Botanicals
FASZINIERENDER ÜBERLEBENSKÜNSTLER
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Ginkgo ist ein ganz besonderer Baum mit vielen Namen. Die Japaner nennen ihn nach dem Aussehen seiner fleischigen Samen ginkyo, von jap. gin = Silber und kyo = Aprikose. Der deutsche Arzt und Forschungsreisende Engelbert Kaempfer lernte den Baum auf seinen Japanreisen Ende des 17. Jahrhunderts kennen. Er war von dem außergewöhnlichen Baum mit den eigenartigen Blättern derart fasziniert, dass er ihn in seiner Pflanzensammlung Flora Japonica beschrieb, wobei ihm ein Schreibfehler unterlief. Aus dem y machte er fälschlicherweise ein g, womit er in der westlichen Welt den Namen Ginkgo geschaffen hatte. Diesen nahm der Botaniker Carl von Linné später in seiner Nomenklatur auf, ergänzte ihn mit der Artbezeichnung biloba (lat. bilobus = zweilappig) und verewigte Ginkgo gleichzeitig damit.
Einzigartiger Baum Der Artname spielt auf die zweilappigen Blätter des sommergrünen Baumes an. Ebenso nimmt das bekannte Synonym Fächerblattbaum die typische fächerförmige Gestalt der sich im Herbst gold-gelb verfärbenden Blätter auf. Die vier bis zehn Zentimeter langen Blätter sind meist gelappt und werden von gabeligen Blattnerven durchzogen. Eine Mittelrippe fehlt, ebenso eine Queraderung. Damit erinnern sie mehr an Farne als an Laubbäume. Doch beides ist der Ginkgobaum nicht. Desgleichen zählt er nicht zu den Nadelbäumen, obwohl sein Holz dem der Koniferen ähnelt. Ginkgo biloba nimmt vielmehr eine Sonderstellung als einziger überlebender Vertreter der Familie der Ginkgogewächse (Ginkgoaceae) aus der Klasse Ginkgo (Ginkgopsida) ein.
Relikt alter Zeiten Ginkgo biloba wuchs bereits im Mesozoikum, also zu einer Zeit, während der die Dinosaurier die Erde bevölkerten. Im Gegensatz zu den Urtieren überlebte der überaus zähe Baum in Ostasien die darauffolgenden Eiszeiten. Somit existiert er schon seit vielen Millionen Jahren, was ihm als ältestem Baum der Erde die Bezeichnung lebendes Fossil einbrachte. Der Name passt auch gut zu ihm, da der bis zu 40 Meter hohe Baum über 1000 Jahre alt werden kann. Zudem wird Ginkgo biloba Japanischer Tempelbaum genannt, da er sich zunehmend in Japan verbreitete, wo er noch heute hoch angesehen ist und in Tempelgärten kultiviert wird. Neben der religiösen Verehrung findet Ginkgo seit Jahrtausenden in Asien eine breite Verwendung als Heilpflanze. Nicht nur in alten Kräuterbüchern wird über seine Heilkraft berichtet, auch die Volksmedizin setzt Ginkgo vielfältig bei unterschiedlichsten Indikationen ein (z. B. Asthma, Bluthochdruck, Wurmbefall).
Widerstandsfähig und dekorativ Im 18. Jahrhundert wurde Ginkgo biloba als Zierbaum nach Europa geholt. Da der Baum aber nicht nur die Gärten schmückt, sondern auch äußerst robust gegenüber Schädlingen und Abgasen ist, dient er seitdem vor allem als Allee- und Straßenbaum. Dafür werden meist nur die männlichen Exemplare des zweihäusigen Baumes angepflanzt. Die Bäume mit den weiblichen Blüten sind nicht erwünscht, da ihre mirabellenähnlichen Früchte beziehungsweise Samen nicht nur beim Verwesen einen unangenehmen Geruch nach Buttersäure verströmen, sondern zudem sehr glitschig und damit rutschig für die Verkehrsteilnehmer sind. Geröstet sind die essbaren Samenkerne in China hingegen eine begehrte Delikatesse. Sie schmecken nicht nur gut, sondern gelten auch als ein natürliches Aphrodisiakum.
Einen guten Überblick über Ginkgo und viele weitere Heilpflanzen vermittelt auch das Lehrbuch Physiotherapie von Fintelmann, Weiss und Kuchta, 13., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016, 480 S., 134 Abb., ISBN 9783132400153. Neben botanischen Informationen zur Pflanze werden Indikationen für den Einsatz pflanzlicher Arzneimittel aufgeführt. Zudem werden die Ausführungen teilweise durch aktuelle Forschungsergebnisse ergänzt.
