Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Aktuelle Artikel
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Fortbildungen
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Gewinnspiele
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
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Produkt des Monats
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
DIE WISSENSFABRIK – EUROPÄISCHES ZENTRUM FÜR DIE PRÄVENTION UND KONTROLLE VON KRANKHEITEN
Seite 1/1 11 Minuten
„Eine große Sorge machen mir persönlich die Kinderimpfungen“, sagte Dr. Andrea Ammon vor kurzem in einem Interview mit der Zeitschrift Gesundheit + Gesellschaft. Und sie meinte damit nicht die Impfungen gegen das Corona-Virus, sondern die Immunisierung gegen Krankheiten wie Diphtherie, Tetanus, Haemophilus, Masern oder Mumps. Es gebe „schon zwei Jahrgänge, die möglicherweise Lücken in ihrer Grundimmunisierung haben“, warnt Ammon, denn diese Impfungen seien wegen der Pandemie oft ausgefallen – und zwar in ganz Europa.
Ammon weiß, wovon sie spricht, denn die deutsche Ärztin leitet seit gut vier Jahren das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, kurz ECDC. Die EU-Agentur mit Sitz im schwedischen Solna, nördlich von Stockholm, ist das europäische Pendant zum deutschen Robert Koch-Institut (RKI). Entsprechend ähnlich sind auch seine Aufgaben: Es identifiziert, bewertet und überwacht bekannte und neu auftretende Infektionskrankheiten. Ziel ist, diese Krankheiten besser bekämpfen zu können. Dabei unterstützt das ECDC die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten, aber auch Forscher und internationale Organisationen.
Fokus auf COVID-19
Insgesamt stehen derzeit 56 übertragbare Erkrankungen auf der To-do-Liste des ECDC. Darunter Influenza, Hepatitis, Malaria, Tuberkulose oder HIV/Aids. Zudem überwacht die Agentur den Einsatz von Antibiotika und die zunehmend problematischen Resistenzen gegen diese Medikamente. Aktuell wird die Arbeit der rund 300 (meist wissenschaftlichen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter allerdings vor allem von einem Thema bestimmt: COVID-19.
Die Corona-Pandemie ist das bislang größte Ereignis, auf das das ECDC seit seiner Gründung 2004 reagieren musste. Ein Ereignis, das in den letzten beiden Jahren den größten Teil der Ressourcen des Zentrums in Anspruch nahm. Die Folge: Für 2020 musste gut ein Drittel der ursprünglich geplanten Projekte verschoben oder schlicht gestrichen werden, für 2021 war es bereits die Hälfte. Das bedeutet, dass der Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten wie Tuberkulose, HIV oder Hepatitis „erheblich verlangsamt, wenn nicht gar zurückgedreht worden ist“, so Ammon. Defizite, die schon jetzt ahnen lassen, womit sich das ECDC nach der Pandemie intensiv beschäftigen muss.
Vorerst allerdings bleibt der Fokus auf COVID-19. Zumal während einer Pandemie die Kernaufgaben keine anderen sind als sonst auch. Anders ist nur der Arbeitsmodus, denn während eines so genannten Public Health Events (öffentliches Gesundheitsereignis) agiert das ECDC in einer Art Krisenmodus, in dem die zentralen Aufgaben vor allem schneller und häufiger abgewickelt werden. Der Arbeitsschwerpunkt ist dabei die so genannte Surveillance: das Sammeln, Bewerten und Weitergeben von Informationen zu Infektionskrankheiten und – im Krisenfall – zum aktuellen Infektionsgeschehen.
Die Datensammler: Infektionskrankheiten überwachen und bewerten
Das ECDC überwacht kontinuierlich die epidemiologische Situation und klärt darüber auf. Dazu sammeln die Mitarbeiter aktuelle wissenschaftliche Daten aus den unterschiedlichsten Quellen. Sie werten zum Beispiel Studien aus oder nutzen Daten, die die EU-Länder zu meldepflichtigen Erkrankungen erheben. Zudem screent das ECDC mit Hilfe von Suchmaschinen das Internet und Soziale Medien, um Infektionsereignisse frühzeitig zu identifizieren.
