Gerichtsbeschluss
STREIT UM GINKGO – ARZNEI- ODER LEBENSMITTEL?
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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 24. August beschlossen: Präparate, die als wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoff monographiekonformen Ginkgo-biloba-Trockenextrakt enthalten und eine Verzehrempfehlung von 100 Milligramm (mg) pro Tag angeben, sind Arzneimittel, keine Nahrungsergänzungsmittel (NEM).
Viele Pflanzenextrakte sind sowohl als NEM als auch als Arzneimittel erhältlich, abhängig zum Beispiel von ihrer Wirksamkeit und Studienlage. Das Problem bei Extrakten aus Ginkgo biloba sind vor allem seine Ginkgolsäuren. Sie kommen natürlicherweise in den Blättern vor, sind aber potenziell krebserregend. Arzneimittelhersteller müssen sie aus dem Extrakt entfernen, sodass maximal 5 ppm (also 0,0005%) enthalten bleiben. Für Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel wie Tee gilt diese Höchstgrenze nicht.
Antrag auf Ginkgo-NEM löst zehn Jahre langen Rechtsstreit aus
Ein NEM-Hersteller wollte 2012 ein Nahrungsergänzungsmittel mit einer empfohlenen Verzehrmenge von 100 mg Ginkgo-biloba-Trockenextrakt auf den Markt bringen, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hatte den Antrag jedoch abgelehnt, da die Produkte Arzneimitteleigenschaften besäßen, also pharmakologisch wirkten.
Der Hersteller klagte dagegen (und verlor vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig), legte Berufung ein (und verlor 2017 vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg). Die Revision hätte vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ausgetragen werden sollen. Die Richter dort merkten 2019 stattdessen an, dass man außer der arzneilichen Wirkung auch potenzielle Gesundheitsrisiken bei der Entscheidung berücksichtigen müsse, und gaben den Fall zurück nach Lüneburg. Das ist außergewöhnlich, denn ob ein Präparat ein Nahrungsergänzungsmittel und damit ein Lebensmittel oder aber ein Arzneimittel ist, wird normalerweise anhand der Wirksamkeit entschieden.
Statt der Wirksamkeit entschieden die Risiken
Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg prüfte also auch die Risiken und kam 2021 zu dem gleichen Ergebnis wie zuvor: Es stufte das Präparat als Arzneimittel ein. Es stellte in seiner Einschätzung fest: Erzeugnisse mit einer Dosierung von 100 mg GbE pro Tag sind potenziell kanzerogen, erhöhen das Risiko von Blutungen und sind für weitere unspezifische Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit ursächlich.
Das leiteten die Richter einerseits aus Studien zu Arzneimitteln mit Tagesdosen von 80 mg und 120 mg ab, andererseits aus dem Nachweis, dass die Wirkung dosisabhängig linear ansteigt. Heißt: Wenn die Nebenwirkungen von 80- und 120-mg-Präparaten bekannt sind, kann man davon ausgehen, dass die Stärke der Nebenwirkungen von 100-mg-Präparaten in der Mitte liegen. Und wäre das Ginkgo-Präparat ein Lebensmittel, könnten dem Produkt zwar Warnhinweise beigefügt werden, diese würden aber nicht ausreichen um die Verbraucher zu schützen, erklärten die Richter weiter.
Wissenstransfer aus anderen Studien ist zulässig
Der Hersteller legte Beschwerde gegen das Urteil ein; nur klinische Studien zu dem Produkt selbst würden solche Aussagen erlauben. Das Bundesverwaltungsgericht entschied jedoch, dass auch Studien zu anderen Präparaten mit dem gleichen Wirkstoff in anderer Dosierung zur Risikobeurteilung zulässig sind. Es wies die Beschwerde also diesen August ab. Damit ist der Fall final entschieden.
Kommentar
Die Richter fanden, ein Warnhinweis würde Verbraucher zwar über die Risiken des Präparats informieren. Er reicht aber nicht aus, um sie davor zu schützen, sie also von der Einnahme abzuhalten. Das zeigt, wie wichtig die persönliche Beratung in der Apotheke ist: PTA fragen das individuelle Risiko ihrer Kunden ab, können erklären, warum ein Arzneimittel im Einzelfall nicht geeignet ist und nötigenfalls die Abgabe verweigern.
Diese Beratungsleistung muss erlernt werden, die Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber vergütet und Zulassungsstudien sind teuer – das erklärt, warum Arzneimittel teurer sind als Nahrungsergänzungsmittel mit ähnlichen Inhaltsstoffen. Im speziellen Fall Ginkgo kommt hinzu, dass die Entfernung der schädlichen Ginkgolsäuren aufwändig ist. Vielleicht sind das Argumente für das nächste Mal, wenn ein Kunde fragt, wieso sein Ginkgo-Präparat so teuer ist.
Quelle: Pharmazeutische Zeitung