Stapel mit Münzen in einem Haufen Kapseln© Vitalii Petrushenko / iStock / Getty Images Plus
Mehr Geld für Pillen? Zumindest, wenn sie per Botendienst kommen - finden die Verbände.

Anhörung zu Botendiensten

„ES GILT NICHT: JE LÄNDLICHER, DESTO MEHR BOTENDIENST.“

Seit Beginn der Pandemie können Apotheken ihre Botendienste mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit den Krankenkassen abrechnen. Wie sich diese neue Regelung auswirkt und was Apothekenteams davon halten, war Thema einer Anhörung im Bundestag. Den Anstoß dazu hatte die AfD mit einem Antrag gegeben, der jedoch vielfach kritisiert wurde.

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Wenn es um den Botendienst der Apotheken geht, für den die Krankenkassen seit Beginn der Pandemie bezahlen, gehen die Meinungen auseinander. „Wichtig ist, dass die Menschen den Botendienst brauchen und ihn auch sehr gut angenommen haben“, betonte Gabriele Regina Overwiening kürzlich.

Allerdings seien die gezahlten 2,50 Euro je Lieferort und -tag viel zu wenig: „Wir bräuchten mindestens sechs Euro. So wären unsere Kosten gedeckt. Einen Gewinn hätten wir nicht.“ Die ABDA-Präsidentin war als Expertin im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags zu Gast. Dort ging es am 30. November in einer öffentlichen Anhörung um das Thema Botendienst.

Verdacht: Gesetzgeber hat sein Ziel verfehlt

Ganz anders sah es dort Lars Lindemann. Die aktuelle Regelung bedeute wohl „eine Zielverfehlung durch den Gesetzgeber“, urteilte der FDP-Bundestagsabgeordnete. Er bezog sich auf Daten der Barmer Krankenkasse: Danach seien wohl gerade die Menschen, die man durch Medikamentenlieferungen nach Hause vor einer Infektion schützen wollte („vulnerable Gruppen“), nicht erreicht worden. Der Vorstandsvorsitzende des Dachverbands der Betriebskrankenkassen, Franz Knieps, hatte schon Ende 2020 gesagt: „Eine gesonderte Vergütung über die Sondersituation der Corona-Pandemie hinaus halten wir nicht für erforderlich.“ Die von 5,00 auf 2,50 Euro reduzierte Pauschale für Botendienste sei außerdem „zu hoch“.

Kritik: AfD-Vorschlag für einen Notfallbotendienst fällt durch

Anlass für die jetzige Anhörung im Winter war ein Antrag aus dem Sommer. „Apotheken-Botendienste sichern und ausbauen, Versorgung verbessern“ – unter dieser Überschrift hatte die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag ihn eingebracht. „Um den Kranken diese wichtige, schnelle Versorgungsmöglichkeit zu erhalten“, brauche der Botendienst eine bessere wirtschaftliche Basis, argumentiert die Oppositionspartei darin. Und fordert die Bundesregierung auf, etwas zu tun. Auch, um der Konkurrenz der Präsenzapotheken durch den Versandhandel etwas entgegenzusetzen. Nun befasste sich der Gesundheitsausschuss gründlich mit dem AfD-Vorschlag – die Experten fanden ihn allesamt nicht gut.

Denn die AfD schlägt damit nur vor, gesetzlich zu regeln, dass ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte Notfallbotendienste der Apotheken verordnen können. Dafür solle es eine Pauschalhonorierung für die liefernden Apotheken geben, von 2,50 Euro plus Umsatzsteuer für Wege bis zu zwei Kilometer bis zu 7,50 Euro bei mehr als zehn Kilometern.

ABDA-Präsidentin Overwiening stellte im Bundestag klar: „Den Antrag halten wir nicht für zielführend.“

Diese Lösung sei ja nicht für Zeiten des normalen Arztpraxis- und Apothekenbetriebs gedacht, sondern für die besonderen Notdienstzeiten: „Das würde bedeuten, dass ich im Apothekennotdienst permanent ein Fahrzeug und Personal vorhalten muss.“ Selbst wenn die Krankenkassen das finanzieren würden, sei es „unverhältnismäßig aufwendig“.

Honorar: Botendienste nicht kostendeckend

Schnell kamen die fragenden Bundestagsabgeordneten zum regulären Botendienst in Apotheken und wollten wissen, was er bringt und wo Verbesserungsbedarf gesehen wird.  Denn Botendienste mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für je 2,50 Euro wurden durch das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz dauerhaft ermöglicht. Viel zu wenig Geld, um sie kostendeckend anzubieten, kritisierte die ABDA schon zu Beginn. Würden Fahrt- und Lohnnebenkosten berücksichtigt, lägen die Kosten eines durchschnittlichen nicht-pharmazeutischen Botendienstes mit Mindestlohn bei etwa 4,00 Euro. Würden PTA für die Lieferung eingesetzt, wären es rund 7,00 Euro.

