Kleine Würfel auf denen Nocebo und Placebo steht© Fokusiert / iStock / Getty Images Plus
Placebo und Nocebo haben beträchtliche Auswirkungen auf den Erfolg einer Therapie.

Nocebo-Effekt

STATIN NUR SELTEN GRUND FÜR MUSKELSCHMERZEN

Mit Vorurteilen ist das so eine Sache: Manchmal behindern sie die Sicht. Britische Wissenschaftler*innen haben jetzt herausgefunden, dass der Satz „Statine verursachen Muskelschmerzen“ so nicht stimmt.

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Statine gegen erhöhte Blutfettwerte sind eine bewährte und flächendeckende Medikation. Hartnäckig hält sich jedoch die Vermutung, dass Atorvastatin und andere Wirkstoffe aus der Gruppe Muskelschmerzen verursachen. Das geht jedoch in der großen Mehrzahl auf einen sogenannten Nocebo-Effekt zurück, sagt ein internationales Team von  Wissenschaftlern mit Namen „Cholesterol Treatment Trialist’s Collaboration“.

Die Fachleute fassten 23 randomisierte Doppelblindstudien mit etwa 155 000 Patient*innen zu einer großen Metaanalyse zusammen. Es kam heraus: Weniger als zehn Prozent der Muskelsymptome sind tatsächlich auf die Einnahme von Statinen zurückzuführen – und das übrigens auch nur im ersten Jahr der Therapie.

Kaum muskuläre Beschwerden durch Statine

Im Einzelnen ergab die Auswertung:

  • In zehn Studien klagten 16 835 Probanden (27,1 Prozent) unter vierjähriger Statin-Einnahme über Muskelschmerzen oder Muskelschwäche.
  • Dem gegenüber standen jedoch 16 446 Probanden aus den Placebogruppen (26,6 Prozent), die ebenfalls über Muskelbeschwerden berichteten.
  • Die Statintherapie führte demnach im ersten Jahr zu einem relativen Anstieg der Muskelschmerzen oder –schwäche um sieben Prozent, danach jedoch zu keinem signifikanten Anstieg mehr (auch nicht in der Placebogruppe).

Man kann also den mathematischen Schluss ziehen, dass muskuläre Beschwerden nur bei 1 von 15 Meldungen tatsächlich auf das Statin zurückzuführen sind.

Weder beim verwendeten Statin noch bei seiner Dosis konnte eine Ableitung vorgenommen werden. Zwar wurden im Rahmen intensiverer Statintherapien – zum Beispiel mit 40 bis 80 Milligramm (mg) Atorvastatin oder 20 bis 40 mg Rosuvastatin pro Tag – im Vergleich zu Placebo geringfügig mehr Muskelschmerzen gemeldet, doch auch das nahm nach einem Jahr deutlich ab. In der Regel brachen die Patienten ihre Statintherapie auch nicht ab. Das deutet auf einen klinisch leichten Verlauf der Muskelbeschwerden hin.

Autor*innen fordern, die Beipackzettel zu überarbeiten

Dennoch betonten die Autor*innen, dass das erwähnte Muskelschmerzen-Risiko ernst zu nehmen und gegen den kardiovaskulären Nutzen abzuwägen sei. Aber ganz klar forderten die Wissenschaftler*innen auch eine Überarbeitung der Informationen in den Beipackzetteln der Statin-Präparate.

Placebo und Nocebo
Ein Placebo enthält keinen Wirkstoff und ist somit eine Überprüfungsmöglichkeit für die Wirkung von Arzneistoffen. Denn in Doppelblindstudien wissen weder Arzt noch Patient, zu welcher Kategorie die eingenommene Pille gehört.
Der Nocebo-Effekt bezeichnet den negativen Effekt, den der Proband erwartet und den er dann auch tatsächlich erleidet. Er kann allerdings gar nicht eintreten, weil der Patient ja ein Placebo eingenommen hat. Nocebo ist also eine eingebildete Wirkung
Das lateinische Verb Wort „placebo“ heißt übrigens übersetzt „Ich werde gefallen“, „nocebo“ meint „Ich werde schaden“.

Mitautor Professor Dr. Colin Baigent von der Uni Oxford formuliert das so: „Die Vorstellung, dass Statine häufig Muskelschmerzen verursachen können, hat sich bei einigen Patienten und Ärzten hartnäckig gehalten. Unsere Studie bestätigt jedoch, dass das Statin nur selten die Ursache für Muskelschmerzen bei denjenigen ist, die Staine einnehmen. Es solle daher in Fällen, in denen die Patienten im Rahmen einer Statintherapie über solche Beschwerden berichten, zunächst davon ausgegangen werden, dass die Symptome höchstwahrscheinlich andere Ursachen haben.“

Die Statintherapie sollte fortgesetzt werden, bis andere mögliche Ursachen ausgeschlossen sind, denn: Die Vorteile überwiegen.

Das Ergebnis der Metaanalyse kommentierte ein (nicht an der Studie beteiligter) Professor für Kardiologie übrigens so: „Das Problem der statinassoziierten Nebenwirkungen wird seit mindestens 15 bis 20 Jahren diskutiert. Trotz überwältigend beruhigender Daten aus RCT, Kohortenstudien und Registern sind Nebenwirkungen immer noch die Hauptursache für den Abbruch einer Statintherapie. Im Jahre 2022 ist das Problem nicht auf einen Mangel an Daten, Diagnosekriterien, wirksamen Therapien oder Behandlungsempfehlungen zurückzuführen, sondern auf eine unzureichende Aufklärung von Ärzten und Patienten.“

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

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