Ganganalyse
WAS DER GANG EINES MENSCHEN ÜBER SEINE KRANKHEIT VERRÄT
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Wissenschaftler führen Gangbildanalysen durch und hoffen, mit den erhobenen Daten Algorithmen für die Diagnose verschiedener Krankheiten zu entwickeln. An der Uniklinik Mainz und auch in Heidelberg laufen dazu Forschungsprojekte.
Noch ist es nicht so weit, aber die Forscher hoffen, in Zukunft in vielen Bereichen schneller und besser reagieren zu können.
Datenbank für Gesunde in Mainz
Fabian Horst, Sportwissenschaftler an der Universität Mainz, hat die weltweit größte Sammlung an Gangbildern von 400 gesunden Menschen zusammengetragen. Eines Tages hofft er, dass es möglich ist, anhand des Gangbildes Erkrankungen wie Parkinson und MS, aber auch orthopädische oder Herzleiden zu erkennen. Dabei soll selbstlernende Künstliche Intelligenz (KI) helfen. Diese erkennt mit den von Horst ermittelten Daten kleinste Abweichungen, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. So könnte KI die Diagnostik verschiedener Erkrankungen besser und schneller machen.
Fabian Horst ermittelt vor allem zwei Standardparameter, die mit Hilfe von Messplatten im Boden erfasst werden. Der Vorteil: in allen Laboren sind die Methoden, mit denen diese Werte gemessen werden, gleich. Das macht die gewonnenen Daten gut vergleichbar, auch mit anderen Datenbanken. Die Mainzer Daten sind für Wissenschaftler weltweit frei zugänglich. Die stetig wachsenden Informationen sollen es ermöglichen, immer präzisere Referenzwerte zu erhalten.
Spezielle Sensoren für Kranke aus Heidelberg
Bereits 2019 startete das internationale Projekt Mobilise-D. Hierbei handelt es sich um eine Fünfjahresstudie mit über 2000 Probanden. Der Leiter der Untersuchung ist Clemens Becker, Chef der Unit Digitale Geriatrie am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Teilnehmer leiden an unterschiedlichsten Erkrankungen, die Störungen des Gangbildes mit sich bringen können. Eingeschlossen sind Personen mit Osteoporose, die eine Hüftfraktur erlitten haben, Herz- und Lungenpatienten mit stark beeinträchtigter Kondition sowie Parkinson- und MS-Betroffene. Alle genannten Erkrankungen können zu Veränderungen im Gangbild führen, sei es, weil wegen Atemnot oder Schmerzen das Tempo verringert ist, oder weil Koordinationsstörungen durch neurologische Probleme den Gangrhythmus oder die Symmetrie beeinträchtigen. Ziel des Mammutprojektes ist, die Mobilität und das Gangbild bei unterschiedlichsten Bewegungseinschränkungen zu analysieren, Krankheitsverläufe zu dokumentieren, die Wirksamkeit von Therapien zu bewerten und künftige Diagnosemethoden, zum Beispiel durch KI, auszuloten.
Für die Studie wurde ein spezieller Algorithmus entwickelt, der mit Hilfe eines Sensors am unteren Rücken der Probanden selbst kleinste Bewegungen erfasst. Beckers Angaben zufolge reagiert das Gerät viel empfindlicher als die zum Beispiel in Smartwatches verbauten gängigen Sensoren. Die Probanden werden innerhalb von zwei Jahren fünf Mal mit dem Sensor ausgestattet. Jeweils neun Tage lang begleitet das Gerät die Menschen in ihrem Alltag. Das kann eine Laboranalyse nicht leisten.
Auffälligkeiten nicht nur bei MS und Parkinson
Die Gehgeschwindigkeit, die der Sensor ermittelt, sagt viel darüber aus, wie vital der betreffende Mensch ist. Laut Becker sind dadurch recht präzise Aussagen über die Sterbewahrscheinlichkeit in den nächsten fünf Jahren möglich. Wer langsamer geht, stirbt statistisch gesehen früher. Auch die Schrittzahl ist hier ein wichtiges Kriterium.
Der Algorithmus der Heidelberger misst auch die Gangsicherheit. So sollen behandelnde Ärzte zukünftig in der Lage sein, durch Medikamente ausgelöste Sturzgefahr frühzeitig zu erkennen. Die Gangsymmetrie und die Regelmäßigkeit der Schrittlänge sind wichtige Kriterien bei der Früherkennung von Parkinson. In Krankenakten waren Beckers Angaben zufolge bereits fünf Jahre vor einer entsprechenden Diagnose erste auffällige Asymmetrien im Gangbild sichtbar. Auch bei MS lassen sich charakteristische Auffälligkeiten im Gang erkennen.
Becker hofft, durch die Daten seiner Untersuchungen zur Ermittlung möglichst vieler medizinisch relevanter Parameter beizutragen. So könnten vielleicht in Zukunft mit Hilfe einer Kombination aus KI-gestützter Ganganalyse ermittelter Biomarker Frühdiagnosen der Parkinson-Krankheit möglich sein. Auch könnten behandelnde Ärzte die Wirksamkeit von Therapien besser beurteilen. Noch, so Becker, ist das Zukunftsmusik.
Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/gehst-du-gut-gehts-dir-gut/
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0966636223012523?via%3Dihub
https://www.pressetext.com/news/eine-der-weltgroessten-datenbanken-zur-ganganalyse.html
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