Vorwurf: Apotheken nutzen Dienste zur Kundenbindung

Die Krankenkassen halten jedoch die heutige Botendienstregelung für zu beliebig. Ihr Dachverband, der GKV-Spitzenverband Bund, schrieb in seiner Stellungnahme: Faktisch könnten „Apotheken selbst entscheiden, in welchen Fällen Botendienste erbracht werden. Dies ermöglicht es, diese Dienste auch als Serviceleistung, unter anderem zur Kundengewinnung und -bindung, zu nutzen und sie durch die Solidargemeinschaft finanzieren zu lassen“. Diese Sichtweise kritisierte Overwiening. Man kenne doch die Menschen, die um eine Botenbelieferung bitten würden: „Wir wissen ja, ob da eine Tochter im Haus ist, die noch gut fahren kann. Dann bietet man es nicht so leicht an.“

Auch eine Analyse der Barmer Krankenkasse wurde kritisiert. Deren Institut für Gesundheitssystemforschung hat die Entwicklung der bezahlten Botendienste in der Pandemie untersucht. Mitarbeiter Nikolaus Schmitt erinnerte, dass durch die Bezahlung Menschen vom Gang in die Apotheke abgehalten werden sollten, gerade Risikogruppen, um sich nicht zu infizieren. Die Bundesregierung hätte zu Beginn der Pandemie damit gerechnet, 20 Prozent der Arzneimittel würden durch Botendienst ausgeliefert. Bis April 2022 waren es nach den Analysen der Barmer jedoch im Schnitt nur sieben Prozent, also bundesweit rund 2,5 Millionen abgerechnete Botendienste pro Monat.

Die ABDA-Präsidentin fand es unlogisch von den Krankenkassen, einerseits relativ geringe Lieferquoten anzuführen und sich andererseits zu sorgen, „dass die Apotheken das nicht verantwortungsbewusst machen. Was denn jetzt: Sollen wir mehr machen, oder sollen wir weniger machen?“

Quote: Weniger geliefert als für die Pandemie vermutet

Daniela Hänel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft e.V., hielt ebenfalls gegen. Schmitt hatte auch erläutert, dass nur jedes elfte Medikament an 80- bis 90-Jährige ausgeliefert worden sei in der Pandemie: „Wir fanden das nicht übermäßig viel.“ Hänel erinnerte an Lockdowns und Kontaktbeschränkungen, weshalb doch viel weniger Leute krank gewesen seien als zuvor. Über 80-Jährige lebten oft im Pflegeheim, oder es komme ein Pflegedienst. Und: Mittel gegen Beschwerden bei Corona aus der Apotheke seien häufiger nicht verschreibungspflichtig. Deshalb könnten Botenlieferungen damit auch nicht mit der Krankenkasse abgerechnet werden: „Die tauchen in deren Statistik gar nicht auf.“

Zukunft: Mehr Geld für die Flächenversorgung?

Dass die Bundesregierung mit der heutigen Botendienstregelung aber nicht zufrieden sein sollte, wurde durch die Anhörung deutlich. Zwar ist fraglich, ob sich Versorgungsdaten aus der Hochphase einer Pandemie wirklich auf die normale Versorgungssituation übertragen lassen. Die Studie der Barmer belegt aber beispielsweise, dass es eher wenig Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. „Es gilt nicht: Je ländlicher, desto mehr Botendienst“, sagte Barmer-Fachmann Schmitt.

Aus Sicht des FDP-Abgeordneten Lindemann eine problematische Erkenntnis: „Wenn man ländliche Apotheken stützen will, müsste man ja Leistungen finden, die vor allem im ländlichen Raum honoriert werden.“ Schmitt fände es gut, nach Apothekenstruktur zu unterscheiden: „Wenn ich eine Flächenversorgung in X oder Y mache, dann habe ich einen anderen Versorgungsauftrag, als wenn ich eine von fünf Apotheken am Frankfurter Flughafen bin. Dann muss sich das auch in der Vergütung niederschlagen. Und das tut es bis heute nicht.“

Am Ende war die Stimmung im Ausschuss gut: „Es ist ja wunderbar, dass wir einen schwachen Antrag nutzen zu einem Fachaustausch“, freute sich Heike Behrends von der SPD. Dass das letzte Wort in Sachen Notfallversorgung und Apotheken noch nicht gesprochen ist, verdeutlichte sie ebenfalls:

Die Bundesregierung bereite eine Reform der Notfallversorgung insgesamt vor.

Dr. Michael Bäumler-Sundmacher machte für den GKV-Spitzenverband deutlich: In diese neuen Pläne sollten auch die Apotheken passgenau integriert werden. Die Kassen könnten sich für einen Notfallbotendienst erwärmen, „der nur dann vergütet werden würde, wenn objektive Kritieren (…) bereits vor einer Einlösung des Rezepts festgelegt werden würden und eine solche Entscheidung nicht in der Hand der Apotheke läge“. Würde man die Lieferungen auf echte Notfälle beschränken, wäre es auch denkbar, sie besser zu vergüten.

Quellen:
Antrag der AfD, Stellungnahmen, Liste der Sachverständigen:
https://www.bundestag.de/ausschuesse/a14_gesundheit/oeffentliche_anhoerungen/921518-921518
ABDA zur Pauschale und zu Botendienstquoten:
https://www.pta-in-love.de/abda-zum-botendienst-250-euro-sind-zu-wenig/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/abda-widerspricht-barmer-bei-botendienstquote-136466/
Umfrage des BKK-Dachverbands:
https://www.bkk-dachverband.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/bkk-umfrage-versandhandel-und-botendienste-eine-wichtige-ergaenzung-zur-vor-ort-apotheke

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