Jemand schreibt mit Füller einen Brief. Bislang steht dort: "Liebe Bundesregierung, wir müssen reden."© Cineberg / iStock / Getty Images Plus
Der Tag der Apotheke am 7. Juni 2024 steht unter dem Motto "Wir müssen reden."

Offener Brief

LIEBE BUNDESREGIERUNG, WIR MÜSSEN REDEN.

Linda Kämpf ist Apothekerin und schreibt Artikel für DIE PTA IN DER APOTHEKE. In diesem offenen Brief fordert sie die Bundesregierung auf, sich ein Bild von der Lage in den Apotheken zu machen. "Wir müssen reden." ist auch das Motto des heutigen Tags der Apotheke.

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Liebe Bundesregierung,

ich möchte mich kurz vorstellen. Mein Name ist Linda Nathalie Kämpf, ich bin seit 18 Jahren Apothekerin in öffentlichen Apotheken. Ich habe am Hauptbahnhof in einer Apotheke mit Methadon-Programm, in einer großen Center-Apotheke und in einer Kleinstadtapotheke gearbeitet. Man sollte meinen, ich sei abgehärtet. Leider überraschen Sie mein Team und mich immer wieder, und zwar nicht positiv.

Am 3. Juni hat es der Bundesgesundheitsminister endlich, nach fast einem Jahr Apotheken-Protest, geschafft, sich mit der ABDA-Präsidentin zu treffen. Immerhin. Leider haben Sie alle aber bisher keine Apotheken besucht, um sich selbst ein Bild zu machen. Die Pharmaindustrie aber schon.

Seit 18 Jahren versuche ich, am HV den Menschen Ihre Reformen zu vermitteln. Sie wissen vielleicht selbst, wie schwer es ist, etwas zu verkaufen, von dem man nicht überzeugt ist. Als die Rabattverträge kamen, haben wir den Frust und Ärger von Patienten und Ärzten abbekommen, erklärt, beschwichtigt, zugehört. Wir haben Zeit, Nerven und viel, viel Geld investiert in eine unsichere Zukunft. Wir haben in der Coronakrise Masken beschafft, getestet und dabei immer wieder gebrochene Versprechen der Regierung serviert bekommen. Was aber gerade passiert, stellt das alles in den Schatten.

Liebe Regierungsmitglieder, am 7. Juni ist der Tag der Apotheke. Wir sollten reden! Ich lade Sie herzlich ein, schauen Sie rein! Bei uns erleben Sie so richtig was!

Machen Sie sich ein Bild davon, wie unsere unermüdlichen PKA sich die Finger wundtippen auf Tastaturen und Telefonen, um irgendwo eine Packung Penicillin-Saft für ein schwer erkranktes Kind aufzutreiben. Geben Sie einen Tipp ab, welchen Faktor die Sonder-PZN für das Rezept haben muss, aber bitte schnell, es warten schon die nächsten Probleme.

Hören Sie zu, wenn wir am HV dem schwerhörigen Herrn sein Rabattvertragsarzneimittel erklären. Staunen Sie, wie wir Dosierungen umrechnen, weil die verordnete Stärke des Blutdrucksenkers nicht lieferbar ist. Reichen Sie der weinenden PTA ein Taschentuch, die gerade angebrüllt wurde, weil das Ozempic® für den letzten Kunden nach zwei Monaten immer noch nicht da ist.

Laufen Sie mit unseren PKA zur Arztpraxis, um das BtM-Rezept ändern zu lassen für den kleinen Jungen, dessen völlig erschöpfte Mutter fast in Tränen ausbricht, weil schon wieder anderes Methylphenidat-Präparat verordnet werden muss.

Schauen Sie sich an, wie oft das E-Rezept nicht funktioniert, genießen Sie die ungehaltenen Äußerungen der verärgerten Kunden. Zählen Sie, wie oft wir Apotheker jedes Rezept immer wieder in unkomfortablen Telematik-Apps kontrollieren, signieren und wieder kontrollieren müssen. Rätseln Sie mit, warum das Rezept für das Schmerzmittel nicht auf der Gesundheitskarte der Frau mit dem Knöchelbruch ist, die es so dringend braucht. Lauschen Sie eine entspannende Viertelstunde der fröhlichen Musik der Warteschleife in der Arztpraxis, die eine Wohltat gegenüber dem vorher zwanzig Mal gehörten Besetztzeichen ist.

Öffnen Sie mit uns die Briefe der Abrechnungsstellen, gehen Sie mit uns auf Spurensuche nach den Absetzungsgründen in völlig unübersichtlichen Zahlenkolonnen und Abkürzungen. Wühlen Sie sich durch Nichtverfügbarkeitsnachweise der letzten drei Jahre, das ist ein Heidenspaß! Schreiben Sie mit uns Einspruch über Einspruch, und fiebern Sie mit auf das Ergebnis. Grübeln Sie mit über Hashcodes und Zusatzdaten.

Wälzen Sie mit dem Chef Absatzzahlen, Gehaltszettel und Rechnungen, versuchen Sie, mit detektivischem Spürsinn nach dem Skonto-Urteil einen vertretbaren Einkaufspreis für rezeptpflichtige Arzneimittel zu finden.

Das alles kostet Zeit. Und Zeit, das lernt jeder Unternehmer früh, ist Geld. Geld ist aber leider in vielen Apotheken zunehmend knapp. Rund 500 von ihnen haben im letzten Jahr geschlossen, weil sich kein Nachfolger fand, der das unsichere Geschäft weiterführen wollte oder schlicht, weil die finanzielle Grundlage fehlte. Das Apothekenhonorar stagniert, die Tarifgehälter liegen teilweise knapp über dem Mindestlohn. Kein Wunder, das in den öffentlichen Apotheken der Nachwuchs und das Fachpersonal fehlt. Auch uns fordert der Arbeitsalltag immer mehr, der Frust darüber, dass wir immer noch den Mangel verwalten, die Bürokratie uns die Luft abschnürt, uns die Kosten über den Kopf wachsen und Sie einfach nichts tun, um uns zu helfen.

Aber wissen Sie, was das Schlimmste ist? Sie hören uns nicht einmal zu. Nicht nur ich habe den Glauben daran verloren, dass diese Regierung irgendetwas für die Apotheken tut. Nach 18 Jahren in der Apotheke muss das Team kämpfen, die Motivation nicht zu verlieren. Denn die Menschen brauchen uns. Und sie brauchen uns ganz, keine halbherzigen Light-Varianten, während wir Notdienste, Rezepturen und pharmazeutische Dienstleistungen stemmen. Wir aber können ohne vernünftige Bezahlung nicht mehr lange durchhalten.

Liebe Bundesregierung, die Einladung steht. Zeigen Sie Interesse, und reden Sie mit uns, statt über uns. Wir alle in den Apotheken haben diesen Respekt verdient.

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