Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
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Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Fortbildungen
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Gewinnspiele
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
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Produkt des Monats
Wie geht Gesundheit auf Europäisch?
EUROPAS KAMPF GEGEN DEN KREBS STÄRKEN
Seite 1/1 11 Minuten
Krebs ist ein Thema, das eine ungeheure Wucht entfaltet. Immer. Und auf jeden, der damit in Kontakt kommt. Zuallererst natürlich die Betroffenen: Patienten und ihr unmittelbares Umfeld, ihre Partner, ihre Kinder, ihre Eltern, Verwandte, Freunde. Fast jeder kennt einen Menschen, der mit einer Krebsdiagnose leben muss. In Europa wird alle neun Sekunden eine neue Krebsdiagnose gestellt – allein in 2020 waren das 2,7 Millionen neue Krebspatienten.
Aber auch in der Politik ist Krebs längst ein zentrales Thema. Eines, das weit über die Gesundheitspolitik hinausgeht, weil Krebserkrankungen und deren Auswirkungen nahezu alle Politikbereiche betreffen – vom Sozialen über die Wirtschaft und bis hin zu Umwelt- und Verbraucherschutz. Experten schätzen, dass Krebserkrankungen in Europa jedes Jahr gesamtwirtschaftliche Folgekosten von 100 Milliarden Euro verursachen.
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung
Wie groß das Momentum des Themas Krebs in der Europäischen Union aktuell ist, zeigt der europäische Plan zur Krebsbekämpfung: Einen ersten Vorschlag dafür hat die EU-Kommission vor gut einem Jahr vorgelegt. Vor wenigen Tagen (am 16. Februar 2022) haben die Abgeordneten des Europäischen Parlaments diesen Plan im Plenum noch einmal ausführlich diskutiert und ihre Vorschläge, Forderungen und Ergänzungen verabschiedet. Damit haben Kommission und Parlament eine umfassende Strategie entwickelt, um die stetig wachsenden Herausforderungen im Bereich der Krebsbekämpfung angehen zu können. Denn: Ohne entschlossenes Handeln dürfte die Zahl der Krebsfälle bis 2035 um 25 Prozent ansteigen. Krebs wäre dann die häufigste Todesursache in Europa.
Krebs in der EU: die Wucht der großen Zahlen
1,3 Millionen Menschen in der EU sterben jedes Jahr an Krebs, darunter 6000 Kinder. Krebs ist die häufigste Todesursache bei Kindern ab einem Alter von einem Jahr.
12 Millionen EU-Bürger haben eine (oder mehrere) Krebserkrankungen erfolgreich überstanden und gelten aktuell als krebsfrei. Die Statistik führt diese Menschen als „Überlebende“.
Weltweit wurden 2020 rund 19,2 Millionen neue Krebsfälle diagnostiziert. Gut ein Viertel davon (25 Prozent) in Europa – obwohl hier nur etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung lebt.
Mit rund jährlich rund 2,7 Millionen neuer Krebsfälle Europa trauriger Spitzenreiter. Rein rechnerisch erhält alle 9 Sekunden ein Europäer die Diagnose Krebs. Tendenz: steigend.
Experten gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Krebsfälle durch Prävention verhindert werden könnten.
Mit 27 verschiedenen Krebsbekämpfungsplänen versuchen die einzelnen EU-Mitgliedstaaten aktuell gegen die sich immer stärker verbreitende Volkskrankheit anzukämpfen.
Integrierte Strategie für ein komplexes Problem
Verglichen mit den bisherigen Aktivitäten der EU ist der europäische Plan zur Krebsbekämpfung ein Novum, denn er verfolgt einen 360-Grad-Ansatz.
- Er deckt einerseits den gesamten Verlauf von Krebserkrankungen ab: von der Entstehung und den (nachweisbaren) Ursachen über die Diagnose und Behandlung bis zur Nachsorge.
- Zum anderen ist er eng verknüpft mit einer Vielzahl weiterer Aspekte – etwa Ernährung, Verfügbarkeit von Arzneimitteln, Qualifikation von Mitarbeitern in Gesundheitsberufen oder auch Digitalisierung.
- Und schließlich enthält der Plan eine breite Palette konkreter Maßnahmen, die die EU in den kommenden Jahren umsetzen will. Dabei konzentriert sie sich auf vier zentrale Aktionsbereiche:
- Prävention,
- Früherkennung,
- Diagnose und Behandlung sowie
- die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten und Krebsüberlebenden.
