Faktencheck
MYTHEN ÜBER DAS MIKROBIOM – UND WAS DAHINTERSTECKT
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Das Mikrobiom ist eine Bakteriengemeinschaft, die im menschlichen Darm angesiedelt ist. Sie wiegt ein bis zwei Kilogramm und muss unbedingt gesund sein, sonst wird der Mensch krank. Dann heißt es Pathobiom, und mit diesem ist nicht zu spaßen: Es kann zu lebenslangem Siechtum führen. Mal ehrlich, sind Sie diesen Mythen auch schon einmal begegnet?
Sie werden immerhin medial ständig wiederholt, und keiner weiß so genau, woher sie stammen. Fast alle dieser Geschichten haben einen Extrakt: Eine bestimmte Bakterienzusammensetzung garantiert den Gesundheitszustand, und wenn der zerstört ist, muss er durch bestimmte Präparate wiederhergestellt werden. In Einzelfällen genügt auch Joghurt; ob rechts- oder linksdrehend, darüber ist man sich noch nicht so recht einig. Stimmt das alles?
Mythen über das Mikrobiom – und ihr Wahrheitsgehalt
Das Mikrobiom, das sind natürlich nicht nur Bakterien, sondern auch andere Mikroorganismen. Und sie leben nicht nur im Darm, sondern besiedeln unseren ganzen Körper. Was aber ist an den anderen Mythen dran?
Die Mikrobiologen Alan W. Walker und Lesley Hoyles wollten es einmal ganz genau wissen. „Bedauerlicherweise hat die vermehrte Forschung auch einen gewissen medialen Hype und Fehlinformationen zur Folge“, sagen sie. Und so begannen die beiden Forscher ihre Untersuchung. Zwölf Mythen nahmen sie unter die Lupe und veröffentlichten ihre Erkenntnisse im Journal Nature Microbiology. Zum Beispiel:
Das Mikrobiom wird erst seit Kurzem erforscht?
Die Mikrobiomforschung ist neu, liest man – aber stimmt das überhaupt? Fakt ist, dass Darmbakterien wie E. coli schon im 19. Jahrhundert entdeckt wurden. Auch über die gesundheitlichen Auswirkungen wichtiger Mikrobiom-assoziierter Stoffwechselprodukte wie kurzkettiger Fettsäuren wurde erstmals vor 40 Jahren berichtet. Und auch den Begriff „Mikrobiom“ hat nicht erst der Nobelpreisträger Joshua Lederberg im Jahr 2001 geprägt – den gab’s schon früher.
Mehr über das Mikrobiom:
Das Mikrobiom wiegt zwischen einem und zwei Kilogramm?
Woher stammt nun die Annahme, dass das menschliche Mikrobiom ein bis zwei Kilogramm wiegt? Walker und Hoyles konnten nicht herausfinden, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt hat. Vermutlich, sagen sie, ist die Zahl viel zu hoch angesetzt und sie liegt eher bei rund 500 Gramm.
Denn im Dickdarm des Menschen befinden sich die meisten Mikroben, und die machen in der Regel weniger als die Hälfte des Gewichts der fäkalen Feststoffe aus. Der durchschnittliche menschliche Stuhl wiegt weniger als 200 Gramm. Und da ist die Walker/Hoyles-Schätzung eher noch hoch angesetzt.
Zehnmal mehr Mikroben als Zellen im Menschen?
Dass es im menschlichen Körper zehnmal so viele Mikroorganismen wie Zellen gibt, ist der am weitesten verbreitete Mythos. Diese Zahl geht den Experten zufolge aber auf eine ungenaue Berechnung aus den 1970er Jahren zurück. Detaillierte Untersuchungen haben gezeigt, dass das Verhältnis wohl eher bei 1:1 liegt.
Wir erben die Keime unserer Mutter?
Auch, dass das Mikrobiom eines Babys von der Mutter ererbt wird, findet immer wieder seinen Weg in populärwissenschaftliche Artikel. Die Aussage ist nur zum Teil richtig. Einige der Kleinst-Organismen werden zwar bei der Geburt direkt von der Mutter auf das Kind übertragen, aber nur wenige Spezies sind tatsächlich vererbbar.
Der größte Teil der Diversifizierung findet nach der Geburt statt und wird unter anderem durch die Ernährung, die Umgebung, Genetik und andere Einflüsse wie antibiotische Therapien beeinflusst. Deshalb beherbergt jeder Erwachsene eine einzigartige mikrobielle Zusammensetzung. Und das, sagen die Forscher, trifft sogar auf eineiige Zwillinge zu.
Hinter den meisten Krankheiten steckt ein Pathobiom?
Ein Pathobiom kennzeichnet sich durch schädliche Wechselwirkungen zwischen den Mikroben und ihrem Wirt, der daraufhin krank wird. Je nachdem, wo die Mikrobe sich aufhält, kann sie aber sowohl schädlich als auch nützlich sein, argumentieren Hoyles und Walker.
So ist E. coli im Darm bestens aufgehoben – doch in der Blase verursacht das Bakterium eine Entzündung. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies bei einigen Erkrankungen, wie zum Beispiel entzündlichen Darmerkrankungen, zum Fortschreiten der Krankheit beiträgt. Doch solche Veränderungen sind selten konsistent und die Mikrobiata sind sowohl bei gesunden als auch bei kranken Menschen sehr unterschiedlich“, so die Autoren.
Einen Konsens zur Definition von Kipp-Punkten, an denen Veränderungen in der Mikrobiom-Zusammensetzung definitiv einen Krankheitsverlauf beeinflussen, gibt es bisher nicht.
Viele Fakes unterwegs
Weitere Mythen, die nicht oder nur bedingt stimmen:
- „Das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes ist bei Adipositas verändert“ – eine Erkenntnis aus Nagetier-Studien, die für den Menschen bislang nicht belegt ist.
- „Viele Arten im Mikrobiom sind austauschbar“ – das kann so nicht mit Bausch und Bogen behauptet werden.
- „Die Sequenzierung ist das Nonplusultra“ – die Bakterien-Kultivierung ist viel besser geeignet zur Klassifizierung des Darmteppichs, denn manche Arten sind nur so nachweisbar.
Verlässliche Mikrobiologie
Walker und Hoyles hoffen nun, dass mit ihrer Arbeit ein Aufräumen im Verbreiten unwissenschaftlicher Tatsachen erfolgen wird: „Wenn wir ständig Unwahrheiten über unwichtige Details wiederholen, kann man sich dann auf unsere Genauigkeit verlassen, wenn es um wichtigere Dinge geht?“
Quellen:
DocCheck
Nature Microbiology