eine Frau zieht sich einen Pullover übers Gesicht© Koldunova_Anna / iStock / Getty Images Plus
Das Gefühl vor Scham im Pullover versinken zu wollen, kennt sicherlich jede*r von uns - und da soll Placebo helfen?

Neuer Ansatz bei Depressionen

PLACEBO GEGEN SCHULDGEFÜHLE

Kaum zu glauben, aber wahr: Schuldgefühle lassen sich durch Placebos verringern. Die Universität Basel führte dazu eine Untersuchung durch. Das Besondere: Auch wenn die Beteiligten wussten, dass es sich um ein Scheinmedikament handelte, funktionierte es.

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Jeder von uns tritt mal einem anderen auf die Füße. Und wenn wir merken, dass wir dadurch ungewollt Schaden verursachen, fühlen wir uns auch schon einmal schuldig. Je nach Charakter motiviert das zu Wiedergutmachungsmaßnahmen wie Entschuldigungen und Geständnissen, zumindest aber zu einem schlechten Gewissen – jedenfalls meistens.

Psychologen sehen das so: „Schuldgefühle können zwischenmenschliche Beziehungen verbessern und sind entsprechend wertvoll im gesellschaftlichen Miteinander“, sagt Dilan Sezer, Forscherin in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Basel. Sie sollten aber nachvollziehbar sein und der Situation angemessen.

Wirksam ohne Wirkstoff, aber vollem Bewusstsein

Wer nun tatsächlich aus der Abteilung genau auf die Idee kam, mit Placebos zu arbeiten, ist nicht mehr festzustellen. Heraus kam aber, dass man den Versuchsteilnehmern eine Verminderung dieses Negativ-Gefühls mittels einer Tablette in Aussicht stellte: All das stand im renommierten Fachmagazin Scientific Reports zu lesen.

Der Versuchsaufbau ging so: Um bei den Teilnehmern Schuldgefühle hervorzurufen, sollten diese ein Erlebnis aufschreiben, bei dem sie wichtige Verhaltensregeln missachtet, eine vertraute Person unfair behandelt, verletzt oder gar geschädigt hatten. Und: Die gewählte Situation sollte die (psychisch durchweg gesunden) Studienteilnehmer noch immer belasten.

Dann erfolgte eine Unterteilung in drei Gruppen: Die eine erhielt ein Placebo, dachte aber, es sei ein Arzneimittel. Die zweite wusste, dass ihre Pille bloß Placebo war. Und die dritte – die Kontrollgruppe – erhielt überhaupt keine „Behandlung“. Kaum zu glauben, was dabei herauskam: Die Schuldgefühle verringerten sich bei den Angehörigen beider Placebo-Gruppen signifikant gegenüber jenen ganz ohne Medikation.

„Unsere Studie stützt damit die faszinierende Erkenntnis, dass Placebos selbst dann wirken, wenn man sie offen verabreicht“, staunt Frau Sezer: Zumal man den Teilnehmern natürlich gesagt hatte, dass die Einnahme der Tablette zentral für deren Wirksamkeit sei.

Forschungsansatz für die Behandlung von Depressionen?

Schuldgefühle bezeichnet man als maladaptiv (unangemessen), wenn diese irrational sind und über einen langen Zeitraum bestehen. So etwas kann dann gesundheitliche Folgen haben; ist ein häufiger Auslöser für Depressionen. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist zwar bekannt, dass es bei der Behandlung von Depressionen große Placebo-Effekte gibt. Dass aber auch offen verabreichte Placebos eine Wirkung haben, ist neu.

Sezer findet diesen Ansatz vielversprechend, denn er wahrt nach ihrer Ansicht die Autonomie des Patienten. Außerdem sei er symptomspezifisch und ethisch vertretbar. Ob nun eine Placebo-Behandlung auch maladaptive Schuldgefühle verringern kann, muss die weitere Forschung zeigen.

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft

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