Politik
APOTHEKEN IN NOT – VERSORGUNG KLAPPT
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Es ist still geworden um die Lage der Menschen in den Hochwassergebieten vom Juli 2021. Wochenlang beherrschte die Situation an Rhein und Ahr die Nachrichten in den bundesweiten Medien. Inzwischen – gut zehn Wochen nach der Starkregenkatastrophe – berichten allenfalls noch die Lokalzeitungen. Und so mancher beginnt sich zu fragen, wie es den Leuten dort eigentlich geht – in den Apotheken zum Beispiel. „Die Lage ist volatil und sehr individuell“, sagt Jens Krömer, Pressesprecher der Apothekerkammer Nordrhein, deren Mitglieder zahlenmäßig am stärksten betroffen waren. Allerdings sind hier die Schäden meist nicht ganz so heftig wie etwa im rheinlandpfälzischen Ahrtal.
Von den 50 betroffenen Apotheken im Kammerbezirk Nordrhein sind Anfang September 16 – also etwa ein Drittel – wieder voll in Betrieb. Weitere 16 können eingeschränkt arbeiten. Wobei die Bandbreite der Einschränkungen groß ist: Es gebe Apotheken, deren Labor im Keller unter Wasser stand und deshalb im Moment nicht genutzt werden könne. Der Verkaufsbereich sei jedoch nicht betroffen und laufe normal weiter, erzählt Krömer. Er kennt aber auch Apothekenteams, die mit allem, was sie vor dem Wasser retten konnten, vorübergehend in einen Container gezogen sind und so behelfsweise die Arzneimittelversorgung in ihrem Ort oder Stadtteil aufrecht halten.
Priorität: Dienstbereitschaft Generell hatte die Arzneimittelversorgung in den Hochwassergebieten höchste Priorität für die betroffenen Kammern. Neben Nordrhein sind das die Apothekerkammern Rheinland-Pfalz und Westfalen-Lippe. In allen drei Bezirken haben die Kammern die Versorgung sichern können. Dafür wurden vor allem Notdienste umgeschichtet und Informationen kanalisiert: Nach innen, um die Mitglieder soweit möglich auf dem aktuellen Stand zu halten und um die Koordination zwischen Apotheken zu ermöglichen. Aber auch nach außen – etwa, wenn Ärzte wissen wollen, zu welcher Apotheke sie ihre Patienten schicken sollen.
Zudem brauchte es Unterstützung für weniger stark betroffene Apotheken, um so schnell wie möglich wieder betriebsbereit zu sein. Dazu wurden in NRW unter anderem unzählige Gespräche mit den vor Ort zuständigen Amtsapothekern geführt. Rheinland-Pfalz regelte das zentral mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung, das für die Apotheken als Überwachungs- und Approbationsbehörde fungiert. Insgesamt konnten die Kammern so einen Notstand verhindern – auch wenn die Versorgung lokal mitunter extrem schwierig war.
Zukunft noch ungewiss Allein in NRW gibt es noch immer 18 Apotheken, deren Status auch im September noch völlig unklar ist. Bei einer zeichne sich ab, dass sie wohl nicht wieder öffnen werde, so Krömer. Die Kammer agiere in diesen Fällen mit „äußerster Zurückhaltung“, sagt der Pressesprecher. Für Prognosen über die Zukunft dieser Betriebe sei es ohnehin noch viel zu früh. Oft sei noch nicht einmal die Höhe der Schäden zuverlässig abgeschätzt, etwa weil der Gutachter der Versicherung noch nicht da war. Zudem seien Inhaber und Mitarbeiter der Apotheken häufig auch privat betroffen.
Vielen werde erst langsam bewusst, wie einschneidend die Folgen dieser Katastrophe für ihr gesamtes Leben seien. Ein ähnliches Bild zeichnet auch Dr. Tilman Scheinert, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz. In seinem Bezirk waren 27 Apotheken betroffen – davon 23 allein im Ahrtal. Knapp die Hälfte (12 Betriebe) arbeitet inzwischen wieder voll. Bei 15 Apotheken haben sich die Schäden nachhaltig auf die Betriebsbereitschaft ausgewirkt. Aber auch davon sind acht zumindest eingeschränkt wieder in Betrieb – auch hier mitunter in Containern. Sieben Apotheken sind noch geschlossen, eine davon vermutlich endgültig.
