Antibiotika
ANTIDEPRESSIVA KÖNNEN RESISTENZEN FÖRDERN
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Im Jahr 2019 wurden geschätzt 1,2 Millionen Todesfälle rund um den Globus durch resistente Bakterien verursacht, Tendenz steigend. Die Forschungsgruppe um Dr. Yue Wang und Professor Jianhua Guo von der University of Queensland in Brisbane fand heraus, dass einige der gängigsten Antidepressiva offenbar Bakterien helfen, sich gegen Antibiotika zu wehren.
Bereits 2018 kam das Team zu dem Ergebnis, dass Fluoxetin bei Escherichia Coli zu Resistenzbildung gegenüber unterschiedlichen Antibiotika führte. Nach 30 Tagen war die Wirkung von Amoxicillin, Chloramphenicol und Tetracyclin vermindert.
Bakterien verändern sich
Die nun beendeten Versuche wurden über 60 Tage und mit fünf unterschiedlichen Antidepressiva durchgeführt. Auch hier fand Resistenzbildung statt, und zwar gegen alle der verwendeten Antibiotika aus immerhin sechs verschiedenen Wirkstoffklassen. Das Ergebnis nennt Seniorautor Professor Guo „interessant und erschreckend gleichermaßen“.
Die Wissenschaftler fanden bei den untersuchten Bakterien nach dem Kontakt mit Antidepressiva eine größere Zahl an sogenannten Effluxpumpen. Hierbei handelt es sich um aktive Transportproteine in der Zellmembran, die Schadstoffe wie Antibiotika aus dem Cytoplasma entfernen.
Die Antidepressiva regten die Bakterien zur Bildung sogenannter reaktiver Sauerstoff-Spezies (ROS) an, ein allgemeiner Schutzmechanismus. Diese ROS erhöhten wiederum die Mutationsrate der Bakterien. Wenn Bakterien oft mutieren, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dabei Resistenzgene entstehen. Bakterien können untereinander außerdem Genmaterial austauschen, was die Verbreitung solcher einmal entstandenen Gene innerhalb der Population ermöglicht. Auch eine Verstärkung des Genaustausches unter den Bakterien haben die Forscher beobachten können, vor allem unter Sertralin.
Der dritte Mechanismus, wie die Bakterien sich unter Einfluss der Antidepressiva den Antibiotika entziehen, ist simpel, aber effektiv: Sie reduzieren ihren Stoffwechsel auf ein Minimum. Da Antibiotika in die Bildung von wichtigen Zellstrukturen eingreifen, wird durch reduzierte Stoffwechselaktivität und dadurch geringeren Bedarf an neuen Zellbausteinen dem Antibiotikum ausgewichen.
Untersucht wurden verschiedene Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Alle begünstigten Resistenzen. Am schnellsten sichtbar und auch am stärksten war der Effekt bei Sertralin und Duloxetin.
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Lieber Depression als Infektion?
In unserem Darm ist wesentlich weniger Sauerstoff vorhanden als in den Petrischalen, in denen die Versuche durchgeführt wurden. Die Bildung der ROS ist also in Lebewesen wesentlich langsamer zu erwarten. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass unterschiedliche Substanzen Einfluss haben können auf die Wirkung von wichtigen Antibiotika. Weitere Forschung steht an, unter anderem in Tübingen. Dort beschäftigt sich Dr. Lisa Maier schon lange mit den komplexen Wechselwirkungen zwischen nicht-antibiotischen Arzneistoffen und unserem Mikrobiom. Sie überraschten die Ergebnisse nicht.
Auch in Australien forscht man weiter. Erste Versuchsreihen in Mäusen deuten darauf hin, dass Antidepressiva tatsächlich das Darmmikrobiom verändern und den Gentransfer verstärken, so Professor Guo.
Dr. Maier warnt davor, aus Angst vor dieser Problematik auf benötigte Antidepressiva zu verzichten: „Wenn Sie eine Depression haben, muss diese bestmöglich behandelt werden. Dann als zweites die Infektion.“
Quellen:
https://www.nature.com/articles/d41586-023-00186-y
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/antidepressiva-koennen-resistenzen-foerdern-138212/
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412018304823?via%3Dihub