Eine Person, die auf dem Boden kniet, lässt eine Handvoll Erde durch ihre Finger rinnen.© Sakorn Sukkasemsakorn / iStock / Getty Images Plus
Keine Trüffel, keine Diamanten, kein Erdöl: Sind die wahren Schätze des Bodens neue Arzneistoffe?

Antibiotikum aus dem Boden

DIE APOTHEKE IN DER ERDE

Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen fordern jedes Jahr allein in Deutschland über 2000 Menschenleben. Es werden dringend neue Antibiotika gebraucht, die bei diesen Infektionen sicher wirken. Ein neues Wirkstofflabor befindet sich unter unseren Füßen: der Boden.

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Forscher in den Niederlanden haben eine vielversprechende Substanz aus Bodenbakterien isoliert. Sie tötet Keime, die gegen andere Antibiotika resistent sind. Gegen die neue Substanz hingegen sind noch keine Resistenzen bekannt.

Bakterien in unseren Böden sind bekannt dafür, natürliche Antibiotika zu bilden. Man muss sie nur finden. Das Beste: Auch Sie können jetzt bei der Suche helfen.

Neues Antibiotikum gegen MRSA

Ein Team um Rhythm Shukla und Markus Weingarth von der Universität Utrecht hat Bodenproben aus South Carolina, USA, untersucht. Dabei stießen die Forscher auf ein Bakterium namens Eleftheria terrae. Diese besondere Bakterienspezies produziert den Stoff Clovibactin, eine Substanz, die in Mäusen resistente Stämme des Bakteriums Stapylococcus aureus abtötet.

Staphylococcus aureus ist berüchtigt dafür, Multiresistenzen zu bilden, und ist als Krankenhauskeim gefürchtet. Die Abkürzung MRSA steht für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus; ein Keim, der die meisten Antibiotika abwehren kann.

Der neue Stoff Clovibactin wirkt hierbei genauso effektiv wie Vancomycin, ein Reserveantibiotikum, mit dem bisher behandelt wird.

Boden-Antibiotikum mit neuer Wirkweise

Clovibactin greift gezielt Strukturen an, die für den Aufbau der Bakterienzellwand unverzichtbar sind. Dabei richtet es sich gegen drei verschiedene Moleküle. Co-Autorin Tanja Schneider erklärt: „Das verbessert die Aktivität des Medikaments und erhöht seine Robustheit gegenüber Resistenzentwicklungen erheblich.“

„Das verbessert die Aktivität des Medikaments und erhöht seine Robustheit gegenüber Resistenzentwicklungen erheblich.“

Da die Substanz an die Pyrophosphat-Strukturen der Zielmoleküle bindet, dürfte eine Resistenzbildung nach Ansicht der Forscher schwer möglich sein. Denn diese Strukturen sind unveränderlich; es sind nicht die Strukturen, die sich bei einer Resistenzentwicklung an das Antibiotikum anpassen. Die Clovibactin-Moleküle schließen die Zielstrukturen so lange fest ein, bis das Bakterium abstirbt.

Bodenbakterien nutzbar machen

Bodenbakterien lassen sich im Labor meist schlecht oder gar nicht kultivieren, weil die Lebensbedingungen schwierig nachzubilden sind. Den Forschern aus Utrecht gelang es mit Hilfe eines speziell entwickelten Chips jedoch, Eleftheria terrae zu züchten und Clovibactin zu isolieren.

Bis die Substanz beim Menschen angewendet werden kann, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Es müssen zunächst weitere Studien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit durchgeführt werden. Dem Team aus Utrecht zufolge hat die Substanz aber großes Potenzial.

Gartenbeet als Wirkstofflabor?

Generell setzen Wissenschaftler weltweit große Hoffnungen in die Mikroorganismen, die in unseren Böden leben. Neue Schätzungen einer Züricher Arbeitsgruppe um den Forscher Mark Anthony gehen davon aus, dass der Boden der artenreichste Lebensraum unserer Erde ist. Er beherbergt rund 59 Prozent aller Arten unseres Planeten.

Die Forscher fordern, die Böden besser zu schützen. Durch intensive Landwirtschaft, den Klimawandel oder invasive Arten steht der Lebensraum ihrer Meinung nach stark unter Druck. Er sollte beim Umweltschutz mehr berücksichtigt werden.

Viele Bakterien und Pilze aus dem Boden produzieren antimikrobielle Substanzen. Die Bakteriengattung Streptomyces beispielsweise hat hier große Bedeutung, denn aus ihr stammen rund 70 Prozent aller aus Bakterien isolierten Antibiotika.

Antibiotika aus Streptomyces-Bakterien
Bekannte Vertreter sind hier Streptomycin, das 1952 mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, und Avermectin (Nobelpreis 2015). Aus Avermectin entwickelten Wissenschaftler das Wurmmittel Ivermectin. Auch gängige Arzneistoffe wie Tetracyclin, Erythromycin oder Amphotericin B gehen auf Streptomyces zurück.

Eine weitere Bakteriengattung, die Myxobakterien, produziert ebenfalls diverse mögliche Ausgangsstoffe für Arzneimittel. Darunter sind Substanzen, die gegen RNA-Viren wirksam sind und möglicherweise als Grundlage für die Entwicklung neuer Virostatika dienen könnten.

Ein Forschungsprojekt um Dr. Daniel Krug vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland hat bisher rund 1000 neue Stämme von Myxobakterien aus Bodenproben isoliert. Das Projekt wurde mittlerweile auf ganz Deutschland ausgeweitet und heißt nun Mikrobelix. Interessierte können ein Probeentnahme-Kit anfordern, um selbst Bodenproben einzusenden. Vielleicht findet sich in Ihrem Garten so bald ein neuer Wirkstoff?

Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/neues-antibiotikum-aus-bodenbakterien-entschluesselt/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/der-arzneischrank-unter-unseren-fuessen-141671/
Shukla R et al.: „An antibiotic from an uncultured bacterium binds to an immutable target“, Cell, 22. August 2023.  https://www.cell.com/cell/fulltext/S0092-8674(23)00853-X
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-162016/multitalent-streptomyces/ 

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