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Rabattverträge

WIE VIEL RABATT BEKOMMEN DIE KRANKENKASSEN?

Welche Arzneimittelpreise Krankenkassen und Hersteller in ihren Rabattverträgen vereinbaren, ist geheim – eigentlich. Im Oktober legte die AOK versehentlich Gebote offen. Und die haben es in sich: fast 100 Prozent Rabatt.

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Wenn Sie ein Rezept beliefern, sehen Sie im Kassenprogramm, welche Hersteller Rabattvertragspartner der Krankenkasse Ihres Kunden sind. Sie sehen auch den Verkaufspreis und die Zuzahlung, beides drucken Sie schließlich auf das Rezept. Was Sie nicht sehen, ist der Preis, den die Krankenkasse tatsächlich für das Arzneimittel bezahlt, denn die Konditionen der Rabattverträge sind geheim. Das sorgt immer wieder für Konflikte im Kundengespräch. Einige Kunden würden gern einen Aufpreis zahlen, wenn sie dafür ihren Wunschhersteller erhalten – wie hoch dieser Aufpreis ausfallen wird, ist aber nicht absehbar.

Nun jedoch können wir die Dimensionen der Rabatte erahnen. Denn der AOK Baden-Württemberg unterlief ein Fehler während der Ausschreibung: Die Kasse übermittelte, wohl versehentlich, die streng vertraulichen Angebote des indischen Unternehmens Glenmark an mitbietende Konkurrenzhersteller. Aus diesen Unterlagen geht hervor, welche Rabatte Glenmark der AOK bietet, um Rabattvertragspartner zu werden – und die Unterlagen gelangten an ein pharmazeutisches Nachrichtenportal.

Über 99 Prozent Rabatt Für viele Wirkstoffe, beispielsweise Opioide und Sartane, bietet Glenmark dem gesetzlichen Krankenversicherer demnach über 80 Prozent Rabatt auf den Abgabepreis des Pharmazeutischen Unternehmers. Für einige Präparate, darunter das Betäubungsmittel Buprenorphin, lag das Gebot sogar bei über 99 Prozent Preisnachlass. Die AOK müsste also nur noch einen symbolischen Betrag zahlen.

Wie kann sich das lohnen? Insbesondere für die AOK, bei der fast ein Drittel der Bevölkerung versichert ist (Stand 2019), bieten Hersteller solche Nachlässe, die nicht wirtschaftlich erscheinen. Dabei setzen sie auf die Warenwirtschaft der Apotheken. Sie hoffen darauf, dass die Apotheken die Artikel der Rabattverträge in großen Mengen an Lager legen und dann auch bevorzugt bei Mehrpartnerverträgen, Lieferengpässen oder Privatrezepten abgeben. So soll es sich für die Hersteller dann doch rentieren, der AOK die Arzneimittel quasi geschenkt zu haben. Für die Krankenkassen lohnt sich das allemal: Allein im Jahr 2020 gaben sie durch die Herstellerrabatte fünf Milliarden Euro weniger aus, zwei Milliarden davon sparte die AOK.

Wie war das nochmal mit den Arzneimittelpreisen? Wie sich die Preise für Arzneimittel zusammensetzen, regelt die Arzneimittelpreisverordnung. Der Hersteller verkauft sein Präparat zum Abgabepreis des Pharmazeutischen Unternehmers (ApU) an den Großhandel. Der Großhandel schlägt darauf 3,15 Prozent auf, maximal 37,50 Euro, und zusätzliche 70 Cent. So entsteht der Apothekeneinkaufspreis (AEP), zu dem die Apotheke das Arzneimittel erwirbt. Wenn Sie das Arzneimittel an Ihren Kunden abgeben, addiert das Kassenprogramm die Vergütung für die Apotheke: Das sind drei Prozent für die Abwicklung, Lagerhaltung und dafür, dass die Apotheke in Vorleistung gegangen ist, dann noch einmal 8,35 Euro für Ihre pharmazeutische Leistung und 21 Cent, um den Notdienst zu fördern. Obendrauf kommt die Mehrwertsteuer. Daraus ergibt sich der Apothekenverkaufspreis (AVP) – das Geld, das Ihre Apotheke gern von der Krankenkasse zurückhätte.

Die Krankenkasse erstattet Ihnen aber nicht den vollen AVP. Einen Teil erhalten Sie vom Kunden: seine gesetzliche Zuzahlung in Höhe von zehn Prozent des AVP. Maximal aber zehn Euro und mindestens fünf Euro, es sei denn, das Arzneimittel kostet weniger als fünf Euro – dann ist die Zuzahlung so hoch wie der AVP. Außerdem geht vom AVP noch der gesetzliche Apothekenabschlag ab, eine Art Skonto für die Krankenkasse, wenn sie innerhalb von zehn Tagen zahlt. Sie muss demnach für Fertigarzneimittel 1,77 Euro weniger hinlegen, für andere Produkte fünf Prozent des AVP.