Diese adressiert der Krebsplan im Rahmen von insgesamt 10 Leitinitiativen:
Leitinitiativen des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung
Mit zehn Initiativen, die jeweils konkrete Maßnahmen umfassen und Umsetzungszeiträume umfassen, adressiert der Europäische Plan zur Krebsbekämpfung in einem 360-Grad-Ansatz die vier zentralen Aktionsbereiche Prävention, Früherkennung, Diagnose und Behandlung sowie Verbesserung der Lebensqualität:
● Wissenszentrum für Krebs
● EU-Initiative zu bildgebenden Verfahren bei Krebs
● Beseitigung von Krebsformen, die durch Humane Papillomviren ausgelöst werden
● EU-Programm zur Krebsfrüherkennung
● EU-weites Netz von Krebszentren
● Gleiches Recht auf Krebsdiagnostik und Behandlung
● EU-Initiative zur Krebsforschung
● Initiative zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Krebsleidenden
● Register der Ungleichheiten in der Krebsbekämpfung
● Initiative für krebskranke Kinder
Prävention: Krebs ist vor allem ein Lifestyle-Problem
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen. Und das Potenzial dafür ist hoch, denn mehr als 40 Prozent aller Krebserkrankungen könnten durch Prävention vermieden werden. Zentrale Ansatzpunkte dafür sind Tabak und Alkohol – beides nachgewiesene und hochpotente Risikofaktoren für Krebs.
Die EU will erreichen, dass bis 2040 nur noch maximal fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Dazu sollen unter anderem Programme zur Raucherentwöhnung finanziert werden und die Endpreise für Tabakprodukte steigen – etwa durch höhere Steuern. Zudem wollen Parlament und Kommission die Aromen in Tabakerzeugnissen verbieten. Das betrifft insbesondere Aromen für E-Zigaretten, die für Jugendliche besonders attraktiv sind.
Auch mit Blick auf den Alkoholkonsum sind Jugendliche eine wichtige Zielgruppe für Präventionsmaßnahmen. Unter anderem will die EU eine Null-Alkoholkonsum-Strategie für Minderjährige entwickeln und die Werbung für Alkohol massiv erschweren, bei Sportveranstaltungen soll sie sogar komplett verboten werden. Gleichzeitig sollen Verbraucher durch Kennzeichnungen wie den Nutri-Score besser informiert und deutlicher auf die Gefahren von Alkoholkonsum hingewiesen werden, zum Beispiel mit einer Gesundheitswarnung wie es sie bereits auf Zigarettenpackungen gibt.
Der größte Erfolg im Kampf gegen Krebs sind Fälle, die gar nicht erst entstehen.
Wissen als Basis für Eigenverantwortung
Neben Alkohol und Tabak beeinflussen auch Ernährung und Bewegung das Krebsrisiko. Bei allen vier Faktoren entscheidet zudem jeder einzelne Mensch selbst, wie er in seinem Alltag damit umgeht. Deshalb setzt die EU insgesamt stark auf Information und Wissensvermittlung. Zum Beispiel durch Kampagnen wie „HealthyLifestyle4All“ (gesunder Lebensstil für alle), die im September 2021 gestartet ist und vor allem gesündere Ernährung und mehr Bewegung fördern soll.
Darüber hinaus adressiert der Plan aber auch Krebserkrankungen, die nicht ursächlich mit dem Lebensstil zusammenhängen. Zum Beispiel Krebsformen wie Leber-, Magen- oder Gebärmutterhalskrebs, die durch Infektionen mit Hepatitis- oder humanen Papilloma-Viren (HPV) verursacht werden. Um diese Erkrankungen zu verhindern, sieht der Plan vor, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Mädchen in der EU gegen HPV geimpft werden und die Impfungen bei Jungen deutlich steigen.
Zudem soll die Belastung der Bevölkerung mit Schadstoffen oder Strahlen erheblich sinken. Dazu verzahnt die EU den Krebsplan unter anderem mit der neuen Chemikalienstrategie und dem strategischen Rahmenprogramm für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, das zum Beispiel strenge Vorgaben für die Verminderung der Chemikalienbelastung am Arbeitsplatz vorsieht – darunter Grenzwerte für 25 weitere, bislang nicht erfasste Stoffe.
Diagnose: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?
Je früher eine Krebserkrankung erkannt wird, desto größer sind in aller Regel die Heilungschancen. Aber längst nicht jeder Bürger in der EU hat Zugang zu entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind teilweise immens. Beispiel Brustkrebs: Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent. Bei Gebärmutterhalskrebs variiert die Abdeckungsrate durch entsprechende Screenings zwischen 25 und 80 Prozent.
Während in manchen Staaten gut 90 Prozent der Frauen Vorsorgeuntersuchungen angeboten bekommen, sind es in anderen Staaten nur 6 Prozent.
