Repetitorium
SCHLAF UND SCHLAFSTÖRUNGEN – TEIL 3
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Die exakte Diagnose der Schlafstörung ist wichtig, um eine ursächliche individuelle Therapie einzuleiten. Denn nicht immer sind Medikamente die Mittel der Wahl. Bei einer Schlafapnoe wird beispielsweise eine Überdruckbeatmung mit Atemmaske oder eine spezielle Zahnschiene empfohlen. Zudem greifen eine Gewichtsreduktion und die Vermeidung der Rückenlage im Schlaf an der Ursache der Atemaussetzer an. Die Maßnahmen wirken einer Verlegung der Atemwege, welche die Probleme auslösen, entgegen. Ebenso sind Alkohol und Nikotin tabu.
Das Ausschalten von Störfaktoren ist immer Basis jeder Behandlung. Daher sollten Betroffene die Tipps für eine gute Schlafhygiene kennen. Bevor schlaffördernde Medikamente zum Einsatz kommen, sollten zudem immer schlafbehindernde Arzneien durch andere ausgetauscht und bestehende Grunderkrankungen einer adäquaten Therapie unterzogen werden. Beim Restless-Legs-Syndrom wird beispielsweise mit einem Dopamin-Agonisten und nicht mit herkömmlichen Schlafmitteln therapiert.
Schlafstörungen behandeln
Liegt eine Insomnie vor, ist diese leitliniengemäß vorrangig psychotherapeutisch zu behandeln. Die Leitlinie verweist als effektivste nichtmedikamentöse Therapie auf eine kognitive Verhaltenstherapie. Sie umfasst unter anderem
- Schlafedukation,
- Bettzeitreduktion oder -restriktion,
- kognitive Umstrukturierung sowie
- verschiedene Entspannungsmaßnahmen wie Progressive Muskelentspannung, Phantasiereisen und Achtsamkeitstraining.
Erst wenn diese Methoden bei Ein- und/oder Durchschlafstörungen nicht helfen, soll eine medikamentöse Behandlung folgen. Dazu stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung.
Darunter befinden sich nicht nur gängige Substanzen aus der Arzneimittelgruppe der Sedativa und Hypnotika wie beispielsweise Phytotherapeutika, Antihistaminika, Melatonin oder Z-Substanzen, sondern auch sedierende Antidepressiva und Antipsychotika.
Gemäß Leitlinie soll die Einnahme zugelassener verschreibungspflichtiger Medikamente nur kurzfristig erfolgen, in der Regel also nicht länger als vier Wochen. Bei der Langzeiteinnahme, also mindestens zwölf Wochen, bleibt zwar ihre Wirksamkeit erhalten, doch die Effekte nehmen mit der Zeit ab und das Risiko der körperlichen Gewöhnung steigt mit zunehmender Anwendungsdauer.
Die ersten beiden Teile des Repetitoriums:
Stufenschema der Insomniebehandlung
In der Praxis ist das aber häufig ein Problem, da Ein- und Durchschlafstörungen oft schon über viele Wochen und Monate andauern und die Betroffenen dann trotz verhaltenstherapeutischer Maßnahmen ohne Schlafmittel einfach nicht mehr in den Schlaf finden. Die Schlafstörung ist chronisch geworden und bedarf wie jede andere chronische Erkrankung auch einer chronischen Therapie, wie Schlafmediziner Professor Dr. Ingo Fietze, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums der Charité-Universitätsmedizin Berlin, betont.
Er plädiert für eine längerfristige HypnotikaEinnahme, wenn ein schlechter Schlaf die Betroffenen mindestens dreimal pro Woche für länger als drei Monate begleitet und sie am nächsten Tag darunter leiden. Ein chronisch therapierter Schlaf sei besser als ein gesundheitsschädigender chronisch schlechter Schlaf, so Fietze. Der Schlafmediziner setzt die Medikamente nach einem Stufenschema ein:
„Ein chronisch therapierter Schlaf ist besser als ein gesundheitsschädigender chronisch schlechter Schlaf.“
Die Grundlage ist ebenfalls eine kognitive Verhaltenstherapie, die bei leichten Schlafstörungen alleine und in schweren Fällen begleitend zur medikamentösen Therapie erfolgen kann. Allerdings ist der Einsatz der Medikamente nicht zwingend auf vier Wochen begrenzt. Vielmehr rät Fietz, diese circa vier bis sechs Wochen auszuprobieren und bei Wirksamkeit längerfristig einzunehmen.
