Paragraphen-Symbol und Schriftzug „Arbeitsrecht“© Rocco-Herrmann / iStock / Getty Images Plus
Michael van den Heuvel beantwortet Ihre offenen Fragen zur Kündigung bei Schwerbehinderung.

Umfangreicher Schutz

KÜNDIGUNG BEI EINER SCHWERBEHINDERUNG

Schwerbehinderte Angestellte in Apotheken genießen besonderen Kündigungsschutz. Eine Kündigung bei Schwerbehinderung ist nur mit Zustimmung des Integrationsamts möglich. Ausnahmen gelten zu Beginn des Arbeitsverhältnisses oder bei Sozialplänen für Mitarbeitende über 58 Jahren.

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Der Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung zählt zu den Besonderheiten des Sozial- beziehungsweise Arbeitsrechts. Eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn eine Person aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung, die länger als sechs Monate andauert, in ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben wesentlich eingeschränkt ist.

Dazu zählen beispielsweise eine Querschnittslähmung, Krebs, Multiple Sklerose, schwerer Diabetes mit Folgeerkrankungen wie Nierenschäden oder Sehstörungen, schwere Herzinsuffizienz oder andere chronische Herzerkrankungen, schwere Erkrankungen der Lunge wie die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder schwere Depressionen, Schizophrenie sowie bipolare Störungen.

Was ist der Grad der Behinderung (GdB)?

Entscheidend ist der Grad der Behinderung (GdB). Hier handelt es sich um eine Maßeinheit, die den Grad der Beeinträchtigung durch eine Behinderung oder chronische Krankheit angibt. Das Sozialrecht sieht Stufen von 10 bis 100 vor, wobei 20 der niedrigste und 100 der höchste Wert ist. Ein höherer GdB bedeutet eine stärkere Beeinträchtigung. Eine Schwerbehinderung liegt ab einem GdB von 50 vor. Der GdB ist auch für den Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung wichtig.

Es handelt sich nicht um eine Prozentangabe. Bei mehreren Behinderungen oder Krankheiten werden die GdB-Werte auch nicht nur addiert. Vielmehr geht es um eine Gesamtbewertung der Einschränkungen. Sie alle haben Einfluss auf den Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung.

Ob eine Schwerbehinderung vorliegt, entscheidet das Versorgungsamt beziehungsweise die zuständige Landesbehörde. Dies geschieht auf Basis eines Antrags, den die betroffene Person stellt. Das Versorgungsamt fordert aktuelle ärztliche Gutachten und Unterlagen von behandelnden Ärztinnen oder Ärzten an. In einigen Fällen kann das Amt auch eine ärztliche Begutachtung veranlassen. Anhand dieser Unterlagen wird der GdB ermittelt. Dagegen können Antragstellerinnen und Antragsteller Einspruch einlegen.

Wann greift der Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung?

Voraussetzung für den Kündigungsschutz von Arbeitnehmenden mit Schwerbehinderung ist ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Der Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung gilt ebenfalls, wenn eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen vorliegt (GdB von 30 bis 40 mit Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit). Dieser besondere Schutz ist im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) verankert und soll die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen sichern.

Der Kündigungsschutz tritt in Kraft, sobald eine Schwerbehinderung offiziell anerkannt wurde oder sobald ein entsprechender Antrag vorliegt. Wichtig ist, dass der Arbeitgeber beziehungsweise die Arbeitgeberin Kenntnis von der Schwerbehinderung hat beziehungsweise der Antrag selbst vorliegt und das Arbeitsverhältnis schon länger als sechs Monate besteht. Ist der Antrag noch beim Versorgungsamt in Bearbeitung, gilt der Kündigungsschutz bei Schwerbehinderung rückwirkend ab dem Tag der Antragstellung, falls er bewilligt wird.

Wann ist eine Kündigung bei Schwerbehinderung unwirksam?

Eine Kündigung bei Schwerbehinderung ist unwirksam, wenn das gesetzliche Verfahren, insbesondere die vorherige Zustimmung des Integrationsamts, nicht eingehalten wurde oder wenn die Kündigung diskriminierend ist. Der besondere Schutz soll sicherstellen, dass schwerbehinderte Menschen nicht ungerechtfertigt gekündigt werden.

