Gedanken drehen sich nur noch um Essen sowie den eigenen Körper und führen trotz der Erschöpfung durch die körperliche Unterversorgung zu Schlafstörungen. Zwangs-, Angst-, und Persönlichkeitsstörungen sind psychische Erkrankungen, die häufig parallel zur Magersucht verlaufen. Der Umgang mit Essen ist von Meidung und Panik gekennzeichnet.
Körperliche Begleiterscheinungen dieser Essstörung ergeben sich aus der Mangelernährung. Langfristig führt das dazu, dass der Körper nur Energie nur noch für das Lebensnotwendige nutzt, weil er für eben diese Energie die eigene Restsubstanz abbauen muss. Daher kommt es zu
- verlangsamtem Herzschlag,
- Organfunktionsstörungen,
- Obstipation,
- Osteoporose und
- Hypothermie.
Das Untergewicht als Folge der Essstörung führt auch zu Störungen des Hormonhaushalts, sodass Amenorrhö und Libidoverlust auftreten. Dass dem Körper die Kraft zur Wärmegewinnung fehlt, erkennt man an einer flaumartigen Körperbehaarung. Je nachdem, in welchem Alter sich die Magersucht als Essstörung zeigt, ergeben sich Entwicklungsstörungen und Unfruchtbarkeit. Scheitert die Therapie einer Essstörung, droht der Tod.
Mehr über Essstörungen:
Bulimie – Bulimia nervosa
Der Begriff Ess-brech-Sucht beschreibt die Essstörung Bulimie treffend. Denn Betroffene erbrechen sich nach der Nahrungsaufnahme, wobei die Mengen der Portionen hier variieren. Entweder tritt die Krankheit im Verlauf einer bereits existierenden Magersucht auf, innerhalb der selbst kleinste Portionen erbrochen werden. Oder es hängt mit sogenannten Essanfällen zusammen, über die Erkrankte keine Kontrolle haben.
Häufig wird innerhalb der Essstörung Bulimie der folgende Ablauf beobachtet: Personen möchten abnehmen, weshalb sie sich rigide dem Hungern verschreiben. Bis der Hunger zu groß wird – und sie über ein angenehmes Sättigungsgefühl hinaus essen. Es entwickeln sich Schamgefühle und Trauer über das „erfolglose“ Hungern, sodass sie sich erbrechen, um die Nahrungsaufnahme rückwirkend zu löschen. Ein gesunder Umgang mit Essen wird verlernt.
Bulimie tritt auch ohne den Wunsch nach Gewichtsverlust auf, beispielsweise als Antwort auf Traumata.
Neben Folgeerkrankungen und Begleiterscheinungen, die der Essstörung Magersucht ähneln, kommt es bei der Bulimie durch das regelmäßige Erbrechen noch zu Gastritis, Karies und Entzündungen der Speicheldrüsen.
Binge-Eating-Störung (BED)
Der Begriff Binge-Eating-Störung (Binge Eating Disorder, BED) kommt aus dem Englischen und bedeutet inhaltlich, dass die Betroffenen unter großen und häufigen Essanfällen leiden, innerhalb derer sie die Kontrolle verlieren. Über das eigene Sättigungsgefühl hinaus essen sie bis zu schmerzhaften Völlezuständen, ohne sich danach wie bei der Bulimie zu erbrechen.
Diese Essanfälle überkommen Betroffene unabhängig vom Hungergefühl in triggernden, auslösenden Situationen. Auch strikte Diäten können zu Heißhunger und damit zu Essanfällen führen. Die Anfälle erzeugen Scham sowie Schuldgefühle.
Aufgrund dieses Zustands, der durch die Binge-Eating-Essstörung hervorgerufen wird, essen die Betroffenen häufig allein. Einige berichten davon, vor anderen auf sozialen Ereignissen nichts zu essen, um danach heimlich dem Kontrollverlust dieser Essstörung zu erliegen. Beobachtet wurde das Vorkommen besonders im späten Jugend- und frühen Erwachsenenalter.
