Reproduktionsverhalten
LÄNGST AUSGESTORBENES POCKENVIRUS FASZINIERT NOCH IMMER
Seite 1/1 2 Minuten
Die Pocken gibt es zwar nicht mehr (der letzte Fall trat 1976 in Somalia auf), doch stößt die Familie der Vaccinia-Viren – so ihr offizieller Name – bei Wissenschaftlern immer noch auf großes Interesse.
Zum einen werden modifizierte Stämme erfolgreich bei der Behandlung von Krebserkrankungen eingesetzt, zum anderen faszinieren ihre ungewöhnlichen Vermehrungseigenschaften.
Besondere Vorgehensweise
Nullachtfünfzehn-Viren tun es so: Sie kapern einfach die Wirtszelle und nutzen deren Ausstattung, um sich selbst zu reproduzieren. Pockenviren machen’s anders: Sie konstruieren eine molekulare Maschine in ihrem eigenen Genom. Zwei Enzyme – eine DNA-Polymerase, die die viralen Gene vervielfältigt und eine RNA-Polymerase, die diese Informationen in mRNA umschreibt – sorgen dann dafür, dass die Virenproduktion läuft. Das Ganze ist so ungewöhnlich und so spannend, dass ein Forschungsteam vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg nicht ruhte, bis es diesen Vorgang in atomarer Auflösung darstellen konnte. Dies ist jetzt erstmals gelungen. Die Wissenschaftler konnten die Virenreplikation sogar künstlich in Gang setzen.
Warum ist das wichtig?
Was bringt dieser Vorgang nun, bei einem längst ausgestorbenen Virus, das zudem extrem gefährlich ist und nur noch als Probe in zwei Hochsicherheitslaboren lagert, die sich irgendwo in Russland und den USA befinden? Falls die Viren durch einen terroristischen Anschlag freigesetzt würden, hätte man bereits ein tieferes Verständnis für die Reproduktionsvorgänge, sodass man sich eilig an die Entwicklung einer Impfung machen könnte – ist die Krankheit nämlich erst beim Menschen ausgebrochen, kann sie nicht mehr zuverlässig geheilt werden. Zum anderen könnte es, wie bei Corona vermutlich geschehen, zu einer Zoonose kommen – hier springen bislang tierspezifische Viren auf Menschen über.
Schon jetzt kommt es sporadisch immer mal wieder zu Infektionen des Menschen durch Affen-Pockenviren, die durchaus zu schweren Verläufen führen. Sollte eine solche Zoonose durch weitere Anpassungen an den menschlichen Wirt und eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung Fahrt aufnehmen, könnte eine gefährliche Epidemie entstehen, sagt der Biochemiker Clemens Grimm. Dann ist es gut zu wissen, wie die atomaren Strukturen der RNA-Polymerase funktionieren und man könnte Wirkstoffe entwickeln, welche die Genexpression der Viren hemmen – und zwar über einen rationalen, strukturbasierten Ansatz, einfach am Computer vorgenommen.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft