Pflanzliche Inhaltsstoffe
SIE LÖSEN ALARM AUS
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Aus Sicht der produzierenden Pflanze sollen Alkaloide in erster Linie als Fraßschutz dienen. Mögliche Fressfeinde erkennen sofort den bitteren Geschmack, sodass ein weiterer Verzehr der Pflanze richtigerweise als lebensbedrohlich eingestuft wird. Diese Gefahr gilt auch für den Menschen. In der richtigen Dosierung hingegen bewirken Alkaloide wahre therapeutische Wunder. Auch wenn sie als Arzneistoffe immer mehr von der Bildfläche verschwinden und durch pharmakologisch sicherere Alternativen ersetzt werden, spielen sie in der modernen Pharmazie eine wichtige Rolle. Wie chemische Wirkstoffe werden sie als Reinsubstanz eingesetzt, was für pflanzliche Wirkstoffe eher untypisch ist. Ihr chemischer Aufbau bietet eine bunte Mischung an Substanzen, die alle stickstoffhaltig sind und dadurch schwach alkalisch reagieren – daher auch der Name.
Eine genauere gemeinsame Beschreibung ist derzeit allerdings noch nicht möglich. Durch ihre strukturelle Ähnlichkeit mit den menschlichen Neurotransmittern wirken sie häufig direkt auf das zentrale Nervensystem oder erhöhen indirekt die Freisetzung anderer Transmitter. Der Grund dieser Ähnlichkeit findet sich in der Entstehung der Alkaloide innerhalb der Pflanze. Die Ausgangssubstanzen bilden die Aminosäuren des Primärstoffwechsels. Je nach Ursprungsaminosäure werden verschiedene Alkaloid-Typen unterschieden.
Tropanalkaloide abgeleitet von Ornithin Die für den Menschen nicht essenzielle Aminosäure Ornithin dient in der Pflanzenwelt als Ausgangsstoff für sehr bekannte Alkaloide. Der Prototyp der Parasympatholytika schlechthin ist ein Alkaloid: Atropin. Es konkurriert mit Acetylcholin um die muskarinischen Rezeptoren des Parasympathikus. Als Anticholinergikum führt es schnell zu Herzrasen und erhöhter Temperatur. Zum Einsatz kommt es, wie auch der nahe Verwandte Scopolamin hauptsächlich in der Augenheilkunde als Mydriaticum. Die beiden Alkaloide überzeugen mit einer besonders langen Halbwertszeit, die bei Entzündungen des Augeninneren erwünscht ist. In Form von transdermalen, therapeutischen Systemen kann Scopolamin auch bei Reiseübelkeit eingesetzt werden, indem es zentral im Brechzentrum die muskarinischen Acetylcholin-Rezeptoren blockiert.
Ein weiteres gefährliches Alkaloid hat es erst vor ein paar Jahren in die allgemeinen Nachrichten geschafft. Pyrrolizidin-Alkaloide aus dem Schöllkraut können zu tödlichen Vergiftungen sowohl beim Menschen als auch bei Nutztieren führen. Sie werden nach ihrer Aufnahme in der Leber zu toxischen Metaboliten biotransformiert. Die entstehenden hochreaktiven Metabolite reagieren unter anderem mit der DNA, was auf Dauer zu schweren Leberschäden, wie Leberzirrhose oder Lebertumoren, führen kann.
Von Phenylalanin und Tyrosin abgeleitete Alkaloide In dieser Gruppe der Alkaloide befinden sich Stoffe, die eine hohe Ähnlichkeit mit den wichtigsten menschlichen Neurotransmittern, zum Beispiel Dopamin und Adrenalin, haben. Sowohl apothekenpflichtige, als auch verschreibungspflichtige Alkaloide bis hin zu solchen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, entstehen in der Pflanze über die Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin. Ein bekanntes Beispiel stellt das Ephedrin dar. Meist in Kombination mit nichtsteroidalen Antirheumatika oder Antihistaminika wird es gerne bei Grippesymptomen oder Allergien eingesetzt.
Es kann die Blut-Hirn-Schranke leicht überwinden und entfaltet dort seine zentralerregende Wirkung. Was zeitweise wieder zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit führt, kann auf Dauer zur Abhängigkeit führen. Ebenfalls mit hohem Abhängigkeitspotenzial verbunden sind die Alkaloide, die unter den Sammelbegriff Opium fallen. Codein und Noscapin werden hauptsächlich zur Therapie von trockenem Reizhusten eingesetzt. Noscapin besitzt kaum Abhängigkeitspotenzial und wird daher schon bei Kindern eingesetzt. Wie Codein auch, hemmen die beiden Substanzen das Hustenzentrum im Stammhirn.
Codein kann zusätzlich bei Schmerzen eingesetzt werden, da es nach Resorption zu Morphin metabolisiert wird. Als letztes wichtiges Alkaloid stammt auch das Colchicin aus dem Aminosäurestoffwechsel des Tyrosins. Als sehr potenter Mitosehemmstoff wird es bei akuten Gichtanfällen als Mittel der zweiten Wahl eingesetzt. Colchicin hemmt die Phagozytoseaktivität der Leukozyten und unterbricht so die Reaktionskette. Werden die Samen versehentlich gegessen, sollte schnellstmöglich ein Arzt aufgesucht werden. Vergiftungserscheinungen, wie ein typisches Brennen und Kratzen im Mund treten in der Regel erst ab zwei Stunden nach der Einnahme auf. Leider kann diese Vergiftung nur symptomatisch behandelt werden. Insbesondere die klappernden Kapseln, in denen die tödlichen Samen gespeichert sind, machen die Pflanze zu einem interessanten Objekt für Kinder.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/2021 ab Seite 32.
Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde