Liebeshormon
BEI CHRONISCHEN BAUCHSCHMERZEN BALD OXYTOCIN STATT OPIOIDE?
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Am Reizdarmsyndrom leiden hierzulande 1 bis 2 von 100 Menschen, das sind grob 800000 bis 1600000 Betroffene. Mit den beiden häufigsten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, kommen noch einmal 400000 Menschen dazu, die mit chronischen Bauchschmerzen zu kämpfen haben.
Das Problem: Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eignen sich NSAR nicht, weil sie Schübe auslösen könnten. Für gravierende Bauchschmerzen bleiben Opioide (und im akuten Schub Ketamin). Die Nebenwirkungen sind beachtlich: Müdigkeit und Benommenheit, Übelkeit und Verstopfung sowie nicht zuletzt das Suchtpotenzial. Beim Reizdarmsyndrom empfehlen Fachleute generell keine Schmerzmittel, weil sie meist keine Wirkung haben – nur Nebenwirkungen. Wie also soll man chronische Bauchschmerzen behandeln?
Chronische Bauchschmerzen behandeln
Ein Forschungsteam der Universität Wien unter der Leitung von Medizinchemiker Markus Muttenthaler könnte nun eine Lösung für das Dilemma ausgearbeitet haben. Die Forschenden haben eine neue Arzneistoffklasse entwickelt und wollen chronische Bauchschmerzen mit einem Verwandten des Liebeshormons Oxytocin behandeln.
Denn was viele nicht wissen: Oxytocin ist nicht nur für die soziale Bindung wichtig. Es wirkt sich auch auf das Schmerzempfinden aus, indem es spezifische Oxytocin-Rezeptoren im Darm aktiviert. So verringert Oxytocin die Schmerzreize durch Bauchschmerzen. Durch die spezifische Wirkung im Darm ist es nebenwirkungsärmer als die zentral wirkenden Opioide.
Es gibt nur eine Krux bei der Anwendung von Oxytocin als Arzneimittel um chronische Bauchschmerzen zu behandeln: Das Peptid-Hormon übersteht die Passage durch den Magen-Darm-Trakt nicht. Wir kennen das von einem anderen Peptid-Hormon: Insulin muss injiziert werden, weil es bei oraler Einnahme im Darm zu schnell abgebaut würde.
Oxytocin gegen Bauchschmerzen zum Wirkort bringen
Oxytocin ist zwar gegenüber der Magensäure stabil, im Darm bauen Pankreasenzyme es allerdings schnell ab. Um Oxytocin oral einsetzen zu können, und damit chronische Bauchschmerzen zu behandeln, mussten die Forschenden es also in eine Form bringen, die den Pankreasenzymen trotzt.
Das gelang, indem sie das Molekül modifizierten und zum Beispiel einige Liganden änderten. So machten sie Oxytocin verdauungsstabil; dabei bindet es immer noch potent und selektiv an seine Rezeptoren. So kann es in Form von Tabletten oral eingenommen werden, um chronische Bauchschmerzen zu behandeln. Oxytocin könnte künftig also eine besser verträgliche Alternative zu Opioiden sein.
Kann Oxytocin Opioide bei chronischen Bauchschmerzen ablösen?
Die Oxytocin-Tabletten sind bei Mäusen mit chronischen Bauchschmerzen wirksam. Bis Sie sie in der Apotheke statt Opioiden abgeben, wird es allerdings noch etwas dauern. Die Universität Wien hat sich das veränderte Oxytocin-Molekül patentieren lassen. Nun suchen die Forschenden nach Industriepartnern und Investoren für klinische Studien.
Quellen:
Informationsdienst Wissenschaft
Thomas Kremsmayr, Gudrun Schober, Matthias Kaltenböck, Bradley L. Hoare, Stuart M. Brierley, Markus Muttenthaler: „Oxytocin Analogues for the Oral Treatment of Abdominal Pain“, Angewandte Chemie, 9. Oktober 2024. https://doi.org/10.1002/anie.202415333
https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/reizdarmsyndrom
https://www.lv-selbsthilfe-berlin.de/mitglieder/mitglieder-beschreibungen/dccv
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/01/18/nsar-sind-bei-chronisch-entzundlichen-darmerkrankungen-tabuhttps://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Patienten/Patienteninformationen/reizdarmsyndrom-kip.pdf