Mehrere Sprechblasen mit Hanfblättern© cglade/iStock/Getty Images Plus
Wenn wir über die Cannabislegalisierung sprechen, sollten wir auch bedenken, wie sie den medizinischen Gebrauch erleichtert – und wo dabei noch nachgebessert werden sollte.

Cannabis

„DIESER TEIL DES CANNABISGESETZES FINDET IN DER AKTUELLEN DISKUSSION ZU WENIG BEACHTUNG.“

Die Legalisierung von Cannabis behandelte vor allem den Freizeitkonsum. Aber auch beim Medizinalcannabis verändert sich damit einiges. Dr. Nadine Herwig aus der Grünhorn-Apotheke in Leipzig räumt mit Vorurteilen auf.

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Die Grünhorn-Apotheke in Leipzig ist derzeit Deutschlands größter Versorger mit medizinischen Cannabisprodukten. Sie wurde 2020 gegründet. Der Gründer der Grünhorn Gruppe, Stefan Fritsch, erkannte nach der Änderung des Cannabisgesetzes 2017, dass sowohl Patienten als auch Ärzte großen Nachholbedarf auf diesem Gebiet haben.

Mit der Plattform gruenhorn.de will Fritsch für beide Seiten ein verlässlicher Ansprechpartner sein: Ärzte berät er bei der Auswahl der passenden Cannabissorte. Patienten beziehungsweise Apothekenkunden versorgt er verlässlich, indem er seine Herstellungsprozesse optimiert. Ende 2022 kam Dr. rer. nat. Nadine Herwig ins Unternehmen. Die Expertin für Biotechnologie, Krebsforschung und Arzneimittelzulassung leitet die Grünhorn Academy.


 

DIE PTA IN DER APOTHEKE: Frau Dr. Herwig, was macht Ihren Arbeitgeber, die Grünhorn-Apotheke, so einzigartig und welche Aufgabe übernehmen Sie?

Dr. Nadine Herwig: In der Cannabiszeitrechnung ist die Grünhorn-Apotheke schon lange dabei und konnte früh Erfahrungen auf dem Gebiet des Medizinalcannabis sammeln. Meine Aufgabe ist der Aufbau und die Pflege der Grünhorn Academy, das ist eine Aufklärungsplattform für Ärzte, Patienten und alle Interessierten. Dort werden neueste Entwicklungen zusammengetragen und leicht verständlich der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

So eine Plattform war dringend nötig. Mich hat überrascht, wie viel Aufklärungsarbeit noch zu leisten ist, um Vorurteile durch wissenschaftlich basierte Erkenntnisse zu ersetzen. Bei den Medizinern besteht häufig Nachholbedarf zum Thema Endocannabinoid-System. Im Medizinstudium wird es nur kurz erwähnt. Dabei bietet es so viel Potenzial: Jeder Mensch besitzt es und es hat Einfluss auf verschiedenste Funktionen des Gehirns, des Bewegungsapparates und weitere Bereiche des menschlichen Körpers.

Bei welchen Indikationen kann Cannabis eingesetzt werden beziehungsweise bei welchen Indikationen kommt es bisher hauptsächlich zum Einsatz?

Überall, wo das Endocannabinoid-System eine Rolle spielt, kann Cannabis eingesetzt werden. Es fehlen aber noch Studien, um eine Vergleichbarkeit mit anderen Arzneimitteln zu ermöglichen. Abgesehen von Schmerzen und Schlafstörungen, wo schon jetzt häufig Cannabis verordnet wird, sind auch Erkrankungen des Bewegungsapparates mit Spasmen wie das Tourette-Syndrom oder entzündliche Erkrankungen wie Multiple Sklerose für eine Cannabis-Therapie geeignet.

Als eine der wichtigsten Patientengruppen würde ich Palliativpatienten ansehen. Ärzte, die Patienten in der spezialisierten, ambulanten Palliativversorgung betreuen, müssen schon jetzt keine Genehmigung zur Kostenübernahme bei der Krankenkasse einholen. Auch wenn Cannabis die Grunderkrankung nicht beeinflusst, wird zumindest die Lebensqualität verbessert.

Vom Medizinalcannabis zum Freizeitkonsum, der seit dem 1. April legal ist: Was halten Sie von dieser Neuerung?

Das muss man klar trennen. Wir sind in der Grünhorn-Apotheke für Medizinalcannabis verantwortlich. Wir arbeiten mit standardisierten Pflanzen, die auf Grundlage einer ärztlichen Diagnose in Arzneimittel-Qualität für Patienten zur Verfügung gestellt werden. Das kann man auf keinen Fall mit dem Cannabis vergleichen, das im Freizeitkonsum genutzt wird.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage in Deutschland entwickelt. Andere Länder wie Thailand, in denen die Legalisierung inzwischen wieder rückgängig gemacht wurde, haben zu wenig dafür gesorgt, dass der Schwarzmarkt effektiv bekämpft wird. Das gilt auch für die Niederlande, wo sich selbst die Coffee-Shops in einer rechtlichen Grauzone befinden.

