Ein Leuchtschild hängt an zwei Kabeln von der Decke: Es ist das Apotheken-A, das rote Fraktur-A mit Aesculap-Schlange und Kelch.© Gwengoat/iStock/Getty Images Plus
Die Zukunft der Apotheken hängt in der Schwebe: Die Kritik am Apothekenreformgesetz ist groß.

Gesetzentwurf

APOTHEKEN-REFORMGESETZ: ERFAHRENE PTA SOLLEN APOTHEKEN AUCH ALLEIN MANAGEN KÖNNEN

Seit einigen Tagen kursiert ein Referentenentwurf mit einem klaren Ziel: den Rahmen für eine bessere Arzneimittelversorgung durch Apotheken zu schaffen. Die Ansätze dafür sind Änderungen bei der Vergütung, den Öffnungszeiten und bei Filial- und Zweigapotheken. Doch die Kritik ist groß.

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Was lange erwartet wurde, muss deshalb noch nicht gut ankommen. Diese Erfahrung macht gerade Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der Entwurf zu einem „Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform“ aus seinem Ministerium löste umgehend Ärger aus.

„Im Ergebnis dienen wir PTA lediglich als billige Ersatzkräfte, um die Versorgung der Bevölkerung wie auch immer sicherzustellen“, kritisierte Anja Zierath, Bundesvorsitzende des Bundesverbands PTA (BVpta). „Ja, wir wollen und können auch mehr Verantwortung übernehmen und auch vertreten. Stundenweise. Aber eine Apotheke leiten, mit Ausnahme einer wöchentlichen achtstündigen Anwesenheit eines Apothekers, einer Apothekerin, steht für uns nicht zur Diskussion.“

„Im Ergebnis dienen wir PTA lediglich als billige Ersatzkräfte.“

BVpta: Gehaltseinsparungen schon ausgerechnet

Zierath untermauerte den Vorwurf der billigen Ersatzkräfte mit dem Hinweis auf eine entsprechende Passage im Gesetzentwurf. Dort heißt es an einer Stelle: Durch den Einsatz erfahrener PTA anstelle von Apothekern könnten sich für eine Apotheke Gehaltseinsparungen von etwa 1300 Euro monatlich ergeben. Würden etwa die Hälfte der Apotheken entsprechende Reduzierungen vornehmen, könnten mehr als 11 Millionen Euro pro Jahr an Personalkosten eingespart werden.

ADEXA: Für Leitungsbefugnisse ist ein Aufbaustudium nötig

Auch Andreas May, Bundesvorstand der Apothekengewerkschaft ADEXA, war verärgert. „Was sich Honorar- und Strukturreform nennt, ist bestenfalls ein Verschiebebahnhof. Im schlimmsten Fall ist es ein Einstieg in die Apothekenketten: mit ausgedünntem Personal, noch weniger Aufstiegschancen für Apotheker*innen und mit einem vergifteten Angebot für die PTA, viel Verantwortung für wenig Geld in den Zweigapotheken zu übernehmen.“

„Ein vergiftetes Angebot für PTA, viel Verantwortung für wenig Geld zu übernehmen.“

Weiter heißt es im Positionspapier der ADEXA zum Referentenentwurf: „Es reicht nicht aus, allein auf eine telepharmazeutische Anbindung von Apotheker*innen zu setzen. Sollten PTA eine Leitungsbefugnis erhalten, wäre ein Aufbaustudium zwingend erforderlich, ähnlich wie beim Berufsbild der Physician Assistants (PA).“

Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), befand: Einrichtungen ohne Apotheker*innen „sind keine Apotheken. Da hilft es auch nicht, wenn ein Apotheker oder eine Apothekerin für ein paar Stunden pro Woche vorbeischaut.“

Reformgesetz: Diese Änderungen stehen im Entwurf

Neben vielen anderen Organisationen hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auch den BVpta sowie die ADEXA eingeladen, zum Entwurf fürs geplante Apotheken-Reformgesetz bis Ende Juni schriftlich Stellung zu beziehen. Heute, am 25. Juni, findet zudem eine mündliche Anhörung im BMG statt. Dabei dürfte es um eine Vielzahl von Änderungen gehen, mit denen Apothekenstrukturen und Apothekenhonorar dem Entwurf zufolge verändert werden sollen.

