Die Pille danach

Vor Ihnen steht ein junges Mädchen. Sie erzählt mit leiser Stimme, dass ihr eine Verhütungspanne passiert ist – und fragt nach der „Pille danach“. Bei diesem sensiblen Thema ist es wichtig, dass Sie gut Bescheid wissen.

Eine Verhütungspanne kann jedem passieren: Ein Kondom platzt oder verrutscht, man vergisst, die Antibabypille einzunehmen oder verzichtet im Eifer des Gefechts darauf, zu verhüten. In diesen Fällen kann die „Pille danach“ verhindern, ungewollt schwanger zu werden. Aber: Die Kundin muss sie rechtzeitig nach dem Geschlechtsverkehr einnehmen.

Seit dem Frühjahr 2015 ist Notfallverhütung – „Notfall-Pille“ oder „Pille danach“ genannt – auch ohne Rezept erhältlich. Seither ist die Anzahl der Frauen, die wissen, dass es ein Notfall-Verhütungsmittel rezeptfrei in der Apotheke gibt gestiegen: von 62 Prozent im Vorjahr auf 76 Prozent 2018. Das Apothekenteam steht vor der Aufgabe, sensibel und seriös zu beraten. Denn Sie erfragen feinfühlig die Umstände und den Zeitpunkt der Verhütungspanne. Danach richtet sich, ob und welchen Wirkstoff Sie an die Kundin abgeben: Levonorgestrel (LNG) oder Ulipristalacetat (UPA).

Fertiles Fenster

Beide Wirkstoffe schieben den Zeitpunkt des Eisprungs um etwa fünf Tage hinaus. Die Substanzen greifen in das sogenannte fertile Fenster ein. Spermien sind fünf Tage lang fähig, eine Eizelle zu befruchten. Entsprechend beginnt das fertile Fenster fünf Tage vor dem Eisprung und endet einen Tag danach. Daraus resultiert für Frauen eine fruchtbare Phase von rund sechs Tagen. Indem sie den Eisprung verschieben, verhindern Notfall-Kontrazeptiva, dass befruchtungsfähige Spermien auf eine befruchtungsfähige Eizelle treffen.

So unterscheiden sich die beiden Wirkstoffe:

Levonorgestrel ist ein synthetisches Gestagen. Es wird mit 1,5 Milligramm dosiert. Ihre Kundin sollte LNG innerhalb von zwölf Stunden, spätestens aber drei Tage (72 Stunden) nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einnehmen.

Kontraindikationen liegen hier nur bei einer Allergie gegen den Wirkstoff oder einer bestehenden Schwangerschaft vor.

Ulipristalacetat,einen selektiver Progesteron-Rezeptor-Modulator, nehmen Kundinnen schnellstmöglich, maximal aber fünf Tage (120 Stunden) nach dem Sex ein. Das Zeitfenster ist hier also etwas länger.

UPA ist kontraindiziert bei Kundinnen mit Asthma, eingeschränkter Leberfunktion, einer bestehenden Schwangerschaft oder, wenn die Kundin Glucocorticoide oral einnimmt. Empfehlen Sie hier also LNG.

Von diesen Fällen abgesehen gilt Ulipristalacetat als die wirksamere der beiden Substanzen. Insbesondere bei einem Body-Mass-Index von über 25 raten Experten eher zu UPA.Eine Tablette enthält 30 Milligramm Ulipristalacetat.

Die Sache mit den Leberenzymen

Beide Wirkstoffe gehen mit CYP3A4-Induktoren (Antiepileptika, Tuberkulosemittel, HIV-Medikamente, Johanniskraut) Wechselwirkungen ein. In diesem Fall können Sie notfalls auf Levonorgestrel in der doppelten Dosierung von zwei Tabletten ausweichen. Bei Ulipristalacetat ist das nicht möglich, der Einfluss der CYP3A4-Induktoren ist hier zu stark. Am besten raten Sie in einem solchen Fall jedoch zum Arztbesuch. Er kann bis zu fünf Tage nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eine Kupferspirale einsetzen.

Häufige Fragen

Eine Verhütungspanne verunsichert viele Frauen, sie haben zahlreiche Fragen. Die häufigsten haben wir hier für Ihr Beratungsgespräch gesammelt.

