Ein junger Mann sitzt auf dem Sofa und verzieht das Gesicht. Er hält eine Tablette in der einen Hand, in der anderen ein Glas Wasser.© fizkes / iStock / Getty Images Plus
Eine Schmerztablette ist der schnellste und einfachste Weg gegen Kopfschmerzen. Zu oft angewendet, kann sie jedoch selbst Kopfschmerzen auslösen.

Chronische Schmerzen

SCHMERZMITTELMISSBRAUCH - DIE PROPHYLAXE BEGINNT IN DER APOTHEKE

Immer wieder dröhnt der Kopf, mit einer Tablette wird es schon gehen. Aber das hilft auch nicht, im Gegenteil: Es kann sich ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz entwickeln. Doch zu diesem Teufelskreis muss es nicht kommen.

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Wie viele Packungen Ibuprofen, Paracetamol und Naproxen eine Apothekenfachkraft wohl Zeit ihres Berufslebens in Händen hält? Es müssen unzählige sein. Denn obwohl der Analgetika-Konsum in Deutschland weitgehend konstant bleibt und im Vergleich zu anderen Ländern weltweit als niedrig gilt, gehören die OTC-Präparate zu den Kassenschlagern des Apothekensortiments. Rund 12,50 Euro geben Bundesbürger*innen durchschnittlich pro Jahr für Analgetika aus – am häufigsten für Präparate gegen Kopfschmerzen (Stand 2021). Laut Daten des Marktforschungsinstituts IQVIA handelt es sich dabei hauptsächlich um Monopräparate, jede zweite Packung enthält den Wirkstoff Ibuprofen (Stand 2018).

Kein Wunder, knapp 40 Prozent der Bevölkerung leiden an zumindest zeitweise auftretenden beziehungsweise rezidivierenden Episoden von Migräne oder Spannungskopfschmerzen. Hinzu kommt, dass davon jeder Zweite seine Schmerzmittel nicht therapiegerecht, zu lange oder fehldosiert einnimmt. Auch die Bundesapothekerkammer warnt regelmäßig vor dem Missbrauch von Analgetika. Nicht umsonst gilt laut Leitlinie bei der Abgabe folgender Satz: „Schmerzmittel nicht länger als drei Tage am Stück, maximal zehn Tage im Monat einnehmen“. Dennoch leidet eine*r von 100 Deutschen an medikamenteninduziertem Kopfschmerz – also durch einen Übergebrauch an Schmerz- und Migränemitteln ausgelöstem Kopfschmerz. Durch eine sensible Beratung in der Apotheke kann dies verhindert und Chronikern langfristig geholfen werden.

„Schmerzmittel nicht länger als drei Tage am Stück, maximal zehn Tage im Monat einnehmen“

Was ist chronischer Kopfschmerz?

Kopfschmerzen, die über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten regelmäßig an mehr als 15 Tagen im Monat für mehr als vier Stunden auftreten gelten laut Headache Classification Subcommittee als chronisch. Meistens treten die Schmerzen als Spannungskopfschmerz beidseitig auf, doch die Abgrenzung zur einseitig auftretenden chronischen Migräne ist mitunter schwierig. Die Ursachen zu klären gestaltet sich oftmals noch schwieriger: Hinter ein und demselben Kopfschmerz können unter anderem diese Ursachen stecken:

  • Rückenschmerzen und Verspannungen (vor allem in der Halswirbelsäule)
  • neurologische Beschwerden
  • Stress
  • emotionale Probleme (Traumata, Depressionen oder Angststörungen)
  • chronische Nasennebenhöhlenentzündungen
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten
  • Schlafprobleme
  • Hormonstörungen (Wechseljahre)

Manchmal kommen auch mehrere Gründe zusammen. Und manchmal findet sich einfach kein Grund.

Chronischer Kopfschmerz:
über mindestens drei Monate
an 15 Tagen pro Monat
mehr als vier Stunden lang

Doch selbst, wenn man die Ursache identifiziert hat, findet sich nicht immer sofort eine passende Therapie. Menschen mit chronischen Kopfschmerzen durchleben diesen Weg häufig als Arzt-Odyssee mit dem Fazit einer multimodalen Therapie – sie sind auf die Hilfe von mehreren (Fach-)Ärzten, Psychotherapeuten und Physiotherapeuten angewiesen. Wenn sie diesen Weg durchhalten.

