Frau mit Tablettendose sitzt an einem Schreibtisch. Vor ihr ist ein Laptop aufgeklappt, indem man eine Frau sieht. Die Frau am Schreibtisch zeigt mit ihrem Finger auf die Tablettendose© DragonImages / iStock / Getty Image
Die Telepharmazie möglicht, dass Apotheken einen Teil ihrer Leistungen digital anbieten können. Beratungen zu Medikamenten zum Beispiel, wie sie wirken und wie man sie einnehmen muss.

digitale Leistungen

TELEPHARMAZIE IN DER APOTHEKE

Die einen sehen in der Telepharmazie eine Chance auf bessere flächendeckende Versorgung. Die anderen befürchten das Ende der Apotheke, wie wir sie heute kennen – insbesondere, wenn die Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums realisiert werden. Eine Bestandsaufnahme.

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Am Computerbildschirm der Oma zuwinken. Online mit den Kollegen ein Projekt besprechen. Vom Sofa aus ein Bankkonto eröffnen und sich per Videochat identifizieren. Kaum eine Technik hat unser Alltagsleben so verändert, wie die Möglichkeit, sich über den Bildschirm eines Computers oder Smartphones von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten. Spätestens seit Corona hat fast jede und jeder schon mal geskypt, gezoomt oder videogechattet. Diese Technik soll auch den Apothekenalltag verändern.

Telepharmazie heißt das Zauberwort. Sie ermöglicht, dass Apotheken einen Teil ihrer Leistungen digital anbieten können.

Mögliche digitale Leistungen:

  • Beratungen zu Medikamenten zum Beispiel, wie sie wirken und wie man sie einnehmen muss.
  • Erklären wie der Inhalator funktioniert,
  • ein Erkältungsmittel oder ein Vitaminpräparat empfehlen,
  • über Risiken von Herz-Kreislauf-Problemen informieren oder
  • mögliche Strategien zur Gewichtsreduktion diskutieren.

Zu den Möglichkeiten gehören auch Telekonzile zwischen Apotheke und Arztpraxis, Pflegeeinrichtung oder Klinik ohne eigene Krankenhausapotheke. Die Liste möglicher Services, die Apotheken via Telepharmazie leisten könnten, lässt sich nahezu beliebig verlängern.

Bessere Versorgung in der Fläche ...

Die Politik will das nutzen und hat dabei vor allem drei Ziele im Blick:

  • Telepharmazie soll dazu beitragen, die Patientenversorgung zu verbessern, vor allem für Patienten, die nicht mobil sind.
  • Gleichzeitig soll sie den Beruf von Apothekern und PTA attraktiver zu machen, weil sie neue digitale Services und neue Betätigungsfelder ermögliche.
  • Damit helfe Telepharmazie drittens die Apotheke vor Ort als Gesundheitsstandort zu stärken.

Die Apothekerschaft ist nicht abgeneigt. Grundsätzlich befürworte man telepharmazeutische Angebote, ist vom Apotheker-Dachverband ABDA zu hören. Auch die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) ist überzeugt: Telepharmazie werde in der Zukunft der Apotheken eine tragende Rolle spielen, um die Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung zu stemmen, so Marc Kriesten, Vorsitzender des Digitalausschuss der AKNR.

Ganz besonders überzeugt ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der sieht in der Telepharmazie ein Vehikel zur besseren Arzneimittelversorgung in der Fläche, insbesondere dort, wo die Apothekendichte schon zu dünn geworden ist: Der Minister will deshalb die Leistungsstrukturen von Apotheken flexibilisieren. Unter anderem soll der Betrieb einer Zweigapotheke zulässig sein, die allein mit erfahrenen PTA besetzt ist. Voraussetzung: Mindestens acht Stunden pro Woche ist ein Apotheker oder eine Apothekerin persönlich in der Filiale anwesend – und den Rest der Zeit via Telepharmazie erreichbar. So steht es zumindest im Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zum Apothekenreformgesetz (ApoRG).

... oder das Ende der Apotheke, wie wir sie kennen

Seit der Gesetzentwurf im Juni öffentlich wurde, schießen die Reaktionen ins Kraut – vor allem die zur „Apotheke ohne Apotheker“: Die ABDA lehnt derartige „Scheinapotheken“ entschieden ab. Ein Kontakt per Video („zugeschaltet aus der Wallachei“) sei kein Ersatz für die Beratung vor Ort. Telepharmazie sei sinnvoll bei immobilen Patienten und bei Folgekontakten zur Begleitung der Therapie – nicht jedoch als Regelfall für die Abgabe von Medikamenten, argumentiert ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening.