Das Zuführen und Beibehalten der hohen Mengen an Kalorien führt langfristig zu Adipositas, die Gelenkschmerzen, Diabetes und Herz-Kreislauf-Symptome mitbringen kann. Werden übermäßig viele zuckerhaltige Lebensmittel verzehrt, kann das außerdem Karies hervorrufen – auch wenn keine Säureschäden durch Erbrechen zu befürchten sind wie bei der Bulimie. Der soziale Rückzug und die psychischen Begleiterscheinungen einer Binge-Eating-Störung sind dieselben wie den bereits genannten Essstörungen Magersucht und Bulimie.
Therapie einer Essstörung
Die Therapie einer Essstörung teilt sich in mehrere Facetten auf. Die Folgeschäden wie Untergewicht, Mangelernährung oder Gastritis lassen sich stationär sowie ambulant mit Infusionen oder Arzneimitteln behandeln.
Der psychische Anteil wird mit Psychotherapien behandelt. Das gestörte Essverhalten wird innerhalb Verhaltenstherapien überschrieben und zu einem Umgang mit Lebensmitteln zurückgeführt, der von gesundem Appetit und Sättigungsgefühl geleitet wird.
Im Therapieanteil der Psychoanalytik wird der Ursprung erarbeitet: Welches Trauma, welche Prägung oder welches Ereignis lief parallel zur Entwicklung der Essstörung ab? Worüber bestimmt sich der Selbstwert der Betroffenen?
In der Körperpsychotherapie wird der Körper aktiv miteinbezogen: Man lernt, sich dem Körper wieder nah und vertraut zu fühlen, indem man das Bewusstsein des eigenen Seins wieder aufbaut.
Bewegungs- und Kunsttherapien lehren ein anderes Ventil für den Stressabbau als die Ernährung. Bewegungstherapien zeigen außerdem, wie viel Sport angemessen ist, da zu den Essstörungen mit dem Ziel der Gewichtsreduktion auch oft exzessiver Sport in ungesundem Maße getrieben wird.
Refeeding-Syndrom
Untergewichtige Personen müssen innerhalb der Therapie adäquat und Schritt für Schritt an eine normale Nahrungszufuhr herangeführt werden, da der Stoffwechsel bei großer Nahrungsaufnahme überreagiert und die Konsequenz daraus lebensgefährlich ist.
Umgang mit Betroffenen einer Essstörung
Wer selbst einen gesunden Umgang mit Essen hat, soll genauso weitermachen: in privaten Kreisen als Vorbild fungieren, in dem man Nahrung nicht als Bedrohung sieht – wie es innerhalb der Essstörungen vorkommt. Ein Stück Kuchen abzulehnen, weil man gerade keinen Appetit hat, ist beispielsweise eine intuitive Ernährungsweise, die Menschen mit Essstörung fehlt. Den Kuchen abzulehnen, weil man ihn als figurschädigend, diätgefährdend oder „böse“ eingestuft hat, ist ein rigides Essverhalten, die man Menschen mit Essstörung nicht vorleben sollte.
Gleichzeitig sollte man unnötige Kommentare zu Essverhalten, Portionen und Aussehen anderer vermeiden, da sie Betroffene auf die unterschiedlichsten Weisen triggern. Nicht zu verwechseln mir dem ernsthaften Ansprechen der Betroffenen auf sichtbare Symptome, deren Umgang damit oder die Empfehlung einer Therapie.
In der Apotheke ist es herausfordernd, Betroffene nachhaltig zu erreichen. Beim regelmäßigen Kauf von Abführmitteln oder der Frage nach Kalorien von Medikamenten ist jede freundlich ausgesprochene Warnung und jeder beruhigende Fakt eine Hilfe. Je nach Klima des Gesprächs besteht die Möglichkeit, subtil Informationen zu Therapiestellen mitzugeben.
Hotlines für Betroffene
0221-892031(Beratungstelefon zu Essstörungen des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit)
089-21997399 (ANAD® Versorgungszentrum Essstörungen des AWO Bezirksverbands Oberbayern e.V.)
Quellen:
https://www.bzga-essstoerungen.de/
WHO - World Health Organization: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. 9. Auflage Hogrefe 2019, ISBN: 978-3-456-85992-7.
Voderholzer: Therapie psychischer Erkrankungen - State of the art. Urban & Fischer 2022, ISBN: 978-3-437-24915-0.
https://www.tness.de/fuer-betroffene/therapieformen/