Was die Apothekenstrukturen anbelangt, soll „der Fachkräfteeinsatz flexibilisiert und bestehende Hürden abgebaut werden, die den Apotheken eine Fachkräftegewinnung erschweren“:

  • Einfachere Gründung von Filialapotheken: keine Verpflichtung mehr, sich dabei auf dieselbe/benachbarte Stadt bzw. den entsprechenden Kreis zu beschränken
  • Gründung von Filialverbünden: Das sind eine Hauptapotheke plus höchstens drei Filialapotheken plus höchstens zwei Zweigapotheken. Es können dann „bestimmte Apothekertätigkeiten von einer der Apotheken im Verbund für die anderen Apotheken durchgeführt werden. Das verbessert die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung.“ Heute besitzen knapp 300 Apothekeninhaber*innen eine Hauptapotheke mit drei Filialen, über 9500 hingegen eine Einzelapotheke. Zweigapotheken gibt es in ganz Deutschland nur zehn. Sie dürfen aktuell nur bei einem Versorgungsnotstand gegründet werden.
  • Leichter Zweigapotheken eröffnen: Es soll einen Anspruch auf eine Betriebserlaubnis in Orten mit eingeschränkter Arzneimittelversorgung geben, Gültigkeit zehn statt wie bisher fünf Jahre. Zweigapotheken müssten nur noch vier Stunden während ortsüblicher Geschäftszeiten öffnen. Die zuständige Behörde könnte für weitere Zeiten oder Betriebsferien von der Öffnungspflicht befreien, wenn eine andere Apotheke die Versorgung sicherstellt – auch, wenn sich diese in einer anderen Gemeinde befindet.
  • Selbermachen: Apotheker sollen die Leitung von Filial- und Zweigapotheken selbst übernehmen können.
  • Weitere Wege zulässig: Die effektive persönliche Verantwortung der Leitenden in Apotheken soll wie bisher gelten. Ein Filialverbund soll sich aber auf eine Fläche verteilen können, „in der zwischen den Filialstandorten eine PKW-Fahrdauer von bis zu drei Stunden realistisch erscheint“.
  • Zweigapotheken als Zwerge: Bisher benötigen Zweigapotheken kein Labor und keine Mindestfläche von 110 Quadratmetern. Zukünftig würden sogar Offizin und ausreichend Lagerraum genügen. Ein Rezepturarbeitsplatz ist nicht mehr vorzuhalten. Im Bedarfsfall soll die Rezeptur durch eine andere Apotheke im Filialverbund hergestellt und per Botendienst an die Zweigapotheke oder direkt an die Kund*innen geliefert werden. Das BMG hat schon einmal durchgerechnet, was sich durch 100 neue Zweigapotheken einsparen ließe an Personal-, Geräte- und Raumkosten: „Circa 126 000 Euro jährlich und 648 000 Euro einmalig.“
  • Flexiblere Leitungsstrukturen: U.a. soll die gemeinsame Leitung von Filial- und Zweigapotheken durch zwei Teilzeitapotheker möglich werden. Und, wie schon erwähnt, der Apothekenbetrieb soll allein mit erfahrenen PTA zulässig sein, sofern Apotheker oder Apothekerin mindestens acht Stunden pro Woche vor Ort sind und den Rest der Zeit telepharmazeutisch angebunden. PTA dürfen dann aber nur die Tätigkeiten übernehmen, für die heute schon die Beaufsichtigung durch den Apotheker nach Paragraf 5b der Apothekenbetriebsordnung entfällt. Außerdem muss vorab geregelt werden, wann PTA einen Apotheker oder eine Apothekerin per Telepharmazie hinzuziehen müssen, „damit bei kurzfristigen Ausfällen Sicherheit im Umgang mit den neuen Möglichkeiten besteht“.
  • Für „unterstützende Tätigkeiten“ in Apotheken: Soll auch Personal ohne „apothekenspezifische Ausbildung“ mit relevanten Kenntnissen einsetzbar sein. Ebenso sind erleichterte Einsatzmöglichkeiten von ausländischen Fachkräften ohne abgeschlossene pharmazeutische Ausbildung vorgesehen.

Apotheke light macht PTA zu „besseren Verkäuferinnen"

Auch die Idee, Zweigapotheken ohne Herstellungsmöglichkeit für Rezepturarzneimittel zu erlauben, mit lediglich vier Stunden täglicher Mindestöffnungszeit, kritisierte der BVpta. Zierath wies darauf hin, wie unattraktiv das Arbeiten in einer „Apotheke light“ sei. Eine Tätigkeit „ohne Rezepturherstellung, ohne Abgabe von Betäubungsmitteln, ohne Laboranalytik lehnen wir ab. Damit degradiert uns der Minister zu besseren Verkäuferinnen“. Die ADEXA ließ wissen: Sie lehnt Apotheken in Filialverbünden ohne anwesende Apotheker*innen und ohne Verpflichtung zu Nacht- und Notdiensten ab.