Auch der Bundesverband der PTA (BVpta) positioniert sich klar ablehnend: Die Vorsitzende Anja Zierath sieht PTA zu „billigen Ersatzkräften“ degradiert, die für das Gehalt einer PTA den Job approbierter Apothekerinnen und Apotheker leisten sollten. Denn: Aus dem Gehaltsunterschied von etwa 1300 Euro zwischen PTA (durchschnittlich 2900 Euro brutto im Monat) und Approbierten (rund 4200 Euro) errechnet der Gesetzesvorschlag ein Gesamtvolumen von 11,4 Millionen Euro an Personalkosten, die jährlich eingespart werden könnten. Vorausgesetzt, etwa die Hälfte der Apotheken in Deutschland würden entsprechende Reduzierungen vornehmen– sprich: Apotheker durch PTA ersetzen.

Alles eine Frage der Definition

Mit Blick auf die Telepharmazie nutzt die emotional aufgeheizte Diskussion um Apotheken ohne Apotheker allerdings wenig. Telepharmazie bietet durchaus eine Menge Chancen für Apotheken. Und die hängen nicht zuletzt von der Definition ab, was genau Telepharmazie ist. Darüber gibt es bislang noch keinen wirklichen Konsens. Der Gesetzentwurf selbst definiert sie als „pharmazeutische Beratung insbesondere von Kunden oder Patienten durch entsprechend befugtes Personal der Apotheke mittels einer synchronen Echtzeit-Videoverbindung“.

Die Einschränkung auf Videoverbindungen greift vielen anderen Akteuren aber zu kurz. Zu ihnen gehört Dr. Hannes Müller, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Bundesapothekerkammer und Mitglied des Digital Hubs der ABDA. Für den jungen, technik-affinen Apotheker aus dem nordrheinwestfälischen Haltern ist jeder Beratungskontakt, bei dem sich Apothekenpersonal und Patient nicht am gleichen Ort befinden, Telepharmazie. Also auch der Austausch am Telefon, per E-Mail oder Chatfunktion – und damit bereits heute vielfach gelebte Praxis.

Neue Services versus apothekeninterne Optimierung

Eindeutig keine Telepharmazie sei es, wenn apothekeninterne Betriebsabläufe über digitale Kommunikationswege optimiert werden sollten – etwa durch Zuschaltung eines Apothekers per Video in eine Zweigstelle. Damit erteilt auch Müller den Einsatzideen des Gesundheitsministers eine klare Absage. Auch wenn er ansonsten findet, dass in der Diskussion um das ApoRG die möglichen Risiken im Zusammenhang mit Telepharmazie zu sehr im Vordergrund stünden. Etwa die Gefahr, dass sich telepharmazeutische Callcenter etablieren könnten.

Hannes Müller betont lieber die Chancen, die er vor allem in neuen pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) sieht. Zum Beispiel im Adhärenzmanagement: Apothekenteams könnten Patienten bei der Einstellung auf ein neu verordnetes Medikament nach einem persönlichen Erstgespräch gut telepharmazeutisch begleiten. Mit einem solchen „New Medicines Service“ mache man in England sehr gute Erfahrungen. „Das wäre angesichts der schlechten Adhärenz auch in Deutschland eine gute Idee“, ist Müller überzeugt.

Nachfrage der Kunden fehlt noch

Allerdings müssten dafür auch die Rahmenbedingungen stimmen. Allen voran die Bezahlung. Und das bedeutet entsprechende Vereinbarungen mit den Krankenkassen. Zuletzt ist das nicht so gut gelaufen: Bei den Verhandlungen im Rahmen des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes startete die Apothekerschaft mit einer zweistelligen Zahl an Vorschlägen – herausgekommen sind am Ende fünf neue pDL, die von den Kassen gezahlt werden. Das zeige auch, dass es nicht etwa an Ideen aus der Apothekerschaft fehle, meint Hannes Müller.

Woran es aber durchaus noch fehlt, ist die Nachfrage der Kunden, zumindest in Sachen Videoberatungen. Müller bietet sie in seinen Apotheken bereits seit einiger Zeit an. Gebucht hat sie noch niemand. Es scheint, als hätten Politik und Apotheken noch ein klein wenig Zeit, sich über sinnvolle Rahmenbedingungen einig zu werden.

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