Sexualität
LUST KENNT KEIN ALTER – WIE SIE SENSIBEL BERATEN
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Haut auf Haut, sich so nah sein, wie es nur geht, den eigenen und den anderen Körper spüren. Das ist mit 75 Jahren genauso schön wie mit 25 Jahren. Was aber auch viele Ältere kennen: Das Sexleben mit dem oder der Liebsten prickelt nicht mehr so wie früher. Vielleicht ist es sogar komplett eingeschlafen, obwohl das Bedürfnis nach Intimität es längst nicht ist. Womöglich hat auch Frust die Lust abgelöst: Der Körper kann im Bett nicht mehr leisten, was früher problemlos ging – diese Erkenntnis schmerzt.
Sex gehört dann eben der Vergangenheit an, das Kapitel ist durch? Nein! Auch im Alter lohnt es sich, das Thema anzupacken, wenn man es denn möchte. Dazu ermutigt auch Andrea Micus, die ein Buch zum Thema geschrieben hat („Sex Ü60: So bewahren Sie sich Lust und Liebe“). „Ältere haben oft den Vorteil, dass sie Zeit haben, nicht von Kindern, Job und anderen Dingen abgelenkt werden. Man kann ganz neu experimentieren“, sagt sie. Doch wo können Paare ansetzen? Vier typische Probleme – und wie Paare sie lösen können.
Problem 1: "Ich fühle mich unwohl in meinem Körper"
Das Problem:
Scham killt die Lust: Wenn der eigene Körper sichtbar und spürbar altert, hat es so mancher schwer, sich wohl in der eigenen Haut zu fühlen. Dass ein anderer Mensch diesen Körper heiß finden kann? Unvorstellbar, findet das eigene Gehirn. Das Bild, das uns viele Filme und Serien über Sex vermitteln, tut sein Übriges. „Wir denken da an junge, schlanke, glatte Körper“, sagt Andrea Micus.
So lässt es sich lösen:
Auch wenn es leichter gesagt ist als getan: Es lohnt sich, diese gesellschaftlich geprägten Bilder von Attraktivität loszulassen und mit dem zu arbeiten, was da ist. „Wir müssen uns auf ein reales Bild einlassen.“
Was ein Anfang sein kann: dem Körper Aufmerksamkeit schenken, ihn gut pflegen. „Wenn ich mich in meinem Körper wohlfühle, ihn zurechtmache, gehe ich mit einem anderen Selbstbewusstsein ans Thema Sex heran“, sagt Andrea Micus. „Wenn Sie Paare sehen, die sehr auf sich achten, sind sie vermutlich auch zugewandter.“
Wo genau man ansetzen kann, ist individuell: mehr Bewegung ins Leben holen, um fitter zu werden. Sich eine Maniküre gönnen oder sich einfach mal aufhübschen, obwohl es keinen Anlass dafür gibt.
Problem 2: "Der Sex klappt nicht mehr so wie früher"
Das Problem:
Penis in Vagina: Ohne diesen Akt der Penetration ist es doch kein „richtiger“ Sex. Das ist eine Annahme, die in vielen Köpfen festhängt – und die insbesondere Älteren auf die Füße fallen kann.
Schließlich ist jeder dritte Mann über 60 Jahren von einer erektilen Dysfunktion betroffen, so die München Klinik. Heißt: Die Erektion reicht für Sex nicht aus beziehungsweise der Penis bleibt nicht lange genug steif – und zwar über einen Zeitraum von sechs Monaten in mehr als zwei Dritteln der Fälle.
Dazu kommt: Durch hormonelle Veränderungen sind die Schleimhäute im Intimbereich bei vielen älteren Frauen schlechter durchblutet – die Vagina ist trockener. Das kann eine Penetration für sie unangenehm machen. Auch infolge von OPs am Unterleib kann es zu Schmerzen beim Sex kommen, so Micus.
Ganz zu schweigen von weiteren körperlichen Einschränkungen, die sich im Bett bemerkbar machen: die schmerzende Hüfte, die bestimmte Stellungen unmöglich macht, oder das vorbelastete Herz, um das man Sorge hat.
