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Fibromyalgie

WENN DER KÖRPER SCHREIT

Alle Organe sind gesund und doch schmerzen Muskeln und Gelenke. Die Symptome der Fibromyalgie sind weder eingebildet, noch müssen die Betroffenen sie hinnehmen. Rheumatologische und schmerzmedizinische Therapien können nicht heilen, aber helfen.

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Selbst das Einkaufen oder einfache Tätigkeiten im Haushalt kosten Betroffene viel Kraft. Sie leiden unter chronischen Schmerzen in mehreren Körperregionen – man spricht deshalb von chronic widespread pain (CWP). Übersetzt bedeutet der Begriff Fibromyalgie Faser-Muskel-Schmerz. Meist nehmen die Patienten diesen Schmerz im tiefliegenden Muskelgewebe wahr, oft auch auf der Haut oder im Bereich der Gelenke, auch wenn diese selbst nicht betroffen sind. Fast immer treten Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule auf und breiten sich in die Extremitäten aus. Doch können mit bildgebenden Verfahren und Labordiagnostik keine organischen Ursachen für die Empfindung festgestellt werden.

Das lässt die Patienten oft als Hypochonder dastehen. Der Schmerz wird meist begleitet von Schlafstörungen. Die Betroffenen finden durch häufiges Erwachen nicht in die Tiefschlafphasen und fühlen sich deshalb erschöpft. Hinzu kommen Konzentrationsprobleme, die kaum einen klaren Gedanken zulassen. Man spricht vom „Fibro-Nebel“ (fibro-fog). – „Ich fühle mich oft wie ein Wrack in meinem angeblich gesunden Körper“, so beschreibt es eine 55-jährige Patientin.

Somatisch funktionelles Syndrom Die Erkrankung entwickelt sich meist über einen größeren Zeitraum und die Symptome können monatelang anhalten. Bis die Fibromyalgie als Diagnose im Raum steht, vergehen oft viele Jahre, denn die Ursache lässt sich schwer finden. Und obgleich die Fibromyalgie inzwischen seit mehr als drei Jahrzehnten als Krankheit anerkannt ist und dem nichtentzündlichen nichtdegenerativen Formenkreis zugeordnet wird, weiß man im Grunde noch wenig über die Ursachen der chronischen Schmerzen. Es werden sowohl genetische als auch somatische oder psychische Belastung diskutiert. Medizinische Fachgesellschaften sprechen von somatischem funktionellem Syndrom, das bedeutet, dass zwar körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen, die Ursachen aber nicht durch Schädigung des Gewebes hervorgerufen wird.

„Vielmehr wird die Symptomatik durch Störungen in der Schmerzwahrnehmung im Gehirn verursacht“, verdeutlicht Dr. Ulrich Pfeiffer, leitender Oberarzt einer rheumatologischen Klinik in Wuppertal. Durch Störungen im Schmerzfilter interpretiert das Gehirn bereits schwache Reize als Schmerz. „Man kann das so verständlich machen“, erklärt der Rheumatologe: Wenn man Kleidung auf der Haut trägt, ist das ein starker Reiz, den das Gehirn aber normalerweise herausgefiltert, wir nehmen ihn also gar nicht wahr. Ein eher schwacher Reiz einer Ameise hingegen, die auf dem Arm krabbelt, wird vom Gehirn anders bewertet und als sehr störend empfunden.“

Oftmals lange Vorgeschichte Zu den Faktoren, die das Risiko der Erkrankung erhöhen, gehören nach Meinung des Mediziners übermäßiges Stresserleben am Arbeitsplatz und in der Familie sowie psychische Traumata wie Misshandlung im Kindes- und Erwachsenenalter oder das Erleben der Erkrankung bei den Eltern. Das Fibromyalgiesyndrom kann auch als Sekundärerkrankung beispielsweise einer rheumatoiden Arthritis auftreten. Geringe körperliche Aktivität, Rauchen oder Übergewicht begünstigen die Symptomatik. Die Prävalenz der Erkrankungen wird in bevölkerungsbasierten Studien zwischen zwei und elf Prozent angegeben.

Frauen erkranken deutlich häufiger als Männer, insbesondere in den Wechseljahren treten die Symptome auf. Trotz der recht hohen Prävalenz ist sie den meisten Menschen unbekannt. Die Diagnose der Fibromyalgie erfolgt anhand eines bestimmten Beschwerdemusters allein über den Ausschluss von Stoffwechsel- und entzündlichen Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik – auch das ist für die Patienten oft unbefriedigend. Denn da sie organisch nicht begründbar ist, wird sie oft als eingebildet abgetan. Das führt zu einer zusätzlichen Belastung bei den Betroffenen, die nicht selten das Gefühl haben, der Arzt nehme sie nicht ernst. Oft haben sie eine lange Arzt-Odyssee hinter sich, bevor die Erkrankung von Rheumatologen und Schmerzmediziner erkannt und den Patienten geholfen wird.

Multimodale Behandlung So vielseitig das Beschwerdebild der Erkrankten ist, so unterschiedlich und individuell sind auch die therapeutischen Ansätze, die meist nicht nur in einer Behandlungsform, sondern einer Kombination aus medikamentöser, psychologischer und physiologischer Therapie besteht. Das erfordert viel Geduld von Seiten des Arztes und des Patienten. Da die Schmerzen keine entzündliche Ursache haben, helfen nichtsteroidale Antirheumatika den Betroffenen in der Regel wenig. Zur Behandlung der Symptomatik ist bei vielen jedoch der niedrig dosierte Einsatz von Antidepressiva wie Amitriptylin (10 Milligramm), Duloxetin, und Pregabalin zur Nacht erfolgreich, erklärt Pfeiffer.

Dadurch verbessert sich die Schlafqualität und die Entspannung des Körpers vermindert den Schmerz. Hilfe bekommen Betroffene aufgrund des psychosomatischen Hintergrundes oft auch von Psychologen und Psychiatern, erklärt der Rheumatologe: In der kognitiven Verhaltenstherapie, beispielsweise der Schmerzbewältigungstherapie, erlernen Patienten Wege aus der Katastrophisierung der Erkrankung, die die Ängste vor dem Schmerz nehmen. Je nach Ursache werden tiefenpsychologische und analytische Psychotherapie eingesetzt. Ein weiterer Baustein in der Therapie ist es die Betroffenen wieder zu körperlichem Training zu motivieren: Viele scheuen sportliche Aktivität, weil sie Angst davor haben, dass diese Schmerzen auslösen könnten.

Doch ist genau das Gegenteil ist der Fall: Der Weg aus der Passivität hin zu einem bewegungsaktiven Leben mit leichtem aerobem Ausdauertraining wie Gehen, Walking, Radfahren, Tanzen oder Schwimmen, bevorzugt in warmem Wasser, aber auch Muskelaufbautraining verbessert das Wohlbefinden vieler Patienten. Auch Entspannungsmethoden, wie Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation sowie Methoden zur Stressbewältigung helfen den Patienten, den Teufelskreis aus Schmerzempfinden und Schlafstörung zu durchbrechen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/2021 ab Seite 122.

Dr. Susanne Poth, Apothekerin / Redaktion

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