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WANN MEDIKAMENTE DIE FAHRTÜCHTIGKEIT BEEINFLUSSEN KÖNNEN
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In Deutschland entscheidet man selbst, ob man Auto fahren kann. Auch Medikamente stehen dem nicht zwingend im Weg. Allerdings muss man selbst abwägen, ob die Fahrtüchtigkeit gegeben ist. Passiert etwas, kann es teuer werden oder sogar im Gefängnis enden. Das gilt auch, wenn zusätzlich Alkohol konsumiert wird.
Bei manchen Medikamenten ergibt sich ein möglicher Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit aus der Wirkung: bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln beispielsweise. Aber auch viele andere Medikamente oder ihre Nebenwirkungen sollten Sie bei der Abgabe im Blick haben.
Medikamente beeinflussen die Fahrtüchtigkeit unterschiedlich
Rund ein Fünftel aller zugelassenen Medikamente können einen Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit haben, aber nur jeder Dritte weiß das über sein Arzneimittel. Hier besteht also Nachholbedarf. Denn es gibt in Deutschland kein Gesetz, dass das Fahren eines Autos, Motorrads oder E-Scooters unter Medikamenteneinfluss generell verbietet. Vielmehr entscheidet derjenige, der das Medikament einnimmt, ob seine Fahrtüchtigkeit gegeben ist oder nicht. Um das beurteilen zu können, braucht der Betroffene sichere Informationen.
Bei Neuverordnungen eines Medikamentes muss der Arzt den Patienten auf mögliche Einschränkungen seiner Fahrtüchtigkeit hinweisen. Am besten dokumentiert er das in der Patientenakte. Die Anwender der Medikamente müssen sich außerdem selbst informieren, ob ihre Fahrtüchtigkeit beeinflusst werden kann, zum Beispiel dann, wenn sie ein nicht rezeptpflichtiges Arzneimittel in der Apotheke kaufen. Aber auch das Apothekenteam muss bei der Abgabe von Medikamenten die entsprechenden Informationen zur Fahrtüchtigkeit vermitteln. Hier kommt es auf die Beratung durch PTA und Apotheker an.
Andere Länder machen es vor: Medikamente und Fahrtüchtigkeit auf einen Blick
Laut EU-Standards teilt man Medikamente hinsichtlich ihres möglichen Einflusses auf die Fahrtüchtigkeit in vier Klassen ein. In Frankreich oder Spanien sind entsprechende Piktogramme mit Warnhinweisen auf den Packungen der Medikamente Pflicht. So wissen Behandelte auf einen Blick, ob sie mit Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit rechnen müssen.
- Kategorie 0: mutmaßlich sicher oder kein Einfluss, kein Warnhinweis nötig (z. B. Paracetamol)
- Kategorie 1: wahrscheinlich geringer Effekt des Medikamentes auf die Fahrtüchtigkeit; Patient soll vor Fahrt Beipackzettel lesen (z. B. Cetirizin, Pentoxyverin)
- Kategorie 2: wahrscheinlich moderater Effekt, Patient soll vor Fahrt Rat beim Arzt oder in der Apotheke einholen und den Beipackzettel lesen (z.B. Triptane)
- Kategorie 3: wahrscheinlich großer Effekt, Patient soll kein Fahrzeug führen, bis die Wirkung oder Nebenwirkung abgeklungen ist. Vor der Wiederaufnahme des Fahrens soll der Arzt konsultiert werden. (z. B. Doxylamin, Benzodiazepine)
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Nicht jedes Medikament beeinflusst die Fahrtüchtigkeit immer gleich
Ob und wie stark Medikamente die Fahrtüchtigkeit beeinflussen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Im Alter werden Arzneimittel oft langsamer verstoffwechselt, daher können Medikamente wie Schlafmittel auch am nächsten Tag noch Müdigkeit verursachen und so die Fahrtüchtigkeit herabsetzen. Auch das Geschlecht, die Tagesform, gleichzeitig angewendete andere Medikamente und genetische Unterschiede im Stoffwechsel spielen eine Rolle für die Fahrtüchtigkeit.