Eine so eklatante Ungleichheit wollen Parlament und Kommission künftig nicht mehr hinnehmen. Um allen EU-Bürgern Zugang zur Krebsfrüherkennung zu gewährleisten, sollen Screening-Programme deshalb massiv ausgeweitet werden. Der Krebsplan enthält dazu unter anderem ein neues Krebsvorsorgeprogramm, das bis 2025 EU-weit 90 Prozent der infrage kommenden Bürgerinnen und Bürgern eine Brust-, Gebärmutterhals- oder Darmkrebs-Früherkennung ermöglichen soll. Das Programm wird mit EU-Mitteln unterstützt und konzentriert sich darauf, den Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, aber auch deren Qualität und die Diagnostik, zu verbessern.
Behandlung: Wenn die Nationalität über Leben und Tod entscheidet
Eine ähnliche Situation wie bei der Früherkennung gibt es auch hinsichtlich der Diagnose und Behandlung von Krebserkrankungen: Auch hier hängen Zugang und Qualität häufig vom Wohnort oder von der Nationalität des Patienten ab. Zum einen, weil jeder der 27 EU-Mitgliedstaaten einen eigenen Krebsbekämpfungsplan mit eigenen Prioritäten und unterschiedlicher Ressourcenausstattung hat. Aber auch, weil in manchen Ländern schlicht das Geld für innovative Behandlungsmethoden oder Geräte fehlt. Weil Zytostatika und andere Arzneimittel nicht verfügbar sind oder die Patienten sie selbst bezahlen müssen. Oder auch, weil eine Behandlung im Nachbarland vom nationalen Gesundheitssystem nicht erstattet wird.
Solche Ungleichheiten zu beseitigen ist eine der zentralen Herausforderungen. Damit künftig nicht mehr der Wohnort oder die Nationalität eines Patienten darüber entscheidet, ob er eine Überlebenschance hat oder nicht, sieht der EU-Krebsplan eine Reihe von Maßnahmen vor, die Zugang zu und Qualität von Diagnose und Behandlung für alle Patientinnen und Patienten in der EU verbessern sollen. Darunter zum Beispiel ein EU-Netzwerk onkologischer Spitzenzentren, das hohe Standards bei Ausbildung, Forschung und klinischen Prüfungen sicherstellen soll.
Im Rahmen der Initiative „Krebsdiagnostik und -behandlung für alle“ sollen bis 2030 europaweit 90 Prozent aller Krebspatienten Zugang zu innovativen Diagnoseverfahren und -behandlungen haben. Und eine weitere Initiative zum Verständnis von Krebs (UNCAN.eu) wird dazu beitragen, Personen mit hohem Risiko für häufige Krebsarten zu ermitteln.
Flankierend adressiert der Krebsplan auch Themen wie die Förderung von Forschungsprojekten (etwa im Bereich der personalisierten Medizin oder zum Einsatz von Hochleistungsrechnern und Künstlicher Intelligenz in der Onkologie), die Aus- und Weiterbildung von Onkologen, Chirurgen, Radiologen und weiterem Fachpersonal, oder die Verfügbarkeit bezahlbarer Arzneimittel (zum Beispiel durch gemeinsame Beschaffungsverfahren und ein Konzept gegen Arzneimittelmangel).
Weitere Artikel der Serie "Wie geht Gesundheit auf Europäisch?":
Besonderer Fokus: Krebs bei Kindern
Allein 2020 erkrankten in der EU mehr als 15 000 Kinder und Jugendliche an Krebs. Eine Diagnose, die bei jungen Menschen häufig deutlich schlimmer ist als bei Erwachsenen. Unter anderem, weil Krebs zum Zeitpunkt der Diagnose bei Kindern in rund 80 Prozent der Fälle schon in andere Körperteile gestreut hat. Bei Erwachsenen ist das „nur“ in etwa 20 Prozent der Fälle so.
Aber auch Behandlung und Nachsorge sind bei sehr jungen Patienten häufig wesentlich komplexer – zum Beispiel was die Verfügbarkeit geeigneter Arzneimittel, die Toxizität der Behandlung, die psychologische Verarbeitung oder auch Bildungs- und Berufschancen für Überlebende angeht.
Der Krebsplan sieht deshalb eine spezielle Leitinitiative zur Hilfe für Kinder mit Krebs vor, die Kindern Zugang zu einer schnellen und optimalen Früherkennung, Diagnose, Behandlung und Versorgung zu gewährleisten soll. Auch ein neuer elektronischer Pass für Krebsüberlebende und das Europäische Krebsinformationssystem, dasaktuelle Entwicklungen beobachtet und Forschungsprojekte erleichtert, berücksichtigen in besonderer Weise die Situation krebskranker Kinder.
Zudem arbeitet die Kommission an der Aktualisierung des Rechtsrahmens zu Arzneimitteln für seltene Leiden und Kinderarzneimittel und wird 2022 ein neues EU-Netzwerk junger Krebsüberlebender einrichten, das die Maßnahmen der Initiative „Hilfe für Kinder mit Krebs“ ergänzt.
