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MUSIK OHNE TINNITUS IM OHR
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Klingeln, Rauschen, Pfeifen – die Geräusche, denen Tinnituspatient*innen ausgesetzt sind, gestalten sich vielfältig. Tag für Tag und Nacht für Nacht. Für andere Menschen schwer vorstellbar, aber vor allem Dinge in Ruhe finden nicht mehr in Ruhe statt: Einschlafen, Baden oder Duschen, Lesen oder Musik hören. Die ständige Geräuschkulisse empfinden viele als große Belastung im Alltag, depressive Episoden sind bei Tinnitus-Betroffenen häufig.
Kein Medikament, keine Therapie kann den Ton abschalten. Mit derzeitigem Stand müssen Geplagte lernen, mit den Geräuschen zu leben und ihre Krankheit zu akzeptieren. Naturgeräusche, Meditationshilfen oder autogenes Training können dabei helfen. Professorin Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Berliner Charité und Mitautorin der aktuellen Tinnitusleitlinien, erläutert gegenüber Deutschlandfunkkultur die dortige Auflistung der Therapiemodule: „Das ist zum einen das Counseling, zum Zweiten, wenn ein Hörverlust gegeben ist, ein Hörgerät, eine Hörgeräteversorgung. Dann die Behandlung von Komorbiditäten und vor allen Dingen auch die verhaltenstherapeutischen Interventionen.“ Von Apps ist keine Rede.
Tinnitus in der Musik verstecken
Mit Tinnitus wieder entspannt Musik zu hören, das könnte ein Informatiker ermöglichen. Martin Spindler und sein Team von der Universität Dresden entwickelte eine App, mit deren Hilfe der Musik-Hörende seinen individuellen Tinnitus-Ton ermitteln kann. Mit dieser Information könne die App dann die Töne jedes beliebigen Liedes genau passend in ihrer Tonhöhe anheben.
„Wir haben dann Tests gemacht mit ersten betroffenen Anwendern, die recht einhellig angegeben haben, dass, während die angepasste Musik erklang, die Tinnitus-Belastung komplett oder nahezu vollständig reduziert wurde – und der Effekt auch zeitweilig anhielt“, sagt Spindler. Während Außenstehende keinen Unterschied wahrnehmen, soll für Tinnitus-Betroffene endlich reine Musik hörbar sein, ganz ohne störende Begleitgeräusche. Erste Tests geben die Hoffnung dafür.
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Studie als wissenschaftliche Daten-Goldgrube
Mit 120 Proband*innen soll im Rahmen einer Studie die Tauglichkeit der App „HARMONY“ evaluiert werden. Denn das Ziel ist klar: Die App soll künftig als Medizinprodukt erhältlich sein und 2022 als Kassenleistung an den Start gehen.
Die Tinnitus-Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Die aktuelle Studie von Martin Spindler könnte hier den entscheidenden Wendepunkt darstellen, denn das Handy sammelt haufenweise Daten. Jetzt fließen auch Forschungsgelder, berichtet Professor Franz Hauck, Informatiker an der Universität Ulm, gegenüber Deutschlandfunkkultur. „Wir versuchen, wenn etwas Interessantes mit dem Patienten passiert, das dann mit der Temperatur oder mit der Lautstärke in der Umgebung oder mit dem allgemeinen Stresslevel in Bezug zu setzen“, sagt Hauck.
Tinnitus-Auslöser erkennen
So erhofft sich der Wissenschaftler einen besseren Überblick über die Pathogenese des Tinnitus, ob und welche Situationen den Ton auslösen oder verstärken können. Die Erkenntnisse könnten künftig direkt in einer solchen App verbaut werden. Vorstellbar sei beispielsweise ein Alarm, der User darauf hinweist, sich gerade in einer Situation zu befinden, die den Tinnitus verschlechtere.
Quelle: Deutschlandfunk Kultur