Mehrere Personen bilden mit ihren Händen einen schützenden Kreis um einen Globus.© roberthyrons/iStock/Getty Images Plus
Die WHO hat einen Vertrag aufgesetzt, der chaotische Zustände bei der nächsten Pandemie verhindern soll. Bis er unterzeichnet wird, kann es aber noch dauern.

Corona-Lehren

WAS DER WHO-PANDEMIEVERTRAG WELTWEIT BEWIRKEN SOLL

Mit dem neuen Pandemievertrag will die Weltgemeinschaft chaotische Zustände wie während der Corona-Pandemie verhindern. Der Vertrag der WHO soll künftige globale Gesundheitskrisen eindämmen – doch nicht alle Länder machen mit.

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Nie wieder soll die Welt bei einer großen globalen Gesundheitskrise wie der Corona-Pandemie in ähnliche Panik verfallen. Deshalb haben sich die Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen Pandemievertrag geeinigt.

Er soll chaotische Zustände bei der Beschaffung von Schutzmaterial und die ungerechte Verteilung der Impfstoffe verhindern. Der Pandemievertrag soll im Mai bei der WHO-Jahrestagung verabschiedet werden und tritt erst in Kraft, wenn 60 Länder ihn ratifiziert haben. Weil in Unterpunkten noch verhandelt werden müsste, dürfte das noch mindestens zwei Jahre dauern.

WHO: Vertrag stärkt Vorsorge

Ebenso wie WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach der amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von einer historischen Einigung. Der WHO-Vertrag regelt den schnellen Austausch von DNA-Sequenzen neuer Erreger. Damit steige die „Wahrscheinlichkeit, dass ein lokaler Ausbruch nie zu einer Pandemie wird“, sagte Lauterbach.

Die EU sieht die „Kapazitäten für die Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion sowie zur Entwicklung neuer medizinischer Gegenmaßnahmen gestärkt“, wie der EU-Kommissar für Gesundheit, Olivér Várhelyi, mitteilte. „Die Weltgemeinschaft setzt damit auch ein wichtiges Zeichen für Solidarität und Multilateralismus – und gegen den Trend zu Alleingang, Egoismus und Rückzug ins Schneckenhaus“, so die amtierende Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Den Europäern war Prävention ein besonderes Anliegen, damit sich tödliche Erreger möglichst gar nicht ausbreiten können. Eine neue globale Gesundheitskrise sei nur eine Frage der Zeit. Die Gefahr wächst, weil Menschen sich in Gebieten ausbreiten, die der Tierwelt vorbehalten waren – und durch den Kontakt Erreger von Tieren sich an Menschen gewöhnen können. Auch der Klimawandel mit Hitze und Überschwemmungen begünstigt die Ausbreitung von Insekten und Erregern.

Warum ein Pandemievertrag nötig ist

Bei der Corona-Pandemie hat jedes Land panikartig reagiert und zunächst ohne Rücksicht auf andere seine Interessen durchgesetzt. Regierungen haben sich gegenseitig Schutzmaterial streitig gemacht – und als der Impfstoff da war, haben viele Länder ihn gehortet. Den Kürzeren zogen immer die schwächsten Länder. Während in Europa teils schon die dritte Impfung verabreicht wurde, warteten in anderen Ländern Menschen noch auf den ersten Impfstoff.

Lehren aus der Corona-Pandemie

Das bis dahin unbekannte Virus Sars-CoV-2 breitete sich ab Ende 2019 von China innerhalb von Wochen weltweit aus. Direkt auf eine Infektion werden weltweit mindestens sieben Millionen Todesfälle zurückgeführt.

Zusammen mit indirekten Folgen dürften es nach Schätzungen gut 36 Millionen Tote gewesen sein: Menschen, die wegen der Corona-Pandemie keinen Arzt aufsuchen konnten oder deren Behandlung im Krankenhaus verschoben wurde etwa. Weltweit brach die Wirtschaft ein – Millionen Kleinunternehmer gingen Konkurs. Lehren aus der Corona-Pandemie sind daher unter anderem, wie dringend und wichtig ein Pandemievertrag ist.