Einzigartig und wirkungsvoll Bei uns ist der Ginkgobaum vor allem eine geschätzte Heilpflanze. Als wirksam gelten seine Blätter, die reich an Flavonoiden und Terpenlactonen, insbesondere Ginkgoliden und Bilobalid sind. Daraus werden Extrakte gewonnen, in denen die relevanten Inhaltsstoffe (Ginkgolide und Terpenlactone) angereichert vorliegen und die störenden Stoffe entfernt wurden. So soll insbesondere die Menge an den allergenen und eventuell auch neurotoxisch und mutagen wirkenden Ginkgolsäuren auf unter 5 ppm reduziert werden. Das Zusammenspiel der erwünschten Substanzen ist für die zahlreichen Eigenschaften des Ginkgo-Extraktes verantwortlich, die in vielen Untersuchungen gezeigt werden konnten.
Demnach erhöhen die Extrakte die Fließfähigkeit des Blutes, insbesondere im Bereich der kleinen Gefäße (Mikrozirkulation) und fördern folglich die Durchblutung (z. B. im Gehirn), sodass das Gewebe wieder besser mit Glucose und Sauerstoff versorgt werden kann. Zudem wird die Fähigkeit der Nervenzellen verbessert, sich untereinander zu vernetzen, diese Verknüpfungen zu verstärken oder auch zu lösen. Ebenso vermag Ginkgo freie Sauerstoffradikale zu inaktivieren und vor toxischem und oxidativem Stress sowie gegen Beta-Amyloid Fraktionen zu schützen. Letztere spielen bei der Alzheimer-Erkrankung eine wichtige Rolle.
Empfehlenswerte AnwendungsgebieteDie vielfältigen positiven Effekte der Blätterextrakte sind Grundlage der zahlreichen Indikationen, bei denen Ginkgo zur Anwendung kommt. Beispielsweise wird der Ginkgo-Extrakt schon seit langem zur Linderung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (Schaufensterkrankheit, med. Claudicatio intermittens), bei Schwindelbeschwerden oder gegen belastende Ohrgeräusche (Tinnitus) eingesetzt. Gute Ergebnisse zeigt er auch bei Personen mit beginnenden kognitiven Leistungseinbußen bei leichter Demenz. Mit Ginkgo lassen sich eine nachlassende Konzentrationsfähigkeit und die Merkfähigkeit des Gedächtnisses wieder steigern und damit die Lebensqualität verbessern.
Ginkgo ist nicht gleich GinkgoAllerdings kann nicht jedes Ginkgo-Präparat die postulierten Wirkungen für sich beanspruchen. Die weitaus meisten Belege liegen für den Spezialextrakt EGb 761® vor, einem standardisierten Ginkgo-Extrakt, der durch ein genau festgelegtes Extraktionsverfahren gewonnen wird. Die positiven Ergebnisse der zahlreichen klinischen und präklinischen Studien, die mit diesem Spezialextrakt gemacht wurden, können nicht einfach auf andere Ginkgo-Präparate übertragen werden.
Daher lässt sich auch die Wirkung eines Ginkgo-basierten Nahrungsergänzungsmittels (NEM) nicht mit der Wirkung eines gut erforschen und als Arzneimittel zugelassenen Spezialextraktes vergleichen. Bei einem NEM ist die Wirksamkeit unklar und die Qualität oft fragwürdig. Deren Extrakte sind nicht standardisiert und können sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Somit kann man auch nicht automatisch davon ausgehen, dass die wirksamen Inhaltsstoffe angereichert und die unerwünschten Substanzen im ausreichendem Maße entfernt wurden.
Wirksame DosenUm die Wirkungen von Ginkgo zu gewährleisten, sollten seine Blätter also in Form von Fertigarzneimitteln angewendet werden, die standardisierte Extrakte enthalten. Als wirksame Tagesdosis gelten (120-) 240 mg des Extrakts. Die Bereitung eines Teeaufgusses ist nicht empfehlenswert, da die wirksame Dosis nicht erreicht wird. Zudem ist die Konzentration an schädlichen Ginkgolsäuren im Drogenmaterial, das keine Arzneibuchware ist, häufig nicht kontrolliert.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 80.
Gode Chlond, Apothekerin