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Repetitorium

HERPES-ERKRANKUNGEN – TEIL 2

Im Beratungsalltag spielt vor allem der Lippenherpes eine Rolle, der mit verschiedenen rezeptfreien Präparaten behandelt werden kann. Beim Genitalherpes sind hingegen die Grenzen der Selbstmedikation erreicht.

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Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) ist vorrangig Auslöser des Lippenherpes (Herpes labialis), seltener ist es für einen Genitalherpes (Herpes genitalis) verantwortlich. Verursacher für Herpesinfektionen in der Anogenitalregion ist zumeist das Herpes simplex-Virus Typ 2 (HSV-2).

Lippenherpes Mit HSV-1 sind zirka 95 Prozent der Bevölkerung infiziert, häufig ohne es zu wissen. Meist siedelt sich das Virus bereits in den ersten Lebensjahren an. Durch Schmier- und Tröpfcheninfektion gelangt es beim Schmusen mit den Eltern über kleine Haut- und Schleimhautläsionen zum Kind. Auch ist eine indirekte Infektion über gemeinsames Benutzen von Besteck und Gläsern möglich. Selten zeigt sich die Erstinfektion sofort als juckende mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen oder als schmerzhafte Aphten im Mund, die auch als Mundfäule (Stomatitis aphtosa) bezeichnet werden.

Vielmehr zieht sich das Virus von der Eintrittspforte in der Mundregion über die Nervenbahnen zum Trigeminusganglion zurück, das nahe den Schläfen liegt, wo es unbehelligt lebenslang verweilen kann. Denn nicht jeder, der HSV-1 in sich trägt, entwickelt später einen unangenehmen Ausschlag. Nur bei einem Drittel der Infizierten erwacht das Virus bei geschwächtem Immunsystem aus dem Latenzstadium und präsentiert sich mit den typischen Lippenbläschen am Übergang zum Lippenrot oder in den Mundwinkeln. Die Herpesbläschen können sich auch an anderen Stellen im Gesicht wie Nase, Augen oder Ohren ausbreiten oder durch orogenitalen Kontakt in die Genitalregion gelangen.

Jederzeit reaktivierbar Sowohl die Intensität als auch das Wiederaufflackern der Infektion variieren individuell. Zudem ist nicht vorhersehbar, ob oder wie häufig sich ein Rezidiv zeigt. Während die einen immer wieder mit einem erneuten Auftreten der Bläschen zu kämpfen haben, bleiben andere jahrelang verschont. In der Regel nimmt die Rezidivrate mit zunehmendem Lebensalter ab. Eine Infektion mit HSV-1 kann auch reaktiv sein, das heißt der Betroffene ist zwar symptomlos, scheidet aber dennoch infektiöse Viren aus, die er auf andere überträgt.

Sekundärinfektionen treten typischerweise bei Stress auf. Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol hemmen die Aktivierung von Makrophagen sowie die Einwanderung natürlicher Killerzellen und damit die körpereigene Immunabwehr. Zudem lassen sie die virale Replikationsrate ansteigen. Weitere Trigger sind körperliche Anstrengung, psychische Belastungen, negative Emotionen (z. B. Ekel, Angst, Probleme), Schlafmangel, intensive UV-Strahlung, Klimaveränderungen, Hormonschwankungen (z. B. Menstruation), Traumata (z. B. Operationen, Verletzungen, Zahnbehandlungen) oder immunsupprimierende Medikamente. Auch fieberhafte Infektionskrankheiten lassen die Herpes-Viren wiedererwachen, weshalb Herpesbläschen auch Fieberbläschen genannt werden.

Verlauf in sieben Phasen Herpes labialis zeigt einen charakteristischen Verlauf, wobei Dauer und Schweregrad individuell unterschiedlich sind. Unbehandelt dauert eine Episode etwa sieben bis zwölf Tage, die durch sieben Phasen gekennzeichnet ist.

  1. Prodromalphase: Ankündigung des Rezidivs mit einem Spannungsgefühl, Kribbeln und Jucken
  2. Erythemphase: Lippenhaut wird empfindlich, ist gerötet, aber noch intakt.
  3. Papelphase: Nach etwa 24 Stunden Aufblühen schmerzhafter Bläschen (Papeln), die in Gruppen angeordnet sind
  4. Vesikelphase: Papeln füllen sich mit hoch infektiöser Flüssigkeit und schwellen an (Vesikel).
  5. Ulzerationsphase: Wenig später platzen Vesikel auf und verschmelzen zu schmerzhaften, nässenden Läsionen.
  6. Verkrustungsphase: In der folgenden sechs Tagen trockenen Läsionen zu juckenden Krusten ein.
  7. Abheilungsphase: Krusten lösen sich, Rötungen und Schwellungen lassen nach. Zugleich ziehen sich die Viren wieder in die Ganglien zurück.

