Frau hat Glas mit Süßigkeiten in der Hand, die Augen geschlossen und den Mund geöffnet.© Deagreez / iStock / Getty Images Plus
Bei Menschen, die zuckerhaltige Lebensmittel zu sich nehmen, wird das dopaminerge Belohnungssystem aktiviert.

Darmbakterien

LUST AUF SÜSSES KOMMT AUS DEM DARM

Ein Darmbakterium greift derart in unseren Hormonstoffwechsel ein, dass wir eine regelrechte Zuckergier verspüren, wenn es fehlt. So zumindest das Ergebnis einer Untersuchung, die das Mikrobiom von Mäusen und Menschen mit Typ-2-Diabetes untersuchte.

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Besitzen wir keinen freien Willen (mehr), sondern werden von Bakterien aus unserem Darm fremdgesteuert? Evolutionär betrachtet braucht der menschliche Stoffwechsel energiereiche Nahrung. Glucose stellt für einige lebenswichtige Organe die einzige Nahrungsquelle dar. In Zeiten des überschüssigen Nahrungsmittelangebots kann diese angeborene Neigung allerdings zum Verhängnis werden und das Risiko für Stoffwechselerkrankungen erhöhen.

Lange Zeit gab man alleine dem Neurotransmitter Dopamin die Schuld an der Zuckerlust. Denn nachgewiesen ist, dass bei Menschen, die zuckerhaltige Lebensmittel zu sich nehmen, das dopaminerge Belohnungssystem aktiviert wird, das klassische Zuckerhoch stellt sich ein. Und wer möchte sich nicht gut fühlen? Doch so einfach ist es nicht, denn ein entscheidendes Mitspracherecht hat auch der Darm. Vertreter des Darmmikrobioms scheinen bei der Hormonregulation signifikant mitzumischen.

Lust auf Süßes hoch, wenn dieses Protein fehlt

Für die kleine chinesische Studie Tingting Zhangs von der Jiangnan-Universität wurden das Blut sowie der Kot von Menschen und Mäusen mit Typ-2-Diabetes und jeweils einer Kontrollgruppe miteinander verglichen. Sowohl den Tieren als auch den Menschen mit der Stoffwechselerkrankung fehlte der Botenstoff FFAR4, der im stoffwechselgesunden Organismus freie Fettsäuren im Verdauungstrakt erkennt und die Ausschüttung von Glucagon-like-Peptide (GLP)-1 auslöst. An dieser Stelle greifen auch die „neuen Abnehmspritzen“ Ozempic und Wegovy an, denn das Hormon GLP-1 ist an der Blutzuckerspiegelregulation beteiligt und fördert das Sättigungsgefühl.

Menschen und Mäuse ohne FFAR4 haben besonders oft Verlangen auf Süßes. Gleichzeitig weißt ihr Mikrobiom seltener die Bakterienart Bacteroides vulgatus auf und dessen Stoffwechselprodukt Pantothenat. Ein weiterer Knackpunkt, denn Pantothenat fördert ebenfalls die Ausschüttung von GLP-1. Und wirkt sogar auf das Gehirn. Denn das Stoffwechselprodukt führt zur Freisetzung eines weiteren Hormons in der Leber (FGF21), das auf das Essverhalten im Gehirn einwirkt. FFAR4 wirkt also über das Darmmikrobiom, die Leber und das Gehirn auf das Verlangen nach zuckerhaltigen Lebensmitteln ein – fehlt es, steigt das Verlangen auf Süßes. 

Probiotika bei Typ-2-Diabetes

Das Forschungsteam lieferte direkt einen neuen Therapieansatz für diesen speziellen Typ-2-Diabetiker mit, dem es an FFAR4 mangelt. Denn fütterte das Team diabetische Mäuse gezielt mit dem Stoffwechselprodukt Pantothenat oder besiedelten den Darm mit Bacteroides vulgatus, reduzierte sich die Zuckergier der Versuchstiere.

Panthothenat könnte also künftig auch Menschen mit Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Adipositas bei der Therapie unterstützen und das Verlangen auf Süßes dämpfen. Dazu müssen sich künftige klinische Studien genauer mit der Darm-Leber-Hirn-Achse auseinandersetzen und das therapeutische Potenzial untersuchen.

Quellen:
Darmbakterium heizt unsere Zuckerlust an - Wie Hormone aus Darm und Leber unseren Appetit auf Süßes steuern - scinexx.de
https://www.nature.com/articles/s41564-024-01902-8

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