So lässt es sich lösen:
Immerhin: Einige organische Probleme lassen sich anpacken. PDE-5-Hemmer wie Tadalafil oder Sildenafil können für eine stabilere Erektion sorgen. Gleitgel oder befeuchtende Intimcremes sorgen bei einer trockenen Vagina dafür, dass alles besser rutscht.
Wie wirken noch mal PDE-5-Hemmer?
Normalerweise sorgt der Botenstoff Stickstoffmonoxid (NO) bei sexueller Erregung dafür, dass sich die Blutgefäße im Penis entspannen und mehr Blut hineinströmen kann – so entsteht eine Erektion. Dafür wird ein weiterer Botenstoff, cGMP, benötigt. Er hält die Gefäße erweitert und sorgt für den anhaltenden Blutfluss. Das Enzym PDE-5 baut cGMP jedoch wieder ab, wodurch die Erektion nachlässt.
Hier setzen PDE-5-Hemmer an: Sie blockieren dieses Enzym, sodass mehr cGMP im Körper bleibt. Dadurch bleiben die Gefäße länger entspannt, der Blutfluss in den Penis erhöht sich – und eine Erektion kann leichter entstehen und länger anhalten. Wichtig: Der Effekt tritt nur bei sexueller Erregung ein, da dabei NO freigesetzt wird.
Zu den PDE-5-Hemmern gehören Avanafil, Tadalafil, Sildenafil und Vardenafil.
Bei allem, was sich nicht ändern lässt, hilft nur eines: Akzeptanz. „Er kann sagen: ‚Ich kriege keinen mehr hoch!‘, sie kann sagen: ‚Ich hatte eine Knie-OP, Sex geht so nicht mehr‘“, sagt Andrea Micus. „Oder man nimmt das als Realität an und macht etwas daraus. Es gibt so viele Spielarten.“
Mehr über Partnerschaft:
Problem 3: "In unserer Beziehung ist der Ofen aus"
Das Problem:
Im Bett herrscht Flaute, an das letzte Mal können Sie sich kaum noch erinnern. Keine Seltenheit in langjährigen Beziehungen: „Nach 40, 50 Jahren Ehe ist nicht mehr unbedingt der Partner oder die Partnerin das bevorzugte Sexobjekt“, sagt Andrea Micus. Schließlich kennt man den anderen Körper in- und auswendig, neu und spannend wird es selten.
So lässt es sich lösen:
Lassen Sie sich von Paaren inspirieren, die frisch zusammen sind. „Die stellen nämlich die Partnerschaft in den Mittelpunkt“, sagt Micus. In jahrzehntelangen Beziehungen kommt dieser Fokus aber gerne abhanden. „Man hat Kinder und Enkelkinder bekommen, man hatte stressige Jahre im Job – da war für die Beziehung nicht mehr viel Raum“, sagt Micus.
Zeit, sich den zurückzuerobern: Andrea Micus rät, dafür auf gemeinsame Erlebnisse zu setzen. Sie stärken die Verbindung als Paar wieder und können somit einen Impuls geben, sich auch körperlich wieder näherzukommen. Ob es der Kurztrip in die Berge ist, das besondere Dinner oder auch das Hotelzimmer, das man sich in der eigenen Stadt für eine Nacht mietet.
Problem 4: "Sex ist ein Tabu-Thema bei uns"
Das Problem:
Über Sex spricht man nicht: Wer 70 Jahre und älter ist, ist womöglich mit diesem Glaubenssatz durchs Leben gegangen – und hat damit womöglich viel Potenzial für richtig guten Sex verschenkt. „Gerade Frauen haben nie gelernt, Wünsche und Bedürfnisse offen zu äußern“, sagt Andrea Micus. Wer sein Sexleben im Alter in Schwung bringen möchte, kommt aber nicht drumherum, das zu lernen.
So lässt es sich lösen:
Auch wenn es anfangs gefühlt so viel Mut kostet wie ein Bungee-Sprung: Es lohnt sich, mit dem oder der Liebsten das offene Gespräch über Sex zu suchen. Andrea Micus rät: Führen Sie sich vor Augen, dass Sex gesellschaftlich längst nicht mehr so ein Tabu-Thema ist wie früher. Über die eigene Lust zu sprechen, ist normaler geworden und erst recht nichts, für das man sich schämen muss.
Quellen:
dpa
https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffgruppen/pde-5-hemmer