Eine Lupe vergrößert das Wort Ghrelin in einem text© designer491 / iStock / Getty Images Plus
Ghrelin steht als klassisches Hungerhormon schon länger im Fokus der Forschung.

Adipositasforschung

DEN HUNGER BLOCKIEREN

Obwohl Adipositas zu den größten gesundheitsrelevanten Herausforderungen dieser Zeit zählt, existiert noch keine medikamentöse Therapie dagegen. Forschende halten das Hungerhormon „Ghrelin“ für ein potenzielles Target.

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In den letzten 50 Jahren hat sich die Adipositasrate weltweit nahezu verdreifacht. Dabei sind ausnahmslos alle gesellschaftlichen Schichten sowie Bevölkerungsgruppen – Erwachsene, Kinder, Ältere – betroffen. Die über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts stellt ein bedeutsames Risiko für die Entwicklung weiterer Stoffwechselerkrankungen dar.

Und trotzdem gibt es keinen Arzneistoff, der betroffenen Menschen helfen kann, Körperfett abzubauen und die Stoffwechsellage langfristig zu stabilisieren. Auch wenn Wirkstoffe zur Behandlung von Übergewicht zugelassen sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Entstehung und Entwicklung der chronischen Krankheit Adipositas nicht erforscht würde. Ghrelin, ein Peptidhormon, das sowohl den Appetit reguliert als auch die Einlagerung von Körperfett positiv reguliert, könnte in der Behandlung eine Schlüsselrolle innehaben.

Stoffwechselexperte rechnet mit baldiger Zulassung

Zwar stellt besagtes Ghrelin das einzige Signalmolekül dar, das zentral ein Hungergefühl auslöst, doch genügt es zur Behandlung der Adipositas nicht, dies zu blockieren. In einem firmenintern geführten Interview erklärt Matthias Tschöp, Stoffwechselexperte bei Helmholtz Munich: „Die Idee ist eigentlich, die Wirkung des körpereigenen Ghrelins zu blocken und somit Hunger zu dämpfen, gleichzeitig aber die Verbrennung von Kalorien anzukurbeln. Allerdings wissen wir inzwischen, dass die Beeinflussung eines Signalweges alleine nicht ausreicht, um Adipositas nachhaltig zu bekämpfen. Deswegen beschäftigen wir uns zunehmend mit Wirkstoffkombinationen, die sich heute zum Teil schon in einem einzelnen, Hormon-ähnlichen Molekül synthetisieren lassen.“

 

Mehr Appetit durch Ghrelin
Ghrelin ist eigentlich eine Abkürzung für Growth Hormone Release Inducing – die umgangssprachlich anhängende Bezeichnung „Hungerhormon“ wird dem Peptid also nicht gerecht. So hat es unter anderem auch Einfluss auf die fetale Lungenreife, das Geschmacksempfinden oder die Gedächtnisfunktion. Doch finden sich vor allem kurz vor der Nahrungsaufnahme hohe Blutspiegel, die kurz nach einer Mahlzeit rasch wieder abfallen. Es bereitet den Körper auf die Nahrungsaufnahme vor, steigert den Appetit und fördert die Fettspeicherung. Von vier Mechanismen ist die Wissenschaft mittlerweile überzeugt, dass Ghrelin die Wahrscheinlichkeit an Adipositas zu erkranken, erhöht:
- Kohlenhydrate werden gegenüber Fett als Energielieferant bevorzugt,
- es stellt sich eine fettreiche Ernährungsform ein
- die Stoffwechselfunktion wird herabgesetzt,
- spontane Bewegungsaktivität findet weniger statt, dadurch sinkt der Energieverbrauch.

Klinische Studien laufen

„Die am weitesten fortgeschrittenen und vielversprechendsten Wirkstoffkandidaten sind tatsächlich Kombinationen mehrerer Darmhormone, in denen wir sogenannte Inkretine wie GIP und GLP-1 oder auch das Hormon Glucagon verknüpft haben – diese enthalten aber keine Ghrelin-Blocker. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich aktivierende und blockierende Mechanismen in demselben Wirkstoffmolekül nur bedingt kombinieren lassen, denn blockierende Ansätze erfordern immer wesentlich höhere Konzentrationen“, erläutert Tschöp weiter. Derartige Polyagonisten spielen für ihn perspektivisch aktuell die größte Rolle. Auf dieser Basis rechne er bereits mit ersten Zulassungen noch in diesem Jahr.

Zurzeit scheint Ghrelin also eher eine Schlüsselrolle im Krankheitsverständnis und den hormonellen Signalwegen sowie der Energiehomöostase zu spielen als direktes Target zu sein.

Quellen:
Helmhotz-Gemeinschaft
Biomol

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