Krankheitslast
NERVENKRANKHEITEN SIND HAUPTURSACHE FÜR BEHINDERUNGEN
Seite 1/1 3 Minuten
Demenz, Epilepsie, Schlaganfälle: Das sind nur die spektakulärsten durch neurologische Krankheiten verursachten Leiden. Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems haben aber viele Gesichter. Sie umfassen gelegentliche Spannungskopfschmerzen und Migräne, Neurodivergenzen wie die Autismus-Spektrum-Störung, aber auch Hirnhautentzündungen und Tumoren des zentralen Nervensystems. Neurologische Probleme durch Frühgeburten gehören genauso dazu wie Erkrankungen, die üblicherweise im Alter auftreten.
So vielfältig neurologische Erkrankungen sind, so viele Menschen sind auch von ihnen betroffen. Ein internationales Forscherteam hat nun nicht nur die Gesamtzahl der Betroffenen erhoben, sondern auch die Krankheitslast.
Nervenerkrankungen rauben gesunde Lebensjahre
Die Forschenden trugen im Rahmen einer Studie zusammengetragen, in welchem Ausmaß Menschen weltweit von neurologischen Erkrankungen betroffen sind. Dazu werteten sie Daten aus 204 Ländern und Territorien zwischen 1990 und 2021 aus. Sie erfassten 37 verschiedene Krankheiten des Nervensystems und des Gehirns, darunter auch neu aufgekommene wie Folgeprobleme von COVID-19.
Daraus berechnete das Team nicht nur die Gesamtzahl der betroffenen Menschen, sondern auch, wie viele gesunde Lebensjahre ihnen durch neurologische Krankheiten verloren gehen. Dieser Wert wird als disease- beziehungsweise disability-adjusted life years (DALYs) bezeichnet: wörtlich “krankheits- oder behinderungskorrigierte Lebensjahre”, also gesunde Lebensjahre.
11,1 Millionen Menschen starben 2021 an neurologischen Krankheiten
„Weltweit litten im Jahr 2021 rund 3,4 Milliarden Menschen an einer von 37 erfassten neurologischen Krankheiten, und 11,1 Millionen Menschen starben daran“, berichtet das Forscherteam. „Insgesamt gingen also mehr als 443 Millionen gesunde Lebensjahre verloren.“ Das sind 18 Prozent mehr als 1990. Die Wissenschaftler führen den Anstieg darauf zurück, dass die Weltbevölkerung immer größer und durchschnittlich immer älter wird.
Betrachtet man die verlorenen Lebensjahre hingegen altersstandardisiert, zeigt sich, dass der Wert seit 1990 etwa um ein Drittel gefallen ist. Der Grund: bessere Aufklärung, Impfungen und Präventionsmaßnahmen. So sind die DALYs durch Tetanus seit 1990 um 93 Prozent zurückgegangen, bei Meningitis um 62 Prozent.
Nervenerkrankungen und Einkommen
Am besten ist die neurologische Gesundheit in einkommensstarken Regionen des asiatischpazifischen Raums (siehe Kasten). Deutschland schneidet im Vergleich mit seinen europäischen Nachbarn etwas schlechter ab. Unverhältnismäßig stark sind allerdings ökonomisch schwache Länder von Gesundheitseinschränkungen des Nervensystems betroffen. Das ist insbesondere auf die hohe Prävalenz von Erkrankungen bei Neugeborenen und Kindern unter fünf Jahren zurückzuführen, vor allem durch geburtsbedingte Komplikationen und Infektionen.
Unterschiede zwischen den Ländern
- Pro 100 000 Einwohner gehen weniger als 3000 gesunde Lebensjahre in den reicheren Regionen Asiens und des Pazifischen Raumes verloren – 65 von 10 000 Menschen sterben im Jahr daran.
- In Westeuropa liegt der Durchschnittswert bei 3114 verlorenen Lebensjahren und 68,6 Todesfällen pro 100 000 Einwohner.
- Deutschland schneidet mit 3299 DALYs und 71,1 Todesfällen pro 100 000 Einwohner etwas schlechter ab als seine Nachbarländer.
- Stärker betroffen sind die ärmeren Regionen in West- und Zentralafrika. Hier verzeichnet die Analyse mehr als 7000 Lebensjahre und 198 Todesfälle pro 100 000 Menschen.
Die häufigsten neurologischen Erkrankungen (im Jahr 2021) waren Spannungskopfschmerzen mit etwa zwei Milliarden Fällen sowie Migräne mit etwa 1,1 Milliarden Betroffenen. Die größte Zunahme der Fälle gab es bei der diabetischen Neuropathie, also Nervenschäden infolge von Diabetes.
Das Forscherteam weist auf die Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen hin. So ließen sich beispielsweise 84 Prozent der DALYs durch Schlaganfälle verhindern, unter anderem, indem Bluthochdruck durch Medikamente oder Lebensstiländerungen bekämpft wird. Co-Autorin Jaimie Steinmetz von der University of Washington mahnt: „Erkrankungen des Nervensystems müssen durch wirksame, kulturell akzeptable und erschwingliche Strategien für Prävention, Behandlung und Langzeitpflege angegangen werden.“
Quellen:
https://www.wissenschaft.de/gesundheit-medizin/neurologische-krankheiten-hauptursachefuer-verlorene-lebensjahre/
GBD 2021 Nervous System Disorders Collaborators: “Global, regional, and national burden of disorders affecting the nervous system, 1990–2021: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2021”, The Lancet Neurology, 14. März 2024. https://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(24)00038-3/fulltext#%20