Prinzipiell sollen zuerst verschreibungsfreie, leichte schlaffördernde Mittel zur Anwendung kommen. Stellen sich damit keine Effekte ein, ist ein Wechsel auf verschreibungspflichtige Optionen vorgesehen. Allerdings gibt es einige Ausnahmen.
Einige Wirkstoffgruppen sind nur für den Akutfall (z. B. Anithistaminika der ersten Generation) oder gar Ausnahme- beziehungsweise Notfall (z. B. Benzodiazepine) gedacht oder werden nur zwei Wochen lang erprobt (z. B. Agomelatin). Das verschreibungspflichtige Agomelatin soll zudem bereits vor dem Einsatz eines rezeptfreien Antihistaminikums getestet werden. Ein Versuch mit Melatonin lohnt sich nur bei Einschlafstörungen, bei Durchschlafstörungen kann er unterbleiben.
Homöopathische Mittel
Um leichte Schlafstörungen zu behandeln sind homöopathische Globuli, Tabletten oder Tropfen eine Alternative. Ihr Vorteil sind fehlende Nebenwirkungen. Weder kommt es unter ihrer Einnahme zur einer Tagesmüdigkeit, noch beeinträchtigen sie die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit und somit die Fahrtauglichkeit negativ. Aufgrund des fehlenden Gewöhnungseffektes sind sie zudem für eine Dauerbehandlung geeignet. Neben klassischen Einzelmitteln wie Coffea oder Avena sativa stehen eine Reihe von Komplexmitteln zur Verfügung, die verschiedene Einzelmittel kombinieren. Während einige bewährte Kombination nur wenige Mittel umfassen (z. B. Avena sativa, Coffea arabica und Zincum valerianicum) kombinieren andere eine Vielzahl von Einzelmitteln (z. B. Cimicifuga, Cocculus, Cypripedium pubescens, Ignatia, Lillium tigrimum, Passiflora incarnata, Platinum metallicum, Valeriana und Zincum valerianicum).
Phytotherapeutika: Pflanzliche Schlafmittel
Sie sind bei leichten Schlafstörungen als Einschlafhilfe eine gute Wahl, da sie beruhigend, entspannend, schlafanstoßend und schlaffördernd wirken. Sie führen nicht zu einer Schläfrigkeit am Tage und können bedenkenlos über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Häufig eingesetzte Phytotherapeutika enthalten
- Baldrian,
- Hopfen,
- Melisse,
- Hafer,
- Passionsblume und
- Lavendel.
Vor allem die ersten drei genannten Drogen erhöhen die Schlafbereitschaft und normalisieren den physiologischen Schlafablauf, ohne den Tief- oder REM-Schlaf zu beeinträchtigen. Die drei Pflanzen werden auch als Kombinationspräparate angeboten.
Passionsblume und Lavendel wirken vor allem angstlösend und beruhigend, was sich positiv bei Schlafstörungen auswirken kann. Ebenso übt Hafer einen beruhigenden Effekt aus, wobei dieser vor allem tagsüber greift.
Da sich die Wirkung von pflanzlichen Arzneimitteln erst langsam innerhalb der ersten zwei bis drei Wochen entwickelt, ist dementsprechend eine längerfristige Einnahme erforderlich. Das Stufenschema zur Insomniebehandlung sieht daher auch vor, dass Phytotherapeutika zunächst vier bis sechs Wochen kontinuierlich anzuwenden sind. Helfen sie dem Kunden, sollte er die Therapie weiter fortsetzen.
L-Tryptophan
Zeigen Phytopharmaka keine Effekte, wird ein Wechsel auf L-Tryptophan empfohlen. Diese essenzielle Aminosäure ist die Vorstufe von Serotonin und Melatonin und gilt als ein natürliches Antidepressivum mit schlaffördernder Wirkung.
Da während der nächtlichen Ruhephase der Serotonin-Spiegel im Gehirn sinkt und ein niedriger Spiegel den Schlaf stört, soll die Zufuhr von L-Tryptophan dem Serotonin-Mangel entgegenwirken und somit der Schlaf-Wach-Rhythmus positiv beeinflussen. Zusätzlich wird L-Tryptophan weiter zum Schlafhormon Melatonin (siehe unten) verstoffwechselt. Allerdings ist seine schlaffördernde Potenz nur gering, ebenso die Responderrate mit 10 bis 15 Prozent.