Bei manchen Medikamenten lässt sich der Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit aus der Wirkung ableiten. Dazu zählen Schlaf- und Beruhigungsmittel, aber auch sedierende Antihistaminika und tri- und tetrazyklische Antidepressiva. Auch Medikamente gegen Epilepsie, Parkinson und Psychosen können die Fahrtüchtigkeit beeinflussen. Starke Schmerzmittel wie Opioide verursachen vor allem bei Therapiebeginn Sedierung und verlangsamte Reaktionen. Ist der Betroffene auf die Medikamente gut eingestellt, ist in der Regel auch die Fahrtüchtigkeit wieder gegeben.
Für Medizinalcannabis macht das Straßenverkehrsgesetz „bei bestimmungsgemäßem Gebrauch“ eine Ausnahme vom Verbot am Steuer. Man darf also Auto fahren wie mit anderen Medikamenten auch. Die Fahrtüchtigkeit muss man aber selbst beurteilen. Sollte ein Missbrauch vorliegen (etwa dann, wenn die verordneten Mengen deutlich überschritten wurden) oder die Fahrtüchtigkeit nicht mehr gegeben sein, kann das schwere Konsequenzen haben. Etwa, wenn eine auffällige Fahrweise oder die Gefährdung anderer vorliegen.
Grundsätzlich sollte man (nicht nur, wenn man Medikamente wie Opioide oder Medizinalcannabis anwendet) bei Zweifeln an seiner Fahrtüchtigkeit das Auto natürlich stehen lassen. Das Mitführen eines ärztlichen Attestes oder einer Rezeptkopie hilft, Missverständnissen vorzubeugen. Unter Umständen kann der Arzt bei der Verordnung von Medikamenten auch ein Fahrverbot aussprechen.
Nicht bei allen Medikamenten ist jedoch ein Arzt involviert, der die Fahrtüchtigkeit beurteilen kann. Auch ohne Rezept kann man Schlafmittel wie Doxylamin und Diphenhydramin, sedierende Antihistaminika wie Dimetinden und Chlorphenamin sowie zentral wirksame Hustenstiller und Stimulanzien (Pseudoephedrin) in jeder Apotheke kaufen. Hier ist Ihre Beratung gefragt, um bei für die Kunden harmlos erscheinenden Medikamenten gezielt auf mögliche Einschränkungen der Fahrtüchtigkeit hinzuweisen.
Besonderes Augenmerk sollten Sie auf die Kombinationsarzneimittel zum Beispiel gegen Kopfschmerzen oder Erkältungskrankheiten legen. Diese Medikamente können die Fahrtüchtigkeit stark beeinflussen. Zum einen enthalten sie oft Koffein oder Pseudoephedrin, welche als zentrale Stimulanzien zu Selbstüberschätzung, risikofreudigerem Fahrstil und übersteigertem Antrieb führen können. Lässt die Wirkung nach, werden Betroffene oft müde, was das Unfallrisiko erhöht.
Auch Hustenstiller wie Dextromethorphan und Pentoxyverin wirken zentral dämpfend, besonders in der Kombination mit Antihistaminika, Schmerzmitteln und Alkohol. Medikamente, die verschiedene Wirkstoffe kombinieren, erfordern bei der Abgabe dringend einen Hinweis auf die möglicherweise eingeschränkte Fahrtüchtigkeit.
Medikamente, die die Fahrtüchtigkeit direkt beeinflussen können
- Antikonvulsiva (Carbamazepin, Gabapentin, Phenytoin, Valproat)
- Sedierende Antihistaminika (Chlorphenamin, Promethazin, Dimetinden, Doxylamin, Diphenhydrinat)
- Opiate
- Tri-und tetrazyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin, Clomipramin, Mirtazapin, Mianserin, Imipramin)
- Triptane
- Antipsychotika (Haloperidol, Clozapin, Olanzapin, Amisulprid)
- Benzodiazepine (Diazepam, Oxazepam, Flunitrazepam)
- Z-Substanzen (Zopiclon, Zolpidem)
- Ophthalmika (Atropin)
- Stimulanzien (Pseudoephedrin, Koffein)
Auch indirekt können Medikamente, aber auch die zu behandelnden Grunderkrankungen die Fahrtüchtigkeit beeinflussen. So können sich bei der Kombination mehrerer Medikamente oder bei gleichzeitigem Genuss von Alkohol zentral dämpfende Nebenwirkungen verstärken und die Fahrtüchtigkeit einschränken. Besonderes Augenmerk gilt immer älteren Menschen. Aufgrund ihres veränderten Stoffwechsels oder ihrer Polymedikation sind sie besonders anfällig für Nebenwirkungen.