Potenzielle Komplikationen Zumeist verläuft die Infektion selbstlimitierend und die Bläschen bleiben auf das Lippenareal begrenzt. Breiten sie sich aber aus, sind die Grenzen der Selbstmedikation erreicht und die Betroffenen gehören in ärztliche Behandlung. Beispielsweise können die Lippenbläschen auf der vorgeschädigten Haut von Neurodermitis-Patienten eine flächenhafte Hautinfektion (Ekzema herpeticatum) nach sich ziehen. Problematisch wird es auch, wenn die Augen beteiligt sind und die Viren eine Einschränkung des Sehvermögens verursachen (Herpes corneae), Gesichtsnerven befallen und eine Gesichtslähmung (Fazialisparese) hervorrufen oder auf die Lunge (HSV-Pneumonie) übergreifen.

Gefährliche Komplikationen sind zudem Entzündungen des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhaut (Meningitis), wenn das Herpesvirus über die Geruchsnerven ins zentrale Nervensystem gelangt. Vor allem entwickeln Personen mit einem extrem geschwächten Immunsystem (z. B. ältere multimorbide Menschen, Patienten unter Chemotherapie, HIV-Patienten) schwere Verläufe mit lebensbedrohlichen Komplikationen. Diese gehen in der Regel mit einem schweren Krankheitsgefühl einher, das von Fieber, Abgeschlagenheit, starken Schmerzen und Lymphknotenschwellungen begleitet wird.

Viren bekämpfen Unkomplizierte Verläufe lassen sich mit rezeptfreien Topika behandeln. Am besten werden sie mit Wattestäbchen aufgetragen, um eine Verbreitung der Viren über die Finger zu vermeiden. Zudem sollten sie gleich beim ersten Spannungsgefühl zum Einsatz gelangen. Auch wenn eine Eliminierung der Viren nicht möglich ist, lässt sich so ihr Eindringen in die Wirtszellen begrenzen und eine Vermehrung der Viren reduzieren. Die Symptome können auf diese Weise gelindert, der Krankheitsverlauf verkürzt und der Heilungsprozess gefördert werden.

Von Hausmitteln wie Zahnpasta, Honig, alkoholischen Lösungen oder Teebaumöl ist abzuraten. Ihre Wirkung ist wissenschaftlich nicht belegt. Zudem können sie die Haut zusätzlich austrocknen, reizen oder gehen mit einem allergischen Potenzial (Teebaumöl) einher und können sich damit unter Umständen negativ auf den Heilungsverlauf auswirken. Sinnvoll ist hingegen, herpesempfindliche Lippen regelmäßig zu pflegen, vorzugsweise mit Lippenpflegestiften oder -cremes, die einen hohen Lichtschutzfaktor enthalten.

Damit lässt sich auch ein gewisser präventiver Effekt erzielen. Auf jeden Fall ermöglichen sie eine schnellere Regeneration der angegriffenen Lippenhaut. Zudem stehen wirkstofffreie Herpespflaster mit dem Prinzip der feuchten Wundheilung zur Verfügung, die in allen Phasen der Infektion für ein optimales Wundheilungsmilieu sorgen und mit dekorativer Kosmetik überschminkt werden können.

Virenreplikation hemmen Als Goldstandard unter den lokalen Herpesmitteln gelten Aciclovir und Penciclovir, beides Analoga der Nukleinbase Guanin. Sie dringen in die infizierten Zellen ein und werden als falscher Baustein in den viralen DNA-Strang eingebaut. Folge ist eine Hemmung der DNA-Polymerasen, wodurch der Abbruch der Virusreplikation eingeleitet wird. Damit verkürzen sie nachweislich den Krankheitsverlauf und lindern die Symptome.

Da die Wirkung umso besser ist, je früher sie zum Einsatz kommen, sollten die Cremes möglichst gleich zu Beginn der Beschwerden - solange sich die Viren noch vermehren - ausreichend häufig und regelmäßig aufgetragen werden (Aciclovir fünfmal täglich, Penciclovir mindestens sechsmal täglich alle zwei Stunden). Im Handel ist auch eine getönte Penciclovir-Variante, um Läsionen optisch zu kaschieren. Eine Kombination aus Aciclovir und Hydrocortison bekämpft zudem die Entzündung. Nachteil der Nukleosid-Analoga ist eine mögliche Resistenzentwicklung.