Liegen keine Kontraindikationen wie schwere Leber- oder Nierenschäden vor, nimmt der Kunde keine MAO-Hemmer ein und spricht auch der blutdrucksteigernde Effekt von L-Tryptophan nicht gegen eine Anwendung, empfehlen sich 500 bis 1000 (maximal 1500) Milligramm (mg) über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen. Spricht der Betroffene darauf an, können Sie dazu raten, die Therapie fortzuführen.
Melatonin
Hilft L-Tryptophan nicht, ist das Schlafhormon Melatonin eine Alternative. Etwa ab Mitte 50 produziert der menschliche Organismus immer weniger Melatonin. Auch verschobene Einschlafzeiten beispielsweise durch Schichtarbeit oder Fernreisen stören die Melatonin-Produktion.
Auch wenn Nahrungsergänzungsmittel mit 1 Milligramm (mg) derzeit zu den am meisten beworbenen schlaffördernden Präparaten in allen Altersstufen zählen, empfiehlt das Stufenschema sie nur ab dem 55. Lebensjahr. Erst in diesem Alter ist es wahrscheinlich, dass der abendliche Melatonin-Spiegel abnimmt. Zudem hilft es eher als Einschlaf- und nicht als Durchschlafmittel.
Auch wenn für die niedrige freiverkäufliche Dosierung von 1 mg keine wissenschaftliche Evidenz vorliegt, kann anfangs eine Woche lang mit 1 oder 2 mg begonnen und später bei Bedarf die Dosis auf 4 mg gesteigert werden.
Agomelatin
Dieser verschreibungspflichtige Wirkstoff leitet die nächste Etappe des Stufenschemas ein. Hierbei handelt es sich um eine Substanz mit dualem Wirkmechanismus. Agomelatin ist ein Melatoninrezeptor-Agonist und Serotoninrezeptor-Antagonist. Es ist als Antidepressivum zugelassen, wirkt aber wie ein Schlafmittel.
Agomelatin kann bei Ein- und Durchschlafstörungen helfen und sollte für zwei Wochen ausprobiert werden. Empfohlen wird, mit 25 mg zu beginnen und in der zweiten Woche auf 50 mg zu steigern. Da der Wirkstoff leberschädigend sein kann, muss im Fall einer Dauertherapie alle drei bis vier Wochen eine Kontrolle der Leberwerte erfolgen und bei Unverträglichkeit das Mittel sofort abgesetzt werden.
H1-Antihistaminika
Diphenhydramin oder Doxylamin sind nicht so ungefährlich wie der rezeptfreie und häufige Einsatz der Antihistaminika vermuten lässt. Sie sorgen zwar über eine Blockierung des Botenstoffs Histamin für schnelleres Ein- und Durchschlafen, besitzen aber anticholinerge Nebenwirkungen wie
- Mundtrockenheit,
- Verstopfung,
- Harnverhalt oder
- Akkomodationsbeschwerden sowie
- Gedächtnisstörungen, die sich vor allem bei älteren Menschen bemerkbar machen.
Angegebene Kontraindikationen, wie Engwinkelglaukom, ein akuter Asthma-Anfall, Nebennierentumoren, Prostatahyperplasie mit Restharnbildung, Epilepsie oder eine gleichzeitige Behandlung mit Monaminoxidase-Hemmern, müssen ebenfalls beachtet werden. Oftmals eignen sie sich daher nicht bei Personen über 65 Jahre.
Darüber hinaus wirken sie erst zeitverzögert nach ein bis zwei Stunden, sodass Sie die Kunden auf eine rechtzeitige Einnahme, etwa 60 Minuten vor dem Schlafengehen, hinweisen sollten. Weiterer Nachteil ist ihre lange Eliminationszeit von bis zu zehn Stunden. Das birgt bei späterer Applikation am Abend die Gefahr eines Hang-overs, also einer Schläfrigkeit, die über die frühen Morgenstunden hinaus bis in den nächsten Tag hinein geht. Zudem erhöht sie die Sturzneigung. Letzteres ist auch der Grund dafür, dass immer wieder diskutiert wird, Antihistaminika unter die Verschreibungspflicht zu stellen.
Im Stufenschema haben die Antihistaminka zwar ihren festen Platz und folgen dem Agomelatin. Die Antihistaminka eignen sich aber nur für den kurzfristigen Einsatz unter vier Wochen und bei Bedarf beispielsweise zweimal pro Woche. Sie sind keine Mittel für eine Dauerbehandlung. Zudem sollten sie nur eingenommen werden, wenn ein Ausschlafen möglich ist, zum Beispiel am Wochenende oder im Urlaub. Die empfohlene Einzeldosis liegen für Diphenhydramin und Doxylamin bei 25 bis 50 mg.