Grundsätzlich gilt: bei Warnzeichen wie Müdigkeit, Schwindel, Benommenheit, Sehstörungen und Unruhe sollte das Auto stehen bleiben!
Bei Bluthochdruck und Diabetes besteht zu Therapiebeginn und bei Dosisänderungen der Medikamente ein erhöhtes Risiko, dass die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sein kann. So können Blutdruckschwankungen oder Blutzuckerspitzen entstehen, die zu Kreislaufproblemen, Schwindel und Müdigkeit führen können. Gerade dann sollten Betroffene sich lieber nicht hinters Steuer setzen. Ist die Therapie mit den Medikamenten eingestellt, ist auch meist die Fahrtüchtigkeit wieder gegeben. Gleiches gilt, wie schon erwähnt, für Opioide.
Bei welchen Medikamenten herrscht ein Fahrverbot?
Der Arzt kann, wenn er neue Medikamente verordnet, auch ein Fahrverbot aussprechen. Aber auch eine neu diagnostizierte Grunderkrankung kann dazu führen, dass Betroffene nicht selbst fahren dürfen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn eine Epilepsie oder eine koronare Herzkrankheit festgestellt wird. Hier besteht während der Fahrt ein Risiko, dass ein epileptischer Anfall oder Angina pectoris auftritt, was auch eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ist. Sind Betroffene gut auf ihre Medikamente eingestellt, kann das Fahrverbot aufgehoben werden. Das geschieht bei Epilepsie in der Regel nach einem definierten anfallsfreien Zeitraum.
Auch Einschränkungen des Seh- und Hörvermögens, Nervenerkrankungen (Polyneuropathie, Multiple Sklerose) Bewegungseinschränkungen und psychische Störungen können entweder selbst zu einem Fahrverbot führen oder machen die Anwendung von Medikamenten notwendig, die die Fahrtüchtigkeit beeinflussen. Die Bedingungen, unter denen ein entsprechendes Gutachten von qualifizierten Ärzten erstellt werden kann, legt die Fahrerlaubnis-Verordnung fest.
Nicht nur zentral im Gehirn kann die Fahrtüchtigkeit negativ beeinflusst werden. Wird eine augenärztliche Untersuchung mit Medikamenten durchgeführt, die die Pupillen erweitern, besteht ebenfalls ein temporäres Fahrverbot für die Zeit, in der die Fahrtüchtigkeit wegen der verschwommenen Sicht und der Blendempfindlichkeit nicht gegeben ist. Meist klingt die Wirkung nach wenigen Stunden ab.
Auch sedierende Medikamente, wie sie bei Spiegelungen oder anderen kurzen Eingriffen zum Einsatz kommen, haben ein Fahrverbot zur Folge. Bei Opioiden kann auch nach längerer Behandlung eine Pupillenverengung dazu führen, dass die Blendempfindlichkeit in der Dämmerung oder nachts verstärkt wird. Auch dann empfiehlt sich, das Auto stehenzulassen.
Grundsätzlich entscheiden Verkehrsteilnehmende selbst, ob ihre Medikamente ihre Fahrtüchtigkeit beeinflussen oder nicht. Nur in besonderen Fällen kann der Arzt ein Fahrverbot aussprechen. Im Unterschied zu Alkohol, bei dem es klare Promillegrenzen für die Fahrtauglichkeit gibt, gilt das nicht für Medikamente. Hier brauchen Betroffene auch Ihre Informationen bei der Abgabe, um ihre Fahrtüchtigkeit sicher beurteilen zu können.
Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wann-das-auto-besser-stehen-bleibt-143482/
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-31-2023/safety-first
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/einschraenkungen-durch-arzneimittel-149906/
https://www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Arzneimittelkommission/Publikationen/OTC-Arzneimittel_und_Strassenverkehr_Handreichung.pdf