Profilansicht eines Kopfes. Da, wo man das Gehirn vermuten würde, sitzt ein Porträt verschiedener Personen, die sich alle ähnlich sehen: eine Frau Anfang 20, eine Geschäftsfrau, eine Künstlerin, ein Mann, eine Seniorin und ein Junge im Grundschulalter.© GVH/UZV
Bei einer DIS beherbergt ein Körper mehrere Identitäten, die sich klar voneinander unterscheiden.

Aus der Psychologie

DISSOZIATIVE IDENTITÄTSSTÖRUNG: EIN KOPF, MEHRERE ICHS

Die dissoziative Identitätsstörung, früher „multiple Persönlichkeit“, ist schwer nachzuvollziehen und zu verstehen. Wie kommt diese psychische Erkrankung zustande? Erfahren Sie hier mehr über die Symptome, die Ursache und Therapien und Hinweise, wie Sie mit Erkrankten umgehen. 

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Die dissoziative Identitätsstörung (DIS) war früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt. Sie betrifft 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung, Frauen neunmal häufiger als Männer. Betroffene haben verschiedene Persönlichkeitszustände, die den Menschen abwechselnd kontrollieren. Denn Dissoziation bedeutet, dass psychische Funktionen in einzelne Teile zerfallen, die eigentlich zusammengehören – bei der DIS ist das eben die Identität.

Nennt man das nicht Schizophrenie?
Schizophrenie ist primär durch eine Wahrnehmungsstörung der Realität gekennzeichnet. Weil es so viele unterschiedliche Ausprägungen gibt, ist kein genaues Krankheitsbild beschreibbar. Zum Beispiel können bei einer Schizophrenie Symptome auftreten wie Stimmenhören oder das Gefühl, ausspioniert zu werden. Eine Schizophrenie ist also nicht dasselbe wie die dissoziative Identitätsstörung.

Dissoziative Identitätsstörung

Die dissoziative Identitätsstörung fällt unter den Oberbegriff der dissoziativen Störungen. Laut dem Klassifikationssystem ICD-11 definieren diese sich über Symptome wie beispielsweise eine veränderte Wahrnehmung des Selbst oder des Umfelds, außerdem dem Verlust der Kontrolle über willentliche Bewegungen und das Verhalten.

Bei einer dissoziativen Identitätsstörung entwickelt eine Person mindestens zwei unterscheidbare Persönlichkeitsidentitäten. Dabei entwickelt jede Identität eigene Charaktereigenschaften, Erinnerungen und Verhaltensweisen. Sie denken, fühlen aber agieren auch unabhängig voneinander und unterscheiden sich in Mimik, Gestik, Stimme sowie Namen. Unter Stress treten die Wechsel zwischen den Identitäten häufiger auf.  Die durchschnittlich acht bis zehn Identitäten treten nie gleichzeitig vor – was übrigens auch in der Therapie der DIS beim Kennenlernen Zeit einnimmt.

Die Identitäten werden in Host (englisch für Gastgeber) und Alters (von englisch alternate; Ersatz, Stellvertreter), wobei die Identität des Hosts den Großteil über präsent ist. Die Charaktereigenschaften der Alters stehen im Kontrast zu denen des Hosts, eine Kooperation aller Identitäten gibt es aber trotzdem. So können sie auf Erinnerungen und Handlungen untereinander zurückgreifen – aber natürlich in unterschiedlicher Ausprägung.

Der Wechsel der Identitäten kann auf zwei Weisen passieren:

  • Besitzform (Besessenheit, possessive Form): für das Außen bemerkbare Präsentation
  • Nicht-Besitz-Form (Nichterfüllung, nonpossessive Form): kein offensichtlicher Wechsel, Betroffene erleben ein Gefühl der Depersonalisation, indem sie sich losgelöst und eher als Beobachter fühlen.

Symptome der DIS

Ein verbreitetes Symptom bei Betroffenen der dissoziativen Identitätsstörung ist die Amnesie, die durch die Identitätswechsel entsteht und eine Therapie erst mal erschwert. Die Identitäten schaffen ihre eigenen Erinnerungen, ohne dass sich beispielsweise der Host darüber bewusst ist. Geht Alter X einkaufen, wobei es zu einem plötzlichen Wechsel kommt, kann sich der Host nicht daran erinnern, wie er in den Laden gekommen ist. Weitere Symptome der DIS sind:

  • Selbstverletzung und Suizidalität
  • Aggressionen, Angst und Panikattacken
  • Zwanghaftes Verhalten und Drogenmissbrauch
  • Kopfschmerzen und Wahrnehmung von Stimmen

Hinzu kommen Komorbiditäten, die wieder eigene Symptome und Erscheinungen neben denen der dissoziativen Identitätsstörung mitbringen. So kommt es, dass teilweise Depressionen, Ess-, Angst- und Persönlichkeitsstörungen, wie beispielweise die Borderline Persönlichkeitsstörung, parallel zur DIS ablaufen.