Viruseintritt begrenzen Alternativen ohne Resistenzproblematik sind Topika mit Melissenextrakt, Zinksulfat/Zink-Heparin-Kombinationen, Docosan-1-ol oder mit Mikroalgen der Gattung Spirulina. Da sie alle über verschiedene Mechanismen das Eindringen der Viren in die Wirtszellen verhindern, ist es besonders wichtig, mit ihrer Applikation rasch zu beginnen und sie konsequent mehrmals täglich zu applizieren. Beim Melissen- extrakt erschweren polymere glykosidische Phenolcarbonsäuren über eine Rezeptorblockade den Eintritt der Herpesviren in die Wirtszelle.

Präparate mit Zinksulfat wirken durch freigesetzte Zinkionen, die sich an die Membran von Herpesviren anlagern, sodass diese nicht an die Wirtszellen binden und in sie hineingelangen können. Zudem schützt Zinksulfat vor UV-Strahlung und wirkt adstringierend und damit wundheilungsfördernd. Ein Zusatz von Heparin soll den virustatischen Effekt steigern. Docosan-1-ol, ein langkettiger gesättigter aliphatischer Alkohol, lagert sich in die Zellmembranen der Hautzellen ein und macht die Zellen widerstandsfähiger.

Dadurch gelingt es den Viren nicht mehr, sich und ihr Erbmaterial in die Zellen einzuschleusen. Zubereitungen mit Mikroalgen der Gattung Spirulina haben verschiedene Ansatzpunkte. Zum einen legt sich das darin befindliche Zuckermolekül wie eine Art Film über die Hautzellen und verhindert damit ein Eindringen der Viren in die Keratinozyten des Wirts. Darüber hinaus wird die Krustenbildung vermindert und die Wundheilung unterstützt. Durch den Pflegecharakter der Grundlage mit zusätzlichem Lichtschutz wird auch einem erneuten Aufflammen der Herpes- infektion vorgebeugt.

Mikronährstoffe supplementieren Die äußerliche Behandlung lässt sich mit immunaktiven Mikronährstoffen wie Zink oder der Aminosäure L-Lysin innerlich unterstützen. Ihre Einnahme soll die virale Infektabwehr steigern, wodurch Reinfektionen mit HSV-1 seltener und Symptome und Dauer eines Lippenherpes gelindert werden. Zink gilt als starker Immunbooster, der das Immunsystem aktiviert und zugleich über antivirale Eigenschaften verfügt.

L-Lysin soll die Aminosäure Arginin verdrängen, die für das Wachstum der Herpesviren benötigt wird. Zink und L-Lysin stehen einzeln oder als Kombinationspräparate mit weiteren Mikronährstoffen (z. B. Vitamin C) zur Verfügung, die durch ihre immunstimulierenden und wundheilfördernden Eigenschaften das Immunsystem stärken und den Hautaufbau fördern sollen.

Genitalherpes Herpes genitalis gehört zu den sexuell übertragbaren Krankheiten, die weltweit am häufigsten vorkommen. Vor allem sind Frauen betroffen. Das weibliche Geschlecht steckt sich leichter an, da die weiblichen Schleimhäute empfindlicher als die männlichen sind. Schätzungsweise erkrankt jede fünfte Frau und jeder neunte Mann im Alter von 14 bis 49 Jahren an dieser Herpesvariante. Auslöser sind klassischerweise HSV-2. Zunehmend gewinnt auch HSV-1 als Erreger des Genitalherpes an Bedeutung. Im Unterschied zu HSV-2 führt HSV-1 seltener zu Rezidiven.

Eine Infektion erfolgt meist ab der Pubertät, also mit Beginn der sexuellen Aktivität. Die Übertragung findet bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr statt, wobei Trigger wie beispielsweise Stress, Sonnenlicht oder kleine Verletzungen eine Infektion begünstigen. Bei analem oder oralem Geschlechtsverkehr kann das Virus zudem von den Genitalien in den Enddarm oder an Lippen und Rachenschleimhaut gelangen. Zudem greifen die Viren durch Hautkontakt vorgeschädigte Hautareale wie beispielsweise Tätowierungen an. Gefürchtet sind schwerwiegende Komplikationen wie eine Herpes-Meningitis oder Herpes-Encephalitis.

Schwere Primärinfektion Im Gegensatz zum Lippenherpes verläuft die Erstinfektion beim Genitalherpes selten symptomfrei. Vielmehr macht sich eine Infektion in der Regel gleich beim ersten Mal mit ausgedehnten Hautläsionen bemerkbar, vor allem bei Personen, die zuvor noch keinen Lippenherpes hatten, sodass dem Organismus noch kein Herpes simplex-Virus bekannt ist. Erste Vorboten sind ein unangenehmes Gefühl sowie ein schmerzhaftes Jucken, Kribbeln oder Brennen am Penis, an der Scheide oder um den Anus herum.