Eine Schmerztablette ist deutlich leichter zu erwerben und verspricht zumindest kurzzeitig Linderung. Das Problem daran: Langfristig gesehen erwirkt sie genau das Gegenteil. Oder die Betroffenen zögern das Arztgespräch mit Hilfe der Pharmazeutika so lange hinaus, bis sich ein chronischer Kopfschmerz manifestiert hat. Dabei gibt es Optionen zur Prophylaxe. Laut einer paneuropäischen Studie erhielt der Großteil der Migränepatienten keine adäquate Akuttherapie und vor allem nicht die leitliniengerechte prophylaktische Therapie, die eigentlich benötigt wird.

Frühzeitiges Handeln ist gefragt

Der erste ärztliche Gang führt eigentlich immer durch die Türen der Hausarztpraxis. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) betonte anlässlich des Deutschen Kopfschmerztages am 5. September dessen große Bedeutung in der Betreuung von chronischen Kopfschmerzpatient*innen. Laut Dreistufenplan der European Headache Federation (EHF) findet eine qualifizierte Primärversorgung der Betroffenen beim Hausarzt statt, während komplexe Fälle an Fachärzte beziehungsweise universitäre Einrichtungen weitergeleitet werden sollen. Das Ziel ist – wie bei fast allen chronischen Erkrankungen – eine flächendeckende, gut funktionierende, interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hausärzten, Neurologen und Kopfschmerzspezialisten.

Dazu soll, nach dem Modell, bereits die Hausarztpraxis eine differenzierte Kopfschmerzdiagnose stellen, die Akutversorgung einleiten und über Prophylaxemaßnahmen informieren. Spezielle Fälle oder solche, die ein hohes Risiko für eine Chronifizierung tragen, werden so frühzeitig erkannt und können weiter verwiesen werden. Dazu bedarf es einer laufenden Fort- und Weiterbildung und – das wohl größere Problem für viele Hausärzt*innen – genügend Zeit im Praxisalltag.

Therapie und Prophylaxe
Zur Akuttherapie empfiehlt sich neben den klassischen NSAR und Paracetamol auch die Massage mit Pfefferminzöl an Schläfen und Nacken. Der Prophylaxe kommt jedoch größere Bedeutung zu:
Allgemeinmaßnahmen wie Entspannungsübungen nach Jacobson, regelmäßiger Ausdauersport wie beispielsweise Joggen, Schwimmen oder Radfahren und Stressreduktion können unterstützend angewendet werden, der alleinigen Wirksamkeit fehlt jedoch die Evidenz.
Nicht-medikamentöse Maßnahmen wie Physiotherapie oder manuelle Therapie können vor allem bei spannungsbedingten Kopfschmerzen oder bei Problemen in der Halswirbelsäule helfen. Der Biofeedbacktherapie kommt laut Metaanalysen eine hohe Bedeutung zu, zudem zeigen sich die positiven Auswirkungen auch auf Begleiterkrankungen wie Depression oder Angststörung.
Medikamentöse Maßnahmen lassen sich im engeren Sinne als Off-label-Use betrachten, da selten die Indikation chronischer Kopfschmerz gegeben ist. Dennoch zeigen die Präparate klinische Wirksamkeit und sind für die häufig vorhandenen Komorbiditäten zugelassen. Mittel der ersten Wahl sind trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin. Zu den Mitteln der zweiten Wahl zählen, da nur wenige Studien mit teilweise widersprüchlichen Aussagen existieren, Mirtazapin, Venlafaxin, Valproinsäure, der MAO-Hemmer Moclobemid, Fluoxetin oder Sulpirid.