„Die Leute kommen gerade erst zum Nachdenken“, sagt Scheinert. In den ersten Wochen hätten der Schock, elementare Lebensfragen wie Wohnung, Kleidung oder Trauer um Angehörige und natürlich die Aufräumarbeiten im Mittelpunkt gestanden. Jetzt mache sich ein Gefühl der Angst breit. Vor allem die Angst, schnell in Vergessenheit zu geraten. Aber auch die Angst, all das, was noch kommt, nicht bewältigen zu können. Und genau bei solchen Problemen will Scheinert die Apotheken in seinem Kammerbezirk aktiv unterstützten.
»Die Leute kommen gerade erst zum Nachdenken. Im Mittelpunkt standen bisher die elementaren Lebensfragen.«
Einfach mal reden Der umtriebige Jurist beschränkt sich dabei nicht auf Gespräche mit Ministerien, Behörden oder Hilfsorganisationen, sondern entwickelt auch ungewöhnliche Lösungsansätze. Unter anderem vermittelt er Gesprächspartner. Zum Beispiel Apotheker aus Thüringen und Sachsen, die 2013 vom Elbehochwasser betroffen waren. Dabei geht es nicht nur darum, von deren Erfahrungen zu profitieren, sondern auch darum, einfach mal mit jemandem zu reden, der Ähnliches erlebt hat. Zudem vermittelt die Kammer Kontakte zu Psychologen oder zu unabhängigen Versicherungsprofis, die helfen, Fehler bei der Schadensmeldung zu vermeiden. Und sie unterstützt ihre Mitglieder bei der Beantragung finanzieller Hilfen - auch wenn es bislang noch keine gesicherten Informationen über den Finanzbedarf der vom Hochwasser betroffenen Apotheken gibt.
„Runder Tisch“ nennt die Kammer diese Angebote, die helfen sollen, die richtigen Leute zu sensibilisieren und zusammenzubringen. Ebenfalls zusammenkommen müssen die zugesagten oder sogar schon vorhandenen Finanzhilfen und diejenigen, die sie brauchen. Tilman Scheinert berichtet, dass Spendengelder oder bereits zugesagte Finanzierungshilfen wie etwa die der ApoBank bislang wenig abgerufen würden. Woran das liegt? „Die, die das Geld wirklich brauchen, haben noch andere Sorgen. Die sind noch gar nicht dazu gekommen, die Anträge zu stellen“, vermutet Scheinert.
Was künftig anders werden soll Beim Sammeln und Verteilen von Spendengeldern können auch die Kammern wenig tun. Es fehlt schlicht an entsprechenden Strukturen. Man könne Gelder zwar einsammeln – müsse diese dann aber an gemeinnützige Hilfsorganisationen weiterleiten. Aus dieser unbefriedigenden Situation entstand die Idee zu einem Hilfswerk von und für Apotheker. Das könnte aktiv auf die Leute zugehen und schnell helfen, zum Beispiel mit unbürokratischen Zwischenfinanzierungen. Auch dieses Projekt haben die Rheinland-Pfälzer bereits auf die Schiene gesetzt: mit einem Antrag beim Apothekertag, der einen entsprechenden Prüf- und Gründungsauftrag an die ABDA adressiert.
Auch die Kammern in NRW ziehen erste Lehren aus der Katastrophe. Und auch sie nutzen den Apothekertag für einen ersten Schritt: Sie setzen sich dafür ein, gesetzliche Bestimmungen weiterzuentwickeln. Vor allem die Apothekenbetriebsordnung, die aktuell keine allgemein gültigen Regelungen für den Betrieb von Apotheken in Notsituationen vorsieht. In den Medien mag es still geworden sein. Aber im Hintergrund arbeiten viele Köpfe weiter an der Zukunft der Menschen und der Apotheken in den Hochwassergebieten vom Juli 2021.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2021 ab Seite 66.
Stefanie Heiß, freie Journalistin