Ein Holzzaun hat ein Loch an einer morschen Stelle.© Yurich84/iStock/Getty Images Plus
Nicht nur Kalium- oder Glutamatwellen lösen Migräne-Attacken aus. Forscher fanden einen weiteren Mechanismus – und der hat mit einer Undichte an der Teilungsstelle des Trigeminusnervs zu tun.

Blut-Hirn-Schranke

MIGRÄNE-AUSLÖSENDER MECHANISMUS AUFGESCHLÜSSELT

Migräne ist von der Medizin immer noch nicht ganz verstanden. Jetzt haben Forscher einen neuartigen Signalweg entdeckt, der Proteine einschleust, die das Gehirn verrücktspielen lassen. Was der Trigeminus mit Migräne zu tun hat.

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Schätzungen zufolge leidet jeder Zehnte an Migräne. Doch wer ist der Übeltäter? Was verursacht diese neurologische Funktionsstörung im Gehirn? Früher gingen Wissenschaftler von einer Fehlsteuerung der Blutgefäße im Gehirn aus. Demnach verengen sich kurz vor einer Migräne-Attacke die Blutgefäße, weswegen die betroffene Hirnregion schlechter durchblutet wird. In einer überschießenden Gegenreaktion erweitern sich anschließend dieselben Blutgefäße, was wehtut. Diese Gefäßdehnung verursacht dann die migränetypischen Schmerzen.

Das, dachte man lange Zeit, sei die einzige Ursache. Aber es stimmt nicht. Kürzlich deckten Forschende einen Signalweg auf, einen Mechanismus, der Migräne-Attacken erklärt.

Über Migräne

Wäre die Migräne ein True crime-Format, würde das so aussehen: Wie aus dem Nichts überfällt der Übeltäter den Zentralcomputer und verursacht schwerste Zwischenfälle bis hin zum Funktionsausfall. Manchmal kündigt er sein Erscheinen durch flackernde Lichtblitze oder doppelte Bilder (Aura) an, manchmal nicht.

Der Überfallene muss stärkste Schmerzen ertragen, es fühlt sich an, als würde jemand mit einem glühenden Hammer im Kopf alles kurz und klein schlagen. Der Magen hebt sich in schlimmer Übelkeit, es kommt zum Erbrechen. Da Tageslicht unerträglich wäre, muss der Raum abgedunkelt werden, in dem der Kranke liegt. Arbeiten ist unmöglich. Ein Migräneanfall knockt den Patienten einfach aus, und das meist für einen bis zwei Tage.

Rolle von Proteinen im Nervenwasser bei Migräne bislang unklar

Rund ein Viertel der an Migräne Leidenden haben eine sogenannte Aura, die bis zu einer Stunde vor dem eigentlichen Anfall auftritt. Sie sehen Lichtblitze oder doppelt oder fühlen ein Kribbeln im Körper. Frühere Studien legen nahe, dass diese Auren durch spontane Glutamat- oder Kaliumschübe ausgelöst werden, die sich über die Großhirnrinde oder das Kleinhirn ausbreiten. Das reduziert den Sauerstoffgehalt und den Blutfluss und verursacht Wahrnehmungsstörungen.

Darüber hinaus werden bei den Schüben über das Nervenwasser im Gehirn Proteine freigesetzt, die wiederum Schmerzrezeptoren an sensorischen Nervenzellen in Bereichen des Kopfes außerhalb des Gehirns aktivieren. Doch wie dieser Mechanismus genau funktioniert, war bislang völlig unklar.

Nervenknotenpunkt: Trigeminus und Migräne

Wieder einmal mussten Labormäuse herhalten, damit der Weg der Proteine sichtbar wurde. Und ja, es gibt speziell gezüchtete Mäuse mit Migräne. Anhand bildgebender Verfahren und Proteinanalysen per Massenspektrometer fanden amerikanische Forscher vor kurzem folgendes heraus: Es gibt einen bisher unbekannten Signalweg, über den das zentrale Nervensystem im Gehirn und die Nervenzellen im restlichen Körper miteinander kommunizieren.

Dieser Weg verläuft nicht über Synapsen, sondern über einen bestimmten Nerven-Knotenpunkt außerhalb des Gehirns, den Ganglion trigeminale. Der sitzt an der Schädelbasis unterhalb des Gehirns und verbindet dieses mit den Nervenzellen in Gesicht und Kopf.

Signalweg funktioniert entweder links- oder rechtsseitig

Und nun das Besondere: Im Gegensatz zu den übrigen Hirnregionen ist die Blut-Hirn-Schranke an diesem Knotenpunkt durchlässig. Es ist sozusagen ein Loch im Zaun. Dadurch ist es an dieser Stelle ausnahmsweise möglich, dass die peripheren Nervenzellen mit den Proteinen aus dem Hirnwasser in Kontakt kommen, weil die kleinen Eiweiße dort ungehindert durch die Lücke fließen können. Gleich zwölf verschiedene Proteine sind es, die ans Ganglion trigeminale binden können. Darunter ist auch das CGRP-Protein, von dem bereits ein Zusammenhang mit Migräne bekannt war.

Interessant ist auch, dass dieser Mechanismus offenbar nach Gehirnhälften getrennt erfolgt. So binden die auf einer Seite freigesetzten Proteine vorwiegend an den Knotenpunkt in derselben Kopfhälfte. Das könnte erklären, warum die Schmerzen bei Migräne-Anfällen einseitig auftreten.

Neue Migränetherapie in Aussicht?

Weil die Forscher diesen Signalweg entdeckt haben, könnte dies der Ansatz zu einer neuen Migränetherapie sein – zum Beispiel indem man einen Wirkstoff findet, der das CGRP-Protein hemmt. Das würde all denjenigen zugutekommen, bei denen die bisher verfügbaren Therapien nicht ansprechen, und das wäre eine echte Sensation.

Neben Migräne könnte der neu entdeckte Signalweg übrigens auch an anderen Krankheiten beteiligt sein. Das soll nun in Folgestudien weiter untersucht werden. Dabei könnte auch geklärt werden, warum die Kopfschmerzen oft noch lange anhalten, nach dem die auslösende Proteinwelle im Gehirn wieder abgeflacht ist.

Quellen:
https://www.scinexx.de/news/medizin/ausloeser-fuer-migraene-anfaelle-identifiziert/ 
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adl0544

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