Und dann wird noch der gesetzliche Herstellerabschlag abgezogen. Das sind in der Regel sieben Prozent vom ApU, bei Generika sechs Prozent. Für Impfstoffe gelten eigene Regelungen und bei Festbetragsarzneimitteln, deren ApU mehr als 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt, entfällt der Herstellerabschlag ganz. Diesen Herstellerabschlag zahlt die Krankenkasse der Apotheke also auch nicht aus, stattdessen zahlt ihn der Hersteller selbst – die Organisation dieses durchlaufenden Postens übernimmt das Rechenzentrum. Was jetzt übrig bleibt, sind die effektiven Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung, der GKV-Nettopreis.

Und wo greift jetzt der Rabattvertrag? Ganz zum Schluss, wenn Ihr Rechenzentrum das Rezept erhalten, geprüft und mit Ihnen und der Krankenkasse abgerechnet hat, macht die Krankenkasse ihre Kosten beim Rabattvertragspartner geltend. Das heißt, sie bekommt vom Hersteller einen Teil ihrer Ausgaben zurück – wie viel genau, bestimmt der Rabattvertrag. Weder das Rechenzentrum noch die Apotheke sind in diesen Schritt eingebunden. Nicht nur die Höhe des Rabatts, sondern auch, auf welchen Wert er sich bezieht, wird individuell vertraglich festgehalten – meist gilt er auf den ApU, wie eine Sprecherin der AOK berichtet.

Manche Rabatte gelten bundesweit, andere nur regional. Durchschnittsangaben könne sie nicht machen: „So eine Vielzahl von Rabattverträgen in unterschiedlichen Höhen kann man gar nicht aufdröseln.“ Das scheint kompliziert – lassen Sie uns doch einmal eine Beispielrechnung aufstellen anhand von Buprenorphin Glenmark, da wir hierfür ja jetzt die Rabattangebote kennen. Wir haben uns die Packung mit einer Freisetzung von 52,5 Mikrogramm pro Stunde und 20 Stück herausgegriffen.

Abgabepreis des Pharmazeutischen Unternehmers (ApU)245,93
+ Großhandelshöchstzuschlag 3,15 %+ 7,75
+ 0,70 Euro+ 0,70
  
= Apothekeneinkaufspreis (AEP)254,38
+ 3 % Zuschlag für Abwicklung, Lagerhaltung und Vorfinanzierung+ 7,63
+ 8,35 Euro Zuschlag für pharmazeutische Leistung+ 8,35
+ 0,21 Euro Notdienstzuschlag+ 0,21
+ 19 % Mehrwertsteuer+ 51,41
  
= Apothekenverkaufspreis (AVP)321,98
– Zuzahlung; Buprenorphin ist bei der AOK derzeit zuzahlungsfrei- 0
– 1,77 Euro Apothekenabschlag- 1,77
– 6 % Herstellerabschlag für Generika- 19,32
  
= GKV-Nettopreis300,89

Das heißt, Glenmark erhält in unserem Beispiel 245,93 Euro vom Großhandel. Davon überlässt der Hersteller im Rahmen des Rabattvertrags 99 Prozent der Krankenkasse, das sind 243,47 Euro. Die wiederum bezahlt damit der Apotheke den GKV-Nettopreis von 300,89 Euro, muss also nur noch 57,42 Euro drauflegen – und hat bereits 1,77 Euro Preisnachlass von der Apotheke erhalten. Sie zahlt vom AVP letztlich also nur 18 Prozent.

Ein Schelm, wer nun denkt, da könnten die Kassen doch generell auf die Zuzahlung der Versicherten verzichten und PTA und Apothekern damit zumindest diese leidigen Diskussionen ersparen. Wenn wir berücksichtigen, dass in manchen Rabattverträgen nicht der ApU, sondern der GKV-Nettopreis als Grundlage ausgehandelt wurde, wird auch klar, warum manche Präparate bereits zuzahlungsfrei sind – der Versicherte würde sonst mehr zahlen als die Kasse selbst.

Immerhin kann die Krankenkasse nicht noch an der Zuzahlung verdienen – selbst, wenn sie vom Hersteller den vollen GKV-Nettopreis erstattet bekäme, ist die Zuzahlung im Nettopreis ja bereits abgezogen. Die AOK-Sprecherin bestätigt: „Die Rabattverträge haben mit dem Versicherten und seiner Pflicht zur Zuzahlung gar nichts zu tun.“

Sicherlich ist dieses Exempel extrem. Auf andere Wirkstoffe gewährt Glenmark geringere Rabatte, die Gebote anderer Hersteller kennen wir nicht und kleinere Krankenkassen könnten geringere Rabatte erhalten. Klar ist jedoch, dass die Größenordnungen der Rabattverträge mit den Preisnachlässen, wie wir sie aus dem Winterschlussverkauf kennen, nichts zu tun haben.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 12/2021 ab Seite 28.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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