Für COVID-19 analysiert das ECDC die epidemiologische Situation zurzeit täglich – in Europa und weltweit. Aus diesen Informationen erstellt es tägliche Lageberichte und zusammenfassende Wochenberichte für die EU-Kommission und die Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten. Die Berichte enthalten auch wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen zur Bekämpfung der Pandemie. Das reicht von Maßnahmen zur Reduzierung sozialer Kontakte bis hin zu ausgefeilten Konzepten für die Einschränkung der Freizügigkeit, denn innerhalb der EU kann die Reisefreiheit der Bürger nicht so ohne weiteres eingeschränkt werden.
Wie die EU-Länder solche Gegenmaßahmen umsetzen und wie diese Maßnahmen wirken, fließt anschließend wieder in die Überwachung und Bewertung der aktuellen Lage ein. Neben dem Blick zurück auf die letzten Tage und Wochen gehören aber auch Prognosen zu den Aufgaben des ECDC. Wie wird sich das Infektionsgeschehen entwickeln? Welche Auswirkungen haben neue Virusvarianten? Ab wann kommen die Kliniken an die Belastungsgrenze? Um solche Fragen möglichst frühzeitig einschätzen zu können, nutzen die Experten des ECDC mathematische Modellierungen, die eine Vielzahl von Parametern berücksichtigen: die aktuelle Übertragungsrate zum Beispiel oder auch den Anteil der Personen, die an COVID-19 erkranken.
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Die Fakten-Checker: Information für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
Für alle Informationen, die das ECDC weitergibt an die EU, an nationale Regierungen und Behörden oder auch an andere Experten wie etwa das RKI, gilt ein unerschütterlicher Grundsatz: Die Fakten müssen valide und fundiert sein. Egal ob sie in Form einer wissenschaftlichen Studie oder als umsetzungsorientierte technische Leitlinie veröffentlicht werden. Mit Blick auf Corona gehören diese Leitlinien aktuell zu den nachgefragtesten Publikationen des ECDC, denn sie geben konkrete Anregungen und Handlungsempfehlungen zum Beispiel für möglichen Maßnahmen zur Prävention, Vorsorge und Bekämpfung von Infektionen. Das können nicht-pharmazeutische Schutzmaßnahmen sein, wie Handhygiene, Quarantäne und Isolation. Oder zum Umgang mit COVID-19-Infektionen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Oder auch Empfehlungen zu Themen wie Schließungen von Schulen und Kindergärten, Unterstützung vulnerabler Bevölkerungsgruppen bis hin zum sicheren Umgang mit infektiösen Laborproben.
Ziel ist dabei vor allem, der Politik eine solide Informationsbasis für ihre Entscheidungen zur Verfügung zu stellen und sie so in der Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber auch die Kommunikation zur breiten Öffentlichkeit immer wichtiger. Deshalb richten sich die Videos, Broschüren und Infografiken des ECDC inzwischen auch an Politikberater, Angehörige der Gesundheitsberufe und andere Fachkreise. Zudem beantworten die Experten des Zentrums eine immense Anzahl von Medienanfragen. Gerade mit Blick auf COVID-19 geht es ihnen vor allem darum, Zusammenhänge wissenschaftlich fundiert und zugleich verständlich zu erklären.
EU-Wissen kompakt: Dezentrale Agenturen
Aktuell gibt es mehr als 30 dezentrale EU-Agenturen. Diese Institutionen sind unabhängig, das heißt nicht an Organe der EU wie etwa die Kommission oder das Parlament angebunden. Sie tragen zur Umsetzung politischer Maßnahmen bei und fördern die Zusammenarbeit zwischen der EU und den nationalen Behörden. Dazu bündeln sie zum Beispiel Expertenwissen und sorgen für Kooperation und Austausch zwischen EU-Institutionen, nationalen Behörden und internationalen Organisationen. Die dezentralen Agenturen sind in ganz Europa verteilt und befassen sich mit Themen, die sich auf den Alltag von fast 450 Millionen Menschen in der EU auswirken. Dazu gehören unter anderem die Bereiche Lebensmittel, Medizin/Gesundheit, Justiz, Verkehrssicherheit, Umwelt.
Die Vernetzer: gemeinsam mehr erreichen
Die EU hat seit Beginn der Corona-Pandemie immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mehr erreichen. Das hat sich – trotz anfänglicher Schwierigkeiten – bei der Beschaffung medizinischer Materialien ebenso gezeigt wie beim Einkauf von Impfstoffen. Auch das ECDC trägt zur europaweiten Kooperation bei. Unter anderem hat es für COVID-19 ein epidemiologisches und labortechnisches Überwachungsnetz aufgebaut, das auf den Erfahrungen der Influenzanetze basiert.