  • Kann mein Partner die „Pille danach“ für mich kaufen?
    Im Beratungsgespräch stellen Sie detaillierte Fragen zum Zyklus, um das richtige Präparat zu empfehlen oder gegebenenfalls an einen Gynäkologen zu verweisen. Wenn jemand anderes diese Fragen beantworten kann, ist es in Ordnung, dass die Kundin das Notfall-Kontrazeptivum nicht selbst abholt.Zu spezifische Fragen können Sie gegebenenfalls telefonisch klären.
  • Ist es wichtig, wann in meinem Zyklus ich die „Pille danach“ einnehme?
    Der weibliche Zyklus dauert 21 bis 35 Tage, bei vielen Frauen ist er unregelmäßig. Der Eisprung passiert 14 Tage bevor die Regelblutung einsetzt. Wie viele Tage nach der letzten Periode er stattfindet, hängt also von der Länge des Zyklus ab. Es lässt sich in der Apotheke nicht bestimmen. Wenn Sie entscheiden, ob Sie Ihrer Kundin die Notfall-Pille abgeben oder nicht, spielt der Zyklustag also keine Rolle.
    • Nimmt die Kundin das Notfall-Kontrazeptivum vor dem Eisprung ein, verschiebt sich dieser.
    • Kommt es mehr als einen Tag nach dem Eisprung zur Verhütungspanne, ist das fertile Fenster bereits geschlossen.
    • Nur in dem schmalen Zeitraum dazwischen ist die „Pille danach“ nicht wirksam. Sicherheit bringt ein Schwangerschaftstest zwei Wochen nach dem Geschlechtsverkehr.
  • Was ist, wenn ich bereits schwanger bin?
    Ein Notfall-Kontrazeptivum ist eine Verhütungsmethode, kein Abtreibungsmittel. Nach aktueller Datenlage erhöhen weder Levonorgestrel noch Ulipristalacetat das Risiko für Fehlbildungen oder –geburten. 
  • Wirkt meine Verhütungspille noch, wenn ich die „Pille danach“ einnehme?
    Da Notfall-Kontrazeptiva den Zyklus verschieben, empfehlen Sie Ihrer Kundin, 14 Tage nach der Einnahme zusätzlich eine Barrieremethode anzuwenden.
  • Kommt es nach der Einnahme zu Blutungen? Bekomme ich meine Periode wie gewohnt?
    Zwischen- oder Schmierblutungen können auftreten. Die Periode kann sich nach vorne oder hinten verschieben, außerdem stärker oder schwächer auftreten als gewohnt. Bleibt sie aus, sollte Ihre Kundin einen Schwangerschaftstest machen.
  • Verträgt sich die „Pille danach“ mit Alkohol?
    Alkohol schwächt die Wirkung nicht ab. Allerdings wirken Notfall-Kontrazeptiva nicht ausreichend, wenn die Kundin sich übergibt und das Präparat dabei ausspuckt.

Das Beratungsgespräch

Dieses sensible Thema führen Sie am besten in einem ruhigen und geschützten Bereich, etwa in der Beratungsecke.

Die Bundesapothekerkammer (BAK) bietet eine Handlungsempfehlung zur rezeptfreien Abgabe von oralen Notfallkontrazeptiva („Pille danach“). Sie enthält auch eine Checkliste. Drucken Sie am besten mehrere Exemplare aus und legen Sie sie in der Beratungsecke bereit. Sie können sich daran orientieren, wenn Sie Ihre Kundin beraten. Anschließend dokumentieren Sie mit dem Fragebogen Ihre Beratungsqualität. Der Name der Kundin ist hierfür nicht nötig.

Zu den wichtigsten Fragen gehören:

  • Wann fand der ungeschützte Geschlechtsverkehr statt?
    Im besten Fall wendet die Kundin das Notfall-Konzeptivum innerhalb von 12 Stunden nach dem Sex an. Im Zeitraum von 72 Stunden sind LNG und UPA gleich wirksam. Zwischen 72 und 120 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr ist Ulipristalacetat erforderlich. Liegt der Geschlechtsverkehr mehr als 120 Stunden zurück, raten Sie statt der „Pille danach“ einen Arztbesuch an.
  • Die reguläre Verhütungsmethode spielt eine Rolle: Wurde die Antibabypille vergessen? Die Kundin kann die Einnahme vielleicht noch nachholen.
  • Bestimmte Medikamente wechselwirken mit UPA und LNG. Dazu gehören:
    • die Antiepileptika Carbamazepin,
    • Primidon,
    • Phenytoin und
    • Phenobarbital,
    • die Tuberkulosemittel Rifampicin und
    • Rifabutin,
    • die HIV-Medikamente Ritonavir und
    • Efavirenz,
    • das Antimykotikum Griseofulvin oder
    • das Antidepressivum Johanniskraut.
      Dann kann der Arzt eine Kuperspirale einsetzen, eine Alternative im Notfall sind zwei Tabletten (3 Milligram) Levonorgestrel.
  • Kontraindiziert ist die Notfall-Pille bei schweren Leberfunktionsstörungen, dann verweisen Sie bitte zum Gynäkologen. Bei eingeschränkter Leberfunktion und Asthma raten Sie zu LNG statt UPA.
  • Fragen Sie, ob die Monatsblutung zuletzt verändert war oder ausgeblieben ist. Das ist ein Hinweis auf eine bestehende Schwangerschaft. In diesem Fall geben Sie bitte kein Notfall-Kontrazeptivum ab, es ist kontraindiziert.
  • Wenn eine Kundin während der Stillzeit eine Notfallverhütung einnimmt, ist eine Stillpause nötig. Bei LNG sind es acht Stunden, bei UPA eine Woche. Beide Stoffe gehen in die Muttermilch über.
  • Erbricht die Betroffene kurz nach Einnahme der „Pille danach“, muss sie eine weitere Tablette mit dem gleichen Wirkstoff anwenden.

Übrigens...

Der wiederholte Einsatz einer Notfallkonzeption in einem Monat kann den Zyklus durcheinanderbringen. Fragen Sie im Gespräch danach und verweisen Sie gegebenenfalls darauf, dass die Notfall-Pille keine reguläre Verhütungsmethode ist. Ein Besuch beim Frauenarzt ist hier sinnvoll.

Wie brisant das Thema ist, zeigen die Zahlen: In Deutschland gab es im Jahr 2009 4888 Schwangerschafts-Abbrüche und 4837 Lebendgeburten bei Minderjährigen. Nahezu jede Teenager-Schwangerschaft ist ungewollt. Der nunmehr rezeptfreie Zugang zur „Pille danach“ ist somit eine wichtige Option, ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschafts-Abbrüche zu verhindern. Insbesondere bei sehr jungen Frauen. Eine fundierte und einfühlsame Beratung ist also auch ein gesellschaftliches Anliegen.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin,
und Gesa Van Hecke, PTA und Redaktionsvolontärin

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