Diagnostik
BAKTERIEN ZUM FAHRTENSCHREIBER WEITERENTWICKELT
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Menschen und Tiere nutzen für ihre körperinterne Datenübertragung mRNA. Der Botenstoff enthält die Baupläne für die Substanzen, die eine Zelle gerade benötigt und produzieren muss. mRNA hat die Information aus der DNA so übersetzt, dass der Körper sie ablesen und die so codierten Proteine bilden kann. (Der Moderna- und der BioNTech-Corona-Impfstoff nutzt mRNA beispielsweise, um den menschlichen Zellen beizubringen, ein bestimmtes Stück des Coronavirus nachzubauen, sodass das Immunsystem dann Antikörper gegen dieses Virusstück bilden kann.)
mRNA steuer also die Funktionen in Zellen und dem kompletten Organismus: Immer dann, wenn ein Lebewesen mit Herausforderungen konfrontiert ist, die eine Aktivität bestimmter Stoffe im Körper verlangen, wird mRNA benötigt, um den dazugehörigen genetischen Bauplan abzurufen.. Das heißt, wenn man weiß, welche mRNA-Schnipsel eine Zelle bildet und abliest, kann man rückschließen, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert war. mRNA hat nur einen Nachteil: Sie ist nicht stabil. Die Zellen bauen dieses Molekül sehr schnell wieder ab. Oder doch nicht?
Bakterien als biologischer USB-Stick
Wissenschaftler um Randall Platt von der ETH Zürich haben in den letzten Jahren ein molekulares Speichersystem entwickelt. Es kann zumindest in Bakterien die Transkriptionsereignisse aufzeichnen und diese Daten anschließend für den Menschen zugänglich machen.
Bakterien bringen für diese Aufzeichnungsfunktion gute Voraussetzungen mit. Sie nutzen nämlich natürlicherweise das Crisp/Cas-System, um sich gegen Viren zu verteidigen. Mit der Crispr/Cas-Genschere bauen sie kurze Schnipsel des Viren-Erbguts in ihr eigenes Genom ein, in sogenannte Crispr-Arrays. Diese sind durch kurze, spezielle DNA-Sequenzen voneinander getrennt. So entsteht eine Art Archiv aller Viren, mit denen das Bakterium zu tun hatte. Das Bakterium kennt den Krankheitserreger dann bereits, wenn es ihm erneut begegnet, und kann entsprechende Abwehrmaßnahmen starten.
Bakterien führen Tagebuch – mit ihrem Erbgut
Um dieses Konzept als Datenlogger nutzen zu können, manipulierten die Forscher das System so, dass die Bakterien statt Virus-Erbgut-Fragmenten Schnipsel ihrer eigenen mRNA in die Crispr-Schnipsel einbauen. Das Archiv enthält jetzt keine Liste bekannter Viren mehr, sondern zeigt, welche seiner eigenen Erbgutteile das Bakterium abgelesen hat. Und das können die Forscher dann durch Sequenzierung auslesen – wie eine Art eingebauten Fahrtenschreiber.
Man hat daraufhin einen solchen Fahrtenschreiber für die medizinische Diagnostik umgerüstet. Die Wissenschaftler verabreichten Mäusen einen mit Speicherfunktion ausgerüsteten Stamm des Darmbakteriums Escherichia coli. Die Mikroben passierten das Verdauungssystem der Versuchstiere. Aus deren Kot wiederum isolierten die Forscher die bakterielle DNA und analysierten sie. So konnten sie gezielt die genetische Information der gespeicherten mRNA-Schnipsel rekonstruieren.
Wen haben sie getroffen, liegen Entzündungen vor?
Und tatsächlich: Informationen über die Genaktivität in den Bakterien, die während ihrer Reise durch den Mäuse-Verdauungstrakt aufgetreten waren, konnte man leicht ablesen. „Mit der neuen Methode können wir Informationen direkt aus dem Darm gewinnen, ohne die Darmfunktion stören zu müssen“, zeigte sich Co-Autor Andrew Macpherson begeistert.
Konkret konnten die Forscher durch Experimente mit unterschiedlich gefütterten Mäusen zeigen, wie Bakterien ihren Stoffwechsel dem jeweiligen Nährstoffangebot anpassten. Weitere Experimente zeigten außerdem, dass das System Informationen darüber liefern kann, mit welchen anderen Bakterien die Sensor-Mikroben im Darm in Kontakt gekommen waren. Auch wurden Entzündungsreaktionen erkannt: Wenn die Wissenschaftler Mäusen mit einer Darmentzündung sowie gesunden Versuchstieren die Sensor-Bakterien verabreichten, konnten sie hinterher bestimmte Unterschiede im Boten-RNA-Profil des Speichersystems feststellen.
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Guter Ansatz für medizinische Untersuchungen
Und so soll das neue Speichersystem auch für den Einsatz in der Medizin optimiert werden: Die Bakterien könnten beispielsweise dazu dienen, bestimmte entzündliche Darmerkrankungen zu diagnostizieren, Mangelernährung festzustellen oder zu klären, welche Diät für einen Patienten die richtige ist.
Allerdings müssen dafür erst noch Sicherheitsfragen geklärt werden. Die Forscher arbeiten im Moment an Veränderungen ihrer Sensor-Bakterien, die dazu führen, dass sie nicht außerhalb des Darms überleben können. Denn das wäre nicht im Sinne des Erfinders: Bakterien kennen keinen Datenschutz.
Quelle: wissenschaft.de