Auch hier geht es vor allem darum, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Aber auch hier bietet das ECDC konkrete Unterstützung an, zum Beispiel bei der Sequenzierung: Mitgliedsstaaten können unter bestimmten Voraussetzungen Virusproben bei einem Vertragsinstitut sequenzieren lassen. Die Kosten dafür trägt das ECDC. Zudem hilft das Zentrum bei der Entwicklung und Umsetzung von Impfstrategien oder bei der Verbesserung der Impfquote. Dazu evaluiert das ECDC zum Beispiel die Gründe für eine niedrige Impfquote und unterstützt bei der Verbesserung – etwa durch Kommunikationskampagnen für spezielle Zielgruppen. Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel, denn: „Alle Länder, die eine Impfquote unter dem EU-Durchschnitt haben, haben mir gesagt, sie hätten zudem schwer mit Falschinformationen zu kämpfen. Teilweise auch innerhalb der Gesundheitsberufe, die eine Schlüsselrolle für die Impfempfehlung haben“, berichtet die ECDC-Direktorin Andrea Ammon gegenüber Zeit online.
Auf dem Weg zur EU Gesundheitsunion
COVID-19 hat schmerzlich gezeigt, dass Europa auf grenzübergreifende Gesundheitskrisen nur schlecht bis gar nicht vorbereitet war. Das will und muss die EU ändern. Die Ausweitung des Mandats der EMA ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll mehr Befugnisse bekommen und es wurde ein Gesetz zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren auf den Weg gebracht. Beide sollen – wie auch die Mandatserweiterung der EMA – bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.
Zudem hat die EU eine neue Behörde für die Krisenvorsorge und Krisenreaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) installiert. Die hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
Und 2022 steht im Rahmen der EU-Pharmastrategie eine Überarbeitung des Arzneimittelrechts an, bei der es unter anderem um eine krisenfeste und sichere Versorgung mit Arzneimitteln geht.
Gesamtziel ist der Auf- und Ausbau einer EU-Gesundheitsunion, in der die Gesundheitssysteme aller Mitgliedstaaten fit sind für die Zukunft.
Die Vorbereiter: krisenfest durch Prävention und Ausbildung
Dass Europa alles andere als gut vorbereitet war auf die Corona-Pandemie, ist Ammon klar. Umso wichtiger ist ihr, dass die Mitgliedstaaten der EU künftig besser aufgestellt sind: „Ich denke, wir haben viel gelernt, zum Beispiel wie sich Personal mobilisieren lässt. Aber das muss jetzt auch institutionalisiert werden in den Pandemieplänen, damit es nicht wieder verlorengeht,“ umreißt Ammon ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld ihres Hauses: Prävention.
Dazu kümmert sich das ECDC unter anderem um die Aus- und Weiterbildung von Epidemiologen und anderen Experten für öffentliche Gesundheit. Ziel ist, in Europa genügend ausgebildete Fachleute zu haben, die Infektionen überwachen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Krankheitsausbrüchen festlegen können.
Künftig will sich das Zentrum zudem stärker auf die Bereitschaftsplanung konzentrieren und dabei vor allem die Erfahrungen aus der aktuellen Pandemie nutzen. Bewährte Praktiken sollen gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden. Daraus werden dann evidenzbasierte Instrumente entwickelt. Insgesamt sollen so das Know-how und damit auch die Reaktionsfähigkeit der EU-Länder bei Infektionsereignissen gestärkt werden.
Das ECDC auf einen Blick
Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (englisch: European Centre for Disease Prevention and Control, kurz ECDC) ist eine dezentrale Agentur der Europäischen Union (EU) und – neben der Europäischen Arzneimittelagentur EMA – eine der wichtigsten Einrichtungen der EU im Gesundheitsbereich. Zu seinen Aufgaben gehören die Identifizierung, Bewertung und Überwachung (Surveillance) von Infektionskrankheiten, die wissenschaftliche Beratung und die Entwicklung von Bekämpfungsstrategien. Darüber hinaus kümmert sich das ECDC um die Bekämpfung der Antibiotika-Resistenzen und um die Stärkung der Abwehrmechanismen der EU gegen Infektionskrankheiten.
Gründung: 2004
Sitz: Solna, Schweden
Mitarbeiter: rund 300
Tätigkeitsfelder:
● Daten- und Wissensmanagement: Mithilfe des europäischen Überwachungssystems TESSy (The European Surveillance System) sammelt, analysiert und bewertet das ECDC Daten aus allen EU-Mitgliedstaaten zu 56 übertragbaren Krankheiten.