Ursachen der dissoziativen Persönlichkeitsstörung

Die häufigste Ursache der dissoziativen Identitätsstörung ist die Traumatisierung im Alter von unter fünf Jahren, etwa Grausamkeit, körperliche Gewalt, sexueller Missbrauch oder Verwahrlosung. Seltener lösen extreme Armut und Krieg, der zum Verlust Angehöriger führte, die dissoziative Identitätsstörung aus. Es kann sein, dass Betroffene sich an diese Erlebnisse nicht mehr erinnern können, aber trotzdem eine dissoziative Identitätsstörung haben. Traumatisierungen können auch nach dem fünften Lebensjahr passieren, allerdings tritt die dissoziative Identitätsstörung dann seltener auf.

Zur Erklärung: Als Schutzreaktion auf die Traumata spalten Kinder die Realität vom Bewusstsein ab, während sie gleichzeitig geistig der Situation entfliehen. Die verschiedenen Identitäten übernehmen unterschiedliche Funktionen, die sich in entsprechenden Situationen präsentieren: Beschützerrollen, die in missbräuchlichen Situationen übernehmen, oder Teilpersönlichkeiten, die alltägliche Anforderungen erfüllen.

Dieses Vorkommen zählt bei Kindern als pathologisch, wenn das Leitsymptom der dissoziativen Identitätsstörung auch nach den Ereignissen existiert.

Therapie der DIS

Therapiert wird die dissoziative Identitätsstörung, da sie zumeist durch Trauma entsteht und andere psychische Erkrankungen parallel verlaufen, mit Psychotherapie. Bei der Diagnostik der DIS geht es deshalb auch darum, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen, um Fehldiagnosen zu verhindern.

Für die Diagnose der dissoziativen Identitätsstörung werden Fragebögen und Interviewleitfaden herangezogen, die die folgenden Kriterien und Symptome abhaken:

  • Mindestens 2 Identitäten
  • Amnesie
  • hoher Leidensdruck mit Auswirkung auf soziale und berufliche Lebenskomponenten

Es kostet Überwindung, von den Symptomen der DIS wie Amnesie oder dem Hören der Stimmen zu berichten. Deshalb erfolgt die Diagnose häufig erst lange nachdem die dissoziative Identitätsstörung eintritt.

Bevor die Therapie der DIS starten kann, müssen sich Betroffene erst mal darüber bewusst werden, dass mehrere Identitäten existieren. Bislang existieren keine wissenschaftlichen Daten darüber, welche Form der Therapie die beste bei einer DIS ist. Prinzipiell werden langfristige Psychotherapien mit Fokus auf kognitive Verhaltenstherapien durchgeführt – kombiniert mit Medikamenten.

Beruhigungsmittel oder Antidepressiva werden hier eingesetzt, wobei sie nur die Symptome der DIS, aber nicht die Ursache therapieren. Stationäre Aufenthalte bieten sich an, wenn die Personen unter Suizidalität oder Komorbiditäten der dissoziativen Identitätsstörung leiden.

Einen Therapieplatz zu ergattern ist auch bei einer dissoziativen Identitätsstörung eine schwierige Sache. Viele Betroffene berichten auch von grundsätzlichem Vertrauensverlust anderen Menschen gegenüber, hervorgerufen durch die Traumatisierung. Erfolge bei der Therapie ergeben sich erst, wenn man sich traut, sich dem Gegenüber zu öffnen.

Umgang mit Betroffenen

Jede Identität Erkrankter muss als eine tatsächlich eigene Person anerkannt und behandelt werden. So kann es sein, dass Erkrankte in der Apotheke plötzlich wie ein Kind sprechen und sich verhalten. Eine mögliche Aggressivität darf, wie bei allen Menschen, nicht unterschätzt werden. Auch wenn die dissoziative Persönlichkeitsstörung in Filmen häufig als gruselig oder komisch dargestellt wird, ist sie in der Realität eine schwerwiegende Erkrankung. Suizidale Aussagen müssen stets ernstgenommen werden.

Quellen:
https://www.onmeda.de/krankheiten/dissoziative-identitaetsstoerung-id200946/
https://www.spektrum.de/news/icd-11-eine-neue-klassifikation-der-krankheiten/1971949
https://icd.who.int/browse/2025-01/mms/en#108180424
Van Elst et al.: Psychiatrie und Psychotherapie. 7. Auflage Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2024 

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