„Damit degradiert uns der Minister zu besseren Verkäuferinnen“

Notdienst, Honorar und weitere Änderungen

Lob gab es vonseiten der ADEXA für die geplante bessere Vergütung des Nacht- und Notdienstes. Dies „stärkt Apotheken in der Fläche“, so der Bundesvorsitzende May. Er wies aber auch darauf hin, dass hierfür nur Geld umverteilt werde.

Was das Apothekenhonorar anbelangt, soll es für Standorte in ländlichen Regionen Honoraranreize geben. Dafür ist im Einzelnen unter anderem vorgesehen:

  • Mit Geld, das eigentlich zur Finanzierung der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) vorgesehen ist, soll die Vergütung von Diensten in der Nacht und am Wochenende erhöht werden. Denn pDL werden in geringerem Umfang erbracht als angenommen. Der Zuschlag zur Vergütung von Notdiensten soll von 21 auf 28 Cent pro Packung eines verschreibungspflichtigen Medikaments erhöht werden, eine Steigerung um 30 Prozent. Unter dem Strich kämen so rund 50 Millionen Euro zusammen. Apotheken erhielten dadurch für jeden geleisteten Vollnotdienst eine Pauschale von rund 550 Euro, heißt es im Gesetzentwurf. Davon sollen ländliche Apothekenstandorte besonders profitieren, da sie öfter Notdienstleisten als städtische Apotheken
  • Der prozentuale Anteil der Apothekenvergütung (das ist der Zuschlag für Abwicklung, Lagerhaltung und Vorfinanzierung auf den Apothekeneinkaufspreis) soll in zwei Stufen gesenkt werden, von drei auf zwei Prozent in zwei Jahren.
  • Das Fixum soll gleichzeitig erhöht werden, von 8,35 Euro auf 8,66 Euro im Jahr 2025 und dann auf neun Euro im Jahr 2026. „Auf diese Weise wird die ungleichmäßige Verteilung der Packungshonorare zwischen den Apotheken aufgrund stark angestiegener Arzneimittelpreise in einigen Arzneimittelsegmenten ausgeglichen, während eine Kostendeckung für preisbezogene Kosten weiterhin erhalten bleibt“, so die Erläuterung.
  • Zusätzlich sollen über eine Anpassung des Fixums zukünftig der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutsche Apothekerverband verhandeln.

Doch der knapp 50 Seiten umfassende Entwurf sieht noch mehr Neuerungen vor:

  • Größere Flexibilität bei Öffnungszeiten: Statt dauerhafter Dienstbereitschaft von Apotheken soll es eine Dienstbereitschaft in bestimmten Zeiträumen geben. Die jeweils zuständige Behörde müsste Notdienstvorgaben machen. Die ABDA befürchtet, dass viele Apothekeninhaber*innen dann sparen werden, auch beim Personal: „Damit tritt die kaufmännische Kalkulation an die Stelle der verlässlichen Versorgung an allen Standorten.“
  • Möglichkeit zur Aufbewahrung von Betäubungsmitteln in Kommissionierautomaten
  • Ausbau von Telepharmazie, also der Nutzung interaktiver Videoverbindungen in der  Beratung durch Apotheken. Matthias Mieves, Bundestagsabgeordneter der SPD und Sprecher der Fraktion für E-Health, hatte die Apothekerschaft unlängst aufgefordert, hier Vorschläge zu machen. „Wir sind offen für Ihre Ideen. Wenn wir klare Vorstellungen bekommen, dann hilft das sehr.“
  • Ausbau der Impfmöglichkeitenin Apotheken nach ärztlicher Schulung, darunter weiterer Schutzimpfungen mit Totimpfstoffen sowie Schutzimpfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis
  • Verkauf patientennaher Schnelltests in Apotheken auf Adeno-, Influenza-, Noro-, RS- und Rotaviren

Die ABDA will es nicht bei kritischen Worten in ihrer Stellungnahme zum Entwurf belassen. Overwiening kündigte eine neue politische Kampagne an: „Ziel ist es, der Politik und Gesellschaft zu verdeutlichen, auf welche Apothekenleistungen unsere Patientinnen und Patienten künftig verzichten müssen.“

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