Die wichtigsten Details auf einen Blick:

  • Die Kündigung ist ohne Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Das gilt sowohl für ordentliche als auch außerordentliche Kündigungen.
  • Kündigungen, die Chefin oder Chef vor Mitteilung der Schwerbehinderung ausgesprochen haben, sind unter Umständen unwirksam, wenn Angestellte den Antrag nachträglich innerhalb von drei Wochen gestellt haben.
  • Bei betriebsbedingten Kündigungen sind Arbeitgebende verpflichtet, eine Sozialauswahl vorzunehmen. Schwerbehinderte Arbeitnehmer müssen besonders berücksichtigt werden. Beachten Vorgesetzte dies nicht, ist die Kündigung unwirksam.
  • Der besondere Kündigungsschutz greift erst nach sechs Monaten Wartezeit im Arbeitsverhältnis. ​​​​
  • Selbst wenn die Zustimmung des Integrationsamts vorliegt, müssen Arbeitgebende die gesetzlichen oder vertraglichen Kündigungsfristen einhalten. Verstöße gegen diese Fristen machen eine Kündigung unwirksam.

Kündigung bei Schwerbehinderung – diese Ausnahmen gibt es

Eine Kündigung bei Schwerbehinderung ist als Ausnahme in bestimmten Fällen möglich. Das sollten Sie wissen:

In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses greift der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte noch nicht. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin kann während dieser Zeit auch ohne die Zustimmung des Integrationsamts eine Kündigung bei Schwerbehinderung aussprechen.

Damit will der Gesetzgeber in den ersten sechs Monaten, der sogenannten Wartezeit, Firmen die Möglichkeit geben zu prüfen, ob Mitarbeitende für die Stelle geeignet sind. Gut zu wissen: Auch Angestellte, die nicht schwerbehindert sind, können erst nach Ablauf von sechs Monaten gegen eine Kündigung vorgehen.

Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr 58. Lebensjahr vollendet haben, können unter bestimmten Voraussetzungen ohne Zustimmung des Integrationsamts gekündigt werden. Dies ist bei einer Kündigung in Zusammenhang mit einem Sozialplan, der eine Abfindung, Entschädigung oder eine ähnliche Leistung vorsieht, möglich. Dieses Szenario wird Apotheken eher selten betreffen, allenfalls große Filialverbünde.

Ein Sozialplan wird meist zwischen Arbeitgeberin oder Arbeitgeber und Betriebsrat ausgehandelt. Die Vereinbarung legt fest, welche Ausgleichsmaßnahmen für betroffene Angestellten bei betrieblichen Umstrukturierungen vorgesehen sind. Für ältere Kolleginnen und Kollegen, die eine solche Abfindung oder Entschädigung erhalten, entfällt der besondere Kündigungsschutz.

Diese Ausnahme soll vor allem sicherstellen, dass ältere Menschen bei betrieblichen Umstrukturierungen nicht benachteiligt werden. Der Verzicht auf den besonderen Kündigungsschutz wird dadurch kompensiert, dass Betroffene eine finanzielle Absicherung in Form einer Abfindung oder Entschädigung erhalten.

Kündigung bei Schwerbehinderung – lassen Sie sich beraten

Alles in allem stehen einer Kündigung bei einer Schwerbehinderung viele Hürden im Weg; die Thematik ist kompliziert. Tipp: Als ADEXA-Mitglied stehen Ihnen ab dem ersten Tag Ihres Beitritts kostenlose Beratung und Auskünfte zu allen Fragen rund um Arbeits- und Tarifrecht zur Verfügung. Dazu zählt auch der außergerichtliche Schriftverkehr der Rechtsabteilung mit Ihrem Arbeitgeber.

Mitglieder erhalten sowohl telefonisch als auch schriftlich rechtliche Beratung durch erfahrene Juristinnen, sei es während der Bürozeiten oder während der telefonischen Abendsprechstunden.

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