Zurück ins Leben – ohne Nachteile
In der EU leben aktuell mehr als zwölf Millionen Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, darunter etwa 300 000, die als Kind oder Jugendlicher an Krebs erkrankt waren. Sie haben zwar den Krebs besiegt, dennoch ist ihr Kampf oft nicht vorbei. Krebsüberlebende sind häufig mit Problemen konfrontiert, die sich aus einer unzureichenden psychischen Verarbeitung der Krankheit oder aus Spätfolgen der Behandlung ergeben. Auch Berufsperspektiven oder der Zugang zu Finanzdienstleistungen wie Versicherungen oder Krediten ist für Krebsüberlebende häufig mit Nachteilen verbunden. Sie zahlen oft deutlich höhere Prämien und haben nachgewiesen schlechtere Karrierechancen.
Diese Probleme adressiert der EU-Krebsplan mit Maßnahmen, die bereits während der Erkrankung greifen und auch pflegende Angehörige berücksichtigt. Im Rahmen der Initiative „Besseres Leben für Krebskranke“ baut die EU eine digitale Plattform auf, die den standardisierten und sicheren Austausch von Patientendaten und die Überwachung des Gesundheitszustands von Überlebenden ermöglicht. Zudem sollen sowohl Überlebende als auch pflegende Angehörige bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder bei der Rückkehr in den Beruf stärker unterstützt werden. Unter anderem durch finanzielle Hilfen aber auch durch beratende oder rechtliche Unterstützungsmaßnahmen.
Sonderausschuss Krebsbekämpfung
Für die Bearbeitung des Kommissionsvorschlags zum Krebsbekämpfungsplan hat das Europaparlament im Juni 2020 einen Sonderausschuss eingesetzt (Special Committee on Beating Cancer, kurz: BECA). In einem bislang beispiellosen Konsultationsprozess führten die 63 Ausschussmitglieder zahlreiche öffentliche Anhörungen durch und sprachen mit unzähligen Experten, darunter Ärzte, Forscher, Patientenvertreter, Fachleute aus der Pflege, Vertreter nationaler Parlamente und internationaler Organisationen.
Der Ausschuss hat eine beeindruckende Informationsbasis zusammengetragen und den ursprünglichen Plan der Kommission durch Vorschläge und Forderungen ergänzt. Darin flossen auch die wichtigsten Erkenntnisse zu den Auswirkungen der Coronapandemie auf die Krebsversorgung in der EU ein, die der Ausschuss aus den öffentlichen Anhörungen gewann.
Der Anfang ist gemacht
Auch wenn das Europäische Parlament erst vor wenigen Tagen über den Krebsplan abgestimmt hat: die Umsetzung hat längst begonnen. Ein großer Teil der zehn Leitinitiativen wurde bereits 2021 initiiert. Zudem sollen diese Initiativen größtenteils bis 2025 umgesetzt sein. Insgesamt stellt die EU dafür Finanzmittel von rund vier Milliarden Euro zur Verfügung, die vor allem aus den Programmen EU4Health, dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe und dem Programm Digital Europe kommen.
Der Anfang ist also gemacht. Dennoch: Die Zeit drängt, denn nach wie vor steigt die Zahl der diagnostizierten Krebsfälle in Europa weiter an, insbesondere aufgrund von höheren Lebenserwartungen und der damit verbundenen alternden Bevölkerungen. Zudem hat die Corona-Pandemie gerade im Bereich der Krebsbekämpfung für deutliche Rückschläge gesorgt: Die EU schätzt, dass aufgrund der pandemischen Lage während der letzten beiden Jahre rund eine Million Krebsfälle nicht diagnostiziert wurden.
Quellen:
EU-Kommission: Europas Plan gegen den Krebs (Vorschlag der Kommission vom 3.2.2021: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52021DC0044&from=en
EU-Kommission, Factsheets:
EU Health Union: Europe’s Beating Cancer Plan (Englisch): https://ec.europa.eu/health/publications/factsheet-europes-beating-cancer-plan_de
Europe’s Beating Cancer Plan – One year on (Englisch): https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/publications_de?f%5B0%5D=oe_publication_type%3Ahttp%3A//publications.europa.eu/resource/authority/resource-type/PUB_GEN
EU-Kommission, Webseiten:
Krebs: https://ec.europa.eu/health/non-communicable-diseases/cancer_de
Europäischer Plan zur Krebsbekämpfung: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/european-health-union/cancer-plan-europe_de
EU-Parlament: Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2022 zur Stärkung Europas im Kampf gegen Krebserkrankungen – auf dem Weg zu einer umfassenden und koordinierten Strategie: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2022-0038_DE.html
EU-Parlament, Pressemitteilung: Parlament fordert wirksamere EU-Krebsbekämpfungsstrategie: https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220210IPR23006/parlament-fordert-wirksamere-eu-krebsbekampfungsstrategie
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