● Wissenschaftliche Beratung von Regierungen und Institutionen der EU
● Früherkennung und Analyse von aufkommenden gesundheitlichen Bedrohungen für die EU
● Unterstützung der Regierungen der EU-Länderbei der Vorbereitung auf Krankheitsausbrüche
● Koordinierung des Europäischen Programms für die Ausbildung von Epidemiologen für die praktische Arbeit vor Ort (EPIET) und des Europäischen Programms für die Ausbildung in der Public-Health-Mikrobiologie (EUPHEM).
● Organisation von ESCAIDE, der Europäischen wissenschaftlichen Konferenz für angewandte Infektionsepidemiologie, einer jährlich stattfindenden, dreitägigen Konferenz
EU-Gesundheitsunion: mehr Kompetenzen für das ECDC
Ob sich die einzelnen Mitgliedstaaten allerdings an die Empfehlungen von Experten wie die des ECDC halten, hängt immer von den Entscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung ab. Denn im Bereich Gesundheit hat die EU fast keine Kompetenzen. Sie kann informieren, koordinieren und unterstützen – aber meist nicht entscheiden was gemacht wird. Das hat vor allem zu Beginn der Corona-Pandemie die Bekämpfung der Infektion deutlich verkompliziert und verlangsamt.
Die EU will das ändern. Um die Gesundheitsversorgung in Europa insgesamt zu verbessern und Krisen effektiver bewältigen zu können, soll eine stärker vernetzte und gemeinsam agierende Gesundheitsunion entstehen. Dafür wird unter anderem auch das Mandat des ECDC deutlich ausgeweitet. Es bekommt mehr Personal und wird künftig durch die neue EU-Behörde HERA (European Health Emergency Response Authority) unterstützt, die gerade erst die Arbeit aufgenommen hat.
Das ECDC soll künftig nicht nur für übertragbare Krankheiten zuständig sein, sondern auch für schwere nicht übertragbare Krankheiten. Dazu gehören Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen ebenso wie Krebs, Diabetes oder psychische Erkrankungen. Neben der Überwachung von akuten Infektionsereignissen soll das ECDC in Zukunft auch prüfen, ob die nationalen Gesundheitssysteme fähig sind, Ausbrüche übertragbarer Krankheiten zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dazu wird es Pandemiepläne europaweit abstimmen und stärker bei der Vorbereitungauf Krisensituationen unterstützen. Außerdem kann es künftig Notfall-Assistenz-Teams mobilisieren, die direkt vor Ort bei der Reaktion auf Ausbrüche helfen.
All das soll schon in diesem Jahr umgesetzt werden. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist weitgehend abgeschlossen. EU-Parlament und -Rat müssen der Verordnung noch zustimmen, die aus dem ECDC eine schlagkräftigere EU-Agentur macht, auf die die Mitgliedstaaten im Krisenfall setzen können. Damit wird auch 2022 ein herausforderndes Jahr für die ECDC – zumal COVID und 55 weitere Infektionskrankheiten auch weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssen.
Quellen:
Bundesregierung: Die EU-Gesundheitsbehörde – ein wichtiger Helfer in der Pandemie: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/eu-gesundheitsbehoerde-1872294
ECDC: Newsroom mit aktuellen Informationen (Englisch) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events
ECDC: Jahresbericht 2020 (in Englisch): https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/consolidated-annual-activity-report-2020
EU-Parlament, Briefing (Englisch): Eruopean Centre for Desease Prevention and Control during the pandemic and beyond https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=EPRS_BRI(2020)651973
EU-Parlament, Pressemeldungen (Englisch): EU strengthens ist desease prevention and control capacity (29.11.2021) https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20211124IPR18011/eu-strengthens-its-disease-prevention-and-control-capacity
EU-Kommission, Verordnungsvorschlag zur Mandatsausweitung des ECDC (Änderung der Verordnung EG 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52020PC0726
Gesundheit + Gesellschaft (G+G digital): Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.gg-digital.de/2021/10/ich-wuensche-mir-mehr-schlagkraft-in-krisenzeiten/index.html
RKI: Website https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html
Zeit online: Interview mit Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC https://www.zeit.de/gesundheit/2021-12/omikron-corona-andrea-ammon-ecdc/komplettansicht
Frage des Monats