Was mit dem Vertrag bei der nächsten globalen Gesundheitskrise anders wird

  • Prävention: Länder verpflichten sich, ihre Gesundheitssysteme und die Ăśberwachung des Tierreichs so zu stärken, dass KrankheitsausbrĂĽche schnell entdeckt und möglichst im Keim erstickt werden. Ziel ist, jede neue globale Gesundheitskrise frĂĽhzeitig einzudämmen.
  • Lieferketten: Alle Länder sollen Zugriff auf Schutzmaterial, Medikamente und Impfstoff haben. Gesundheitspersonal soll zuerst versorgt werden – das soll in kĂĽnftigen globalen Gesundheitskrisen fĂĽr mehr Fairness sorgen.
  • Technologietransfer: Pharmafirmen sollen ihr Know-how teilen, damit auch in anderen Ländern Medikamente und Impfstoffe produziert werden können. Im Pandemievertrag ist das als wichtiger Baustein fĂĽr kĂĽnftige Krisenreaktionen vorgesehen.
  • Forschung und Entwicklung: DNA-Sequenzen von Pathogenen sollen fĂĽr die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen frei zur VerfĂĽgung gestellt werden. Im Gegenzug sollen Pharmaunternehmen der WHO zehn Prozent ihrer Produktion zur Verteilung in ärmeren Ländern spenden und weitere zehn Prozent zu gĂĽnstigen Preisen abgeben (Pabs-System). Die Modalitäten mĂĽssen noch ausgehandelt werden – sie sollen in einen Anhang zum Vertrag der WHO aufgenommen werden.

Kompromisse beim Pandemievertrag

Dies ist aus Verhandlungskreisen zu hören: Die afrikanischen Länder hätten gerne strengere Auflagen im Pabs-System durchgesetzt – ebenso bessere Zusagen für den Technologietransfer und klarere Zusagen für Finanzierungshilfen zur Stärkung der Gesundheitssysteme. Europäische Verhandler hätten gerne stärkere Auflagen bei der Prävention gehabt.

Verschwörungserzählungen zum WHO-Vertrag

Gegen die WHO und den Pandemievertrag laufen seit Langem Kampagnen – vor allem in sozialen Netzwerken. Kolportiert wird, die WHO könne bei der nächsten globalen Gesundheitskrise Zwangsmaßnahmen anordnen. Auch die sehr konservative Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ haut in die Kerbe: „Die WHO würde mit dem neuen Vertragswerk faktisch zur mächtigsten Behörde der Welt, zu einer Behörde, die über den Ausnahmezustand entscheidet“, schreibt sie.

Das ist nicht der Fall. In Artikel 24 steht ausdrücklich, dass die WHO oder ihr Generaldirektor keine innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen anordnen können. Sie kann keine Reisebeschränkungen verhängen, Impfungen erzwingen oder Lockdowns anordnen – steht explizit im Text. Und: Der Pandemievertrag gilt nur in Ländern, die ihn ratifizieren. Es sind keine Strafmaßnahmen vorgesehen, wenn ein Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Reaktionen der Pharmaindustrie

Die Branche warnt davor, den Patentschutz im Zuge des Pandemievertrags zu lockern. Sonst lohnten sich risikoreiche Investitionen in die Forschung nicht mehr, sagt der Generaldirektor des Verbands der Pharmahersteller, IFPMA, David Reddy. Die Beteiligung von Firmen an jeglichen Abmachungen mĂĽsse freiwillig sein.

…und die USA?

Die USA sind außen vor. Mit dem Amtsantritt von Donald Trump haben sie sich an den Verhandlungen nicht mehr beteiligt. Trump hat ohnehin den Austritt aus der WHO verkündet – der im Januar 2026 wirksam wird. Auch Argentinien hat den Austritt erklärt und im Verhandlungsausschuss zu Protokoll gegeben, dass es sich dem Konsens über den Text nicht anschließt. Noch hat die WHO 194 Mitgliedsländer, doch nicht alle werden den Pandemievertrag ratifizieren.

Quelle: dpa

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