Die drei häufigsten Ursachen für einen Tinnitus sind Schädigungen des Ohres, Stress und Verspannungen im Kiefergelenk- und Nackenbereich. © MonthiraYodtiwong / iStock / Getty Images Plus

Interview

„EINE WIRKSAME THERAPIE VON CHRONISCHEM TINNITUS BESTEHT IMMER AUS VIER ELEMENTEN“

Dr. med Uso Walter ist Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Vorstandsvorsitzender des HNNnet NRW eG in Duisburg und Gründer der Firma mynoise, die sich mit der akustischen Tinnitus Therapie auseinandersetzt. Vor kurzem hat er erstmals eine Tinnitus-App für Betroffene entwickelt. Wir haben mit ihm über das Krankheitsbild Tinnitus und Therapiemöglichkeiten unterhalten.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE: Was sollten Betroffene machen, wenn sie plötzlich ein dauerhaftes Piepen im Ohr bemerken?

Dr. med Uso Walter: Erst einmal nicht in Panik geraten, denn die meisten Ohrgeräusche verschwinden wieder spontan. Da ein akuter Tinnitus häufig durch Verspannungen im Kiefergelenk- oder Nackenbereich ausgelöst wird, hilft häufig eine bewusste Entspannung der Muskulatur in diesem Bereich. Geht er nach mehreren Stunden nicht weg, sollte in jedem Fall ein HNO-Facharzt aufgesucht werden.

Ab wann spricht man in der Medizin von einem Tinnitus? Wann ist er akut und wann chronisch?

Jedes Geräusch, das nicht durch Schallwellen der Umgebung ausgelöst wird, nennt man Tinnitus (lateinisch: Klingeln). Bildet sich ein Tinnitus nach drei Monaten nicht zurück, spricht man von einem chronischen Tinnitus. Das heißt aber nicht, dass er dann nicht mehr gut zu behandeln ist, wie man immer wieder hört.

Was kann einen Tinnitus auslösen?

Die drei häufigsten Ursachen für einen Tinnitus sind Schädigungen des Ohres, zum Beispiel durch Lärm, einen Hörsturz oder eine Mittelohrentzündung, Stress und Verspannungen im Kiefergelenk- und Nackenbereich.

Ist der Zusammenhang zwischen Tinnitus und Stress belegt?

Der Zusammenhang von Tinnitus und Stress ist in vielen Studien ausführlich belegt. Problematisch dabei ist, dass Stress nicht nur Tinnitus verursachen oder verschlimmern kann, sondern der Tinnitus selber ja auch wieder Stress macht. Das führt schnell zu einem Teufelskreis.

Wie sieht eine ganzheitliche Behandlung aus?

Eine wirksame Therapie von chronischem Tinnitus besteht immer aus vier Elementen: Einer ausführlichen Aufklärung und Beratung, akustischen Maßnahmen, Entspannungsverfahren und vor allem einer kognitiven Verhaltenstherapie. Denn ob ein Tinnitus stört oder nicht, entscheidet sich nicht im Ohr, sondern im Kopf im Bereich der Hörverarbeitung. Und diese verstärkt wichtige und unterdrückt unwichtige Geräusche. Nimmt man seinen Tinnitus also sehr wichtig und versucht ihn zu bekämpfen, wird er schlimmer, gelingt es einem, ihn zu akzeptieren, wird er zunehmend verschwinden. Diese Einstellungsveränderung gegenüber dem Tinnitus ist aber häufig nur mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zu erreichen.

Welche Arzneimittel sollten unterstützend während der Therapie eingesetzt werden?

Ginkgo kann bei bestehenden Durchblutungsstörungen des Innenohres eingesetzt werden. Außerdem unterstützt es Lernprozesse und auf solchen Lernprozessen beruht letztlich eine erfolgreiche Tinnitustherapie.

Was raten Sie Patienten, bei denen der Tinnitus chronisch geworden ist?

Zunächst einmal drei Dinge vermeiden: Stille, Stress und Google. Stille und Stress, um den Teufelskreis aus Tinnitus und Stress zu durchbrechen. Google, weil es wohl für kein Krankheitsbild so viele Falschinformationen im Netz gibt wie für Tinnitus. Aus diesem Grund habe ich auch ein kostenloses E-Book auf unserer Webseite herausgegeben und mache jeden Mittwoch eine Tinnitussprechstunde bei Youtube.

Sie haben vor kurzem erstmals eine Tinnitus-App für Betroffene herausgebracht. Welche Aufgabe kann diese App übernehmen?

Die Kalmeda Tinnitus-App ist die weltweit erste komplette Tinnitustherapie als mobile App. Sie enthält einen kostenlosen Einführungsteil mit individuellem Therapieplan und ein strukturiertes Übungsprogramm auf der Basis einer kognitiven Verhaltenstherapie. Sie zeigt Betroffenen Schritt für Schritt, wie sie ihren Tinnitus in den Griff und wieder mehr Ruhe in ihr Leben bekommen.

Ist sie für alle Betroffenen eine wirksame Hilfe?

Die App ist für alle Patienten mit chronischem Tinnitus gedacht, die unter ihren Ohrgeräuschen leiden. Eine gewisse Affinität zu digitalen Medien sollte allerdings bestehen, da das Programm alle Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzt, um die therapeutischen Maßnahmen schnell in den Alltag der Nutzer zu integrieren.

Wie sehen Ihre ersten Rückmeldungen von Betroffenen aus?

Die Betatestungen sind sehr vielversprechend und wir bekommen tatsächlich schon ein sehr gutes Feedback. Die Veröffentlichung der App in den App-Stores ist für Ende Juli vorgesehen. Auf der Webseite kann man sich aber auch jetzt schon informieren und in einem Newsletter anmelden.

Arbeiten Sie bereits mit anderen Ärzten zusammen, um die App auch in deren Therapieplan zu integrieren?

Wir haben enge Kontakte zum HNOnet NRW, dem größten HNO-Facharztnetz in Deutschland und sind überzeugt, dass viele Ärzte die App empfehlen werden, denn sie ist eine sinnvolle Ergänzung zur bestehenden Versorgung und schließt die große Versorgungslücke, die momentan im Bereich der kognitiven Verhaltenstherapien für Tinnituspatienten besteht.

Das Gespräch für DIE PTA IN DER APOTHEKE führte Nadine Hofmann


Weitere Informationen:

Infofilm zur App: https://vimeo.com/253929056

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