Kiste mit Medikamenten und eine Hand hält eine Medikamentenbox.© Aliaksandr Zadoryn / iStock / Getty Images Plus
Die Lieferengpässe bei Medikamenten halten weiter an. Nun wird es sogar für die lebenswichtige Kochsalzlösung eng.

Keine Besserung erkennbar

LIEFERENGPÄSSE FÜR WICHTIGE MEDIKAMENTE DAUERN AN

In deutschen Apotheken wächst derzeit der Frust über die anhaltenden Lieferengpässe für wichtige Medikamente. Neben dem „Dauerbrenner“ Salbutamol, für das die Lieferengpässe schon seit Dezember 2023 offiziell bestehen, sind auch zahlreiche andere Medikamente betroffen. Auch für lebenswichtige Kochsalzlösung wird es eng.

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Rund 850 Meldungen umfasst die offizielle Liste über festgestellte Lieferengpässe bei Medikamenten, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) täglich aktualisiert. Das ist in etwa der Stand vom letzten Herbst. Wie kann das sein? Hatte der Bundesgesundheitsminister nicht im letzten Sommer ein Gesetz zur Bekämpfung der Lieferengpässe bei Medikamenten durchgesetzt? 

Die im Gesetz festgelegten Werkzeuge gegen die Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten seien zu milde, bemängelt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. Und nicht nur er sieht keine Entspannung der Lage. Das könnte ein harter Winter werden.
 

Lieferengpässe bei Medikamenten sind täglich Thema in Apotheken

Am HV fragen verdutzte Kunden oft nach den Gründen für die anhaltenden Lieferengpässe bei zahlreichen Medikamenten. Immer neue Wirkstoffe aus unterschiedlichsten Bereichen sind betroffen. In den meisten Fällen geben die Hersteller als Grund für die Lieferengpässe „Probleme in der Herstellung“ an. Das liegt zum einen daran, dass es wegen des Preisdrucks für die meisten Wirkstoffe nur noch wenige Produktionsstätten gibt, und die befinden sich in der Regel in China oder Indien. Fällt eine Produktionsstätte aus, führt das zu einem Domino-Effekt. Die bestehenden Produktionsstätten können die Lücke nicht so schnell schließen, es entstehen Lieferengpässe. Bei vielen Medikamenten wie Fiebersäften, Injektionslösungen und Sprays hängt es auch an einem Mangel an Verpackungsmaterial. 

Auch eine erhöhte Nachfrage ist oft der Grund für Lieferengpässe bei vielen Medikamenten. Grund können unerwartete Krankheitswellen sein oder der zuvor beschriebene Ausfall eines Marktteilnehmers. Schätzungen zufolge sind mehrere Tausend Medikamente betroffen. Die BfArM-Liste ist nur die Spitze des Eisbergs. 

Liste der Lieferengpässe führt nicht alle Medikamente auf

Viele Lieferengpässe tauchen in der Liste gar nicht auf, entweder, weil die Medikamente nicht als versorgungsrelevant gelten, oder weil die Hersteller die Lieferschwierigkeiten nicht von sich aus melden. Die Krux: es besteht laut Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) nur eine Selbstverpflichtung der Hersteller, bestehende Lieferengpässe für Medikamente zu melden. Preis meint, dass jede Apotheke mehrere Hundert Bestellungen habe, die sie nicht erfüllen könne. 

Thomas Preis sieht die Politik in der Pflicht, die Hersteller zur Verantwortung zu ziehen. Fiebersäfte, Antibiotika und andere patentfreie Arzneimittel lohnten sich weniger als die Investition in lukrative Krebs- und Diabetesmedikamente. „Ich finde das nicht in Ordnung,“ betont Preis. „Es gibt einen Versorgungsauftrag und sowohl die Pharmaindustrie als auch die Politik sind verantwortlich dafür, dass die Lieferketten stabil bleiben.“

Die Hersteller ihrerseits bemängeln, der Grund für die anhaltenden Lieferengpässe bei so vielen Medikamenten liege an den schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland. Sie fordern schnellere Genehmigungsverfahren, besseren Zugang zu Kapital, Verbesserung der digitalen Infrastruktur und international wettbewerbsfähige Steuersätze. Ein Grund für die Lieferengpässe sieht der Verband forschender Pharmaunternehmen auch darin, dass die deutschen (niedrigen) Preise international einsehbar seien. Parallelexporteure kauften dann die Ware für den Verkauf im Ausland. 

"Die aktuellen Lieferengpässe zeigen, was passiert, wenn die Politik die Kostenschraube überdreht.“ Han Steufel, Präsident des Verbandes forschender Pharmaunternehmen.

Lieferengpässe bei Medikamenten dürften anhalten

Die Preise scheinen in den Augen vieler Beteiligter ein Hauptgrund für die andauernden Lieferengpässe bei Medikamenten zu sein. Stimmen mehren sich, die Produktion von Wirkstoffen wieder nach Europa zurückzuverlegen. Bis 2016 wurde die Vorstufe für Cephalosporine in Frankfurt am Main produziert, nun nur noch in China. Die Produktion von Penicillin dagegen konnte durch eine Milliarden-Investition des österreichischen Staates in Europa gehalten werden. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf Nachfrage des Norddeutschen Rundfunks auf das Wirtschaftsministerium und sieht sich für Investitionen dieser Art nicht zuständig. Es handele sich auch nicht um gravierende Versorgungsengpässe, sondern um „punktuelle Lieferengpässe in einem sehr komplexen System“. „Fast immer“ stünden wirkstoffgleiche Medikamente zur Verfügung. 

Die Lieferengpässe für zahlreiche Medikamente werden wohl so schnell nicht zu beheben sein, meint die Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Professor Ulrike Holzgrabe. Das liege aber nicht nur an den Preisen. Viele Medikamente dürften hierzulande wegen der strengen Umweltauflagen gar nicht hergestellt werden. 

Selbst wenn es gelänge, die Wirkstoffherstellung zurückzuholen nach Europa, dürfte das nicht nur dauern, sondern auch viel Geld kosten. Die Lieferengpässe für zahlreiche, teils lebenswichtige Medikamente werden wohl noch länger zum Alltag gehören. 

Quellen:
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Apotheken-warnen-Lieferengpaesse-bei-Arzneimitteln-treffen-immer-neue-Patientengruppen-Daten-enthuellen-Dominoeffekt-article25250673.html
https://www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Faktenblaetter/Faktenblatt_Lieferengpaesse.pdf
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/medikamente-mangel-104.html
https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/arzneimittelsicherheit/lieferengpaesse
 

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