Es bilden sich gruppiert angeordnete Bläschen auf gerötetem Grund, die starke Schmerzen auslösen können und nach zwei bis drei Wochen krustig abheilen. Zusätzlich können sich schmerzhaft vergrößerte Lymphknoten in der Leiste bilden. Auch sind Rücken- und Muskelschmerzen typisch, die von einem allgemeinen Krankheitsgefühl und Fieber begleitet werden. Bei der Primärinfektion entzünden sich zudem häufig Eichelhaut, Harnröhre oder Vulva. Schmerzen beim Wasserlassen und Geschlechtsverkehr sowie ein glasiger Ausfluss sind daher keine Seltenheit.

Vorsicht in der Schwangerschaft Besonders gefährlich ist ein Genitalherpes für Schwangere. Während der neun Monate kann das Virus auf das Ungeborene übergehen und dessen Haut, Schleimhäute und innere Organe stark in Mitleidenschaft ziehen. In zirka 50 Prozent der Fälle löst eine Erstinfektion eine Fehlgeburt aus. Zudem ist das Virus während der Geburt für den Säugling gefährlich. Leidet die Frau gerade zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal an einer genitalen Herpeserkrankung, ist eine Ansteckung des Neugeborenen möglich (Herpes neonatorum).

Neben einem lokalisierten Befall von Haut, Mundhöhle und Auge kann sich das Virus im ganzen Körper oder im Gehirn ausbreiten und lebensbedrohliche Komplikationen wie eine Herpes-Sepsis oder Herpes-Enzephalitis auslösen. Überlebt das Kind die Infektion, kann es im Laufe seines Lebens an neurologischen oder kognitiven Ausfällen sowie an epileptischen Anfällen leiden.

Starke Rezidivneigung Beim Genitalherpes ist wiederholtes Wiederaufflackern der Infektion typisch, wobei Sekundärinfektionen zunehmend schwächer und kürzer verlaufen. Reaktivierungen des Virus sind mit bis zu zwölf Erkrankungen im Jahr deutlich häufiger als bei der Variante an den Lippen. Aber nicht alle Infizierten erleiden mehrfach im Jahr Rezidive, manche sind auch nur einmal jährlich betroffen. Wie beim Lippenherpes spielt auch hier ein geschwächtes Immunsystem eine große Rolle, aber auch hormonelle Schwankungen (z. B. Menstruation) lassen die Infektion wiederaufflackern.

Vielfältige Auslöser können die schlummernden Viren aus ihrem Ruhestadium in den Ganglien des Rückenmarks aufwecken, wo sie bevorzugt in den Knotenpunkten im Bereich der Lendenregion und des Kreuzbeins symptomlos verharren. Werden sie wieder aktiv, wandern sie entlang der Nervenzellen zur Hautoberfläche zurück und rufen die typischen Hautläsionen hervor. Sekundärinfektionen können aber auch asymptomatisch verlaufen. Das Virus zeigt sich dann zwar nicht optisch, wird aber trotzdem ausgeschieden und weitergegeben.

Ein Fall für den Arzt Im Gegensatz zum Herpes labialis ist ein Herpes genitalis kein Fall für die Selbstmedikation. Abhängig von der Ausprägung der Erkrankung muss ein Arzt entscheiden, ob systemische und damit rezeptpflichtige Substanzen notwendig sind. Auch hier ist wie beim Lippenherpes schnelles Handeln gefragt, denn die eingesetzten Nukleotid-Analoga helfen am besten, wenn sie innerhalb der ersten 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome zum Einsatz kommen. Der Krankheitsverlauf wird abgekürzt, die Symptome deutlich gelindert.

Mittel der Wahl ist Aciclovir, das fünfmal täglich eingenommen wird. Alternativ werden Valaciclovir oder Famciclovir verabreicht. Ihr antiviraler Effekt ist ähnlich. Da sie aber seltener appliziert werden müssen, lässt sich mit ihnen die Compliance erhöhen. Bei besonders schweren Verläufen kommt Aciclovir intravenös zum Einsatz. Stellen sich häufige Rezidive ein (über sechsmal pro Jahr), erwägt der Arzt eine Langzeitprophylaxe mit oralen Virustatika über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten. Gute Zusatzempfehlungen zur Linderung der schmerzhaften Beschwerden sind Analgetika sowie Sitzbäder mit jodhaltigen Lösungen oder Eichenrindenextrakt.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 110.

Gode Chlond, Apothekerin

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