Psychopharmaka
Die nächste Stufe beinhaltet schlaffördernde Psychopharmaka wie beispielsweise
- die Antidepressiva
o Trimipramin,
o Doxepin und
o Trazodon oder - Antipsychotika wie
o Melperon,
o Pipamperon oder
o Quetiapin.
Nach der Leitlinie sind diese Wirkstoffe primär bei Patienten mit Depression beziehungsweise psychotischen Erkrankungen gedacht, wenn diese komorbid über Schlafstörungen klagen.
Melperon oder Pipamperon sind zudem eine leitliniengerechte Option zur Schlafunterstützung bei geriatrischen Patienten. Das Stufenschema sieht die Anwendung schlaffördernder Psychopharmaka generell vor den Z-Substanzen vor, da sie bei Schlafstörungen bereits in niedrigen Dosierungen Effekte zeigen. Vor allem wirken sie aber, wenn eine ursächliche oder komorbide Depression oder Angsterkrankung vorliegt.
Z-Substanzen und Benzodiazepine
Die Z-Substanzen Zolpidem, Zopiclon und Eszopiclon kommen unter den verschreibungspflichtigen Hypnotika am häufigsten zum Einsatz, auch wenn das Stufenschema sie ganz zuletzt nur für den Einsatz einer schweren Schlafstörung vorsieht. Benzodiazepine, die lange Zeit als die klassischen Schlafmittel galten, sollen heutzutage nur noch nach Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen verschrieben werden. Sie sollten bei Insomnien möglichst gar nicht mehr zum Einsatz kommen, vielmehr sind sie wegen ihres hohen Abhängigkeitspotenzials nur für die kurzzeitige Anwendung bei extremen Situationen vorgesehen (z. B. Tod eines Familienmitglieds).
Z-Substanzen verlängern den Schlaf schon nach der ersten Anwendung, allerdings mit einer Verkürzung von Tief- und REM-Schlaf. Sie werden auch Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten genannt. Zwar besitzen sie andere chemische Strukturen als die Benzodiazepine, verfügen aber über den gleichen Wirkmechanismus wie diese. Sie fördern die Wirkung der Gamma-Aminobuttersäure (GABA) am GABA-A-Rezeptor, wobei die Substanzen allerdings an unterschiedlichen Bindungsstellen am Rezeptor agieren.
Da Z-Substanzen eine niedrigere Affinität zu den im Rückenmark lokalisierten Rezeptoren als die Benzodiazepine besitzen, sind muskelrelaxierende und antikonvulsive Effekte weniger ausgeprägt. Zudem beeinträchtigen sie im Gegensatz zu den Benzodiazepinen nicht die Atmung.
Allerdings können auch Z-Substanzen mit Hang-over-Effekten und damit mit einer erhöhten Sturzgefahr einhergehen, selbst wenn sie kürzere Halbwertszeiten als die Benzodiazepine haben. Daher sollten die Anwender sie nicht zu spät am Abend einnehmen, sondern möglichst vor 24 Uhr.
Mittel der Wahl bei Einschlafstörungen ist Zolpidem, da es relativ kurz wirksam ist (Halbwertszeit 2,5 bis drei Stunden). Zopiclon ist bei Durchschlafstörungen indiziert (Halbwertszeit fünf bis sechs Stunden). Die neueste Z-Substanz ist Eszopiclon mit einer Halbwertszeit von sieben bis acht Stunden.
Während Benzodiazepine schnell in eine körperliche Abhängigkeit mit Entzugssyndrom und Toleranzentwicklung führen, sollen Z-Substanzen lediglich mit einer psychischen Abhängigkeit (Craving, Kontrollverlust, Verhaltenseinengung) einhergehen. Allerdings kann auch das in einer Langzeiteinnahme und damit in einer Schlafmittel-Abhängigkeit enden.
Neue Substanz: Daridorexant
Daridorexant ist als dualer Orexin-Rezeptor-Antagonist (DORA) hierzulande der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse. Er wird angewendet zur Behandlung von Erwachsenen mit Schlafstörungen, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten. Daridorexant hebt die wachmachende Wirkung der Neuropeptide Orexin A und B im Hippocampus auf, womit er einen völlig neuartigen Wirkmechanismus aufweist. Die Narkolepsie ist eine Kontraindikation, da bei den Betroffenen der Wachmacher Orexin bereits in zu geringer Menge nachweisbar ist. Hang-over-Effekte, Abhängigkeit oder Rebound beim Absetzen sind bislang noch nicht bekannt.