Augen auf beim Analgetika-Verkauf:
neue S3-Leitlinie Medikamentenbezogene Störungen

Neben dem Hausarzt kommt auch den Apothekenmitarbeitern im Verkauf eine wichtige Rolle zu, ist die Apotheke doch der Ort, an dem Schmerzmittel gekauft werden können. Den wenigsten ist bewusst, dass es schädlich sein kann, Schmerzmittel zu häufig oder zu lange einzunehmen oder dass es zu einem medikamenteninduzierten Schmerz kommen kann. Wichtig ist, Kopfschmerzpatient*innen frühzeitig zu sensibilisieren. Die neue Leitlinie „Medikamentenbezogene Störungen“ gibt hierfür auch Empfehlungen für den Apothekenalltag.

So soll bei der Abgabe von Analgetika und Triptanen erfragt werden, wie oft bereits diese Schmerzmittel eingenommen wurden. Dazu kommt natürlich immer der Hinweis auf die begrenzte Einnahmedauer (ohne ärztlichen Rat). Auch einfach ein anderes Schmerzmittel zu empfehlen, ist nicht zielführend. Nur die Aufklärung kann dazu beitragen, den Schmerz nicht chronifizieren zu lassen oder eine Arzneimittelabhängigkeit zu schaffen.

Wie verhalte ich mich bei Verdacht auf Analgetika-Missbrauch?
„Besteht der Verdacht auf einen Schmerzmittelmissbrauch beziehungsweise medikamenteninduzierten Kopfschmerz, sollten die Patienten über den Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und Einnahme der Präparate aufgeklärt werden. Die alleinige Weigerung, das gewünschte Präparat dem Patienten auszuhändigen, ist in der Regel nicht zielführend“,  empfiehlt die Bundesapothekerkammer. Kunden können schließlich einfach die nächste Apotheke aufsuchen oder online kaufen. Am besten man verweist bei Verdacht auf den behandelnden Arzt. In den meisten Fällen ist ein Fehl- oder Übergebrauch von Arzneimitteln gut therapierbar und der Dauerkopfschmerz danach Vergangenheit.

Der Einfluss von Ernährung auf chronischen Kopfschmerz

Da die Ursachen für Kopfschmerzen sehr unterschiedlich sein können, lohnt sich auch ein Blick auf den Speiseplan. Ein zweiwöchiges Ernährungstagebuch kann helfen, Zusammenhänge zu erkennen oder im Gegenzug auszuschließen. Generelle Empfehlungen beinhalten einen festen Ess- und Schlafrhythmus einzuführen, in Ruhe zu essen, eine warme Mahlzeit am Tag einzunehmen und zweieinhalb Stunden vor dem Schlafengehen nichts mehr zu sich zu nehmen. Mindestens eineinhalb bis zwei Liter Flüssigkeit sollten es pro Tag sein, am besten Wasser oder ungesüßter Tee. Fertigprodukte sollten möglichst gemieden werden.

Auch Histamin gilt als Trigger für Kopfschmerzattacken. Der Naturstoff, der als Gewebshormon und Neurotransmitter im Körper fungiert, findet sich vor allem in Tomaten, Zitrusfrüchten, Schokolade, Rotwein sowie gereiften oder gelagerten Lebensmitteln wie altem Käse, Konserven oder Wurstwaren.

Quellen:
https://www.bundestag.de/resource/blob/818272/cf51d57bc44da349429bd368106e3cc1/20210127-Leyk-data.pdf
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/10/30/otc-analgetika-ibuprofen-bleibt-spitzenreiter-kombipraeparate-ruecklaeufig
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/kopfschmerzen-nicht-chronisch-werden-lassen-127769/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/schaedlichen-arzneimittelgebrauch-verhindern-123166/
https://newsletter.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/03/09/schmerzmittel-nicht-laenger-als-drei-tage
https://dgn.org/leitlinien/ll-56-ll-therapie-des-episodischen-und-chronischen-kopfschmerzes-vom-spannungstyp/
https://www.apotheken.de/symptome/12286-kopfschmerzen-chronisch
https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Ernaehrung-bei-chronischen-Kopfschmerzen-oder-Migraene,migraene118.html
https://www.dmkg.de/files/dmkg.de/Presse/210825_DMKG%20Fachpressemitteilung_Kopfschmerztag_Katsarava.pdf

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