Positiv ist die erleichterte Verordnung durch die Ärzteschaft, die mit der Gesetzesänderung einhergeht: Vor allem für die Selbstzahler wurde Bürokratie abgebaut. Bei geeigneter ärztlicher Diagnose kann nun, wie für andere Arzneimittel auch, ein normales Privatrezept ausgestellt werden. Dieser Teil des Cannabisgesetzes findet in der aktuellen Diskussion zu wenig Beachtung. Es wird viel über den Freizeitkonsum geredet, aber wenig über die Vorteile für kranke Menschen, wenn ihre Therapie weniger Hürden mit sich bringt.

Die Gesetzgebung macht zwar eine klare Trennung zwischen Freizeitkonsum und Medizinalcannabis. Es gibt aber noch Themen, die genauer festgelegt werden müssen, um beispielsweise Schmerzpatienten von Freizeitkonsumenten abzugrenzen: Wenn ein Patient auf einem Spielplatz eine Schmerzattacke bekommt, muss er zeitnah seine Bedarfstherapie mit Cannabis beginnen und kann nicht erst prüfen, wo die 100 Meter Abstand beginnen.

Jeder Konsument muss sich auch kritisch hinterfragen, wie verkehrstauglich er sich gerade fühlt. Cannabispatienten konsumieren teilweise täglich und reagieren daher nach der Eingewöhnungsphase ganz anders als Freizeitkonsumenten. Hier muss eine Lösung gefunden werden, die beide Konsumformen differenziert betrachtet und die Arbeit der Beamten vereinfacht.

Durch die erleichterte Verordnung von Cannabis wird vermutlich die Zahl der Selbstzahler in den Apotheken nach oben gehen. Für diese Menschen spielt natürlich auch der Preis eine entscheidende Rolle. Was erwarten Sie hier für eine Entwicklung?

Es gibt momentan ein Überangebot an Medizinalcannabis auf dem Weltmarkt, was zu einem Preisverfall geführt hat. Dadurch ist auch qualitativ hochwertiges Cannabis in der Apotheke erschwinglich geworden und kann preislich mit Straßencannabis mithalten, von dem allerdings niemand sagen kann, was an ungewollten Substanzen und Schimmel enthalten ist.

Der Grund für das Überangebot ist die unterschiedliche Gesetzgebung in anderen Ländern. Dort konnten sich Firmen besser ansiedeln und die Produktion aufnehmen. Sie orientieren sich an europäischen Standards, um unseren Markt beliefern zu können. Insbesondere Kanada und die Niederlande haben große Firmen, die schon länger Cannabis anbauen.

In Deutschland wurden von der Cannabisagentur drei Anbaugenehmigungen erteilt. Das neue Cannabisgesetz vereinfacht die Produktion für diese Firmen, da zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, die für Betäubungsmittel gelten, nun wegfallen. So kann auch hierzulande zukünftig günstiger und mehr produziert werden als bisher.

Die Befürworter und die Kritiker des neuen Cannabisgesetzes beanspruchen das Argument des Jugendschutzes für sich. Wer könnte den Kritikpunkt aus ihrer Sicht für sich gewinnen?

Das ist noch nicht entschieden. Fest steht, der Jugendschutz ist eine der obersten Prioritäten. Gleichzeitig ist es in der Regel aber so: Wenn Jugendliche etwas wirklich wollen, dann bekommen sie es auch. Das ging bisher über den unregulierten Schwarzmarkt und sie werden auch eine Person im Bekanntenkreis finden, die sie mit Cannabis aus den Social Clubs versorgt.

Abgesehen vom Verbot ist gute Aufklärungsarbeit nötig, die auch von den Social Clubs selbst ausgehen könnte. Den Jugendlichen muss verständlich gemacht werden, warum sie Cannabis nicht konsumieren dürfen. Diese Aufklärungsarbeit sollte auch Drogen mit weitaus höherem Schadens- und Abhängigkeitspotenzial einschließen.

Durch die Legalisierung ist ein erster wesentlicher Schritt in Richtung Eindampfen des Schwarzmarkt-Cannabis getan und der Erwerb von Cannabis wird Jugendlichen weiterhin schwer gemacht.

Möchten Sie abschließend den Apothekenangestellten noch etwas mit auf den Weg geben?

Lassen Sie sich nicht von Vorurteilen in die Irre führen. Die Berührungspunkte sowohl im Freizeit- als auch im Medizinbereich werden wachsen. Nutzen Sie alle Fortbildungsmöglichkeiten, die schon jetzt zur Verfügung stehen, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Das Thema Cannabis wird uns weiterhin begleiten und es gibt immer neue Erkenntnisse.

Als Anlaufpunkt für fundiertes Wissen stellt der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken einen guten Anlaufpunkt dar. Hier werden häufige Fragen beantwortet, mit denen Patienten in die Apotheke kommen. Treten Sie den Patienten neutral gegenüber und vergessen Sie nicht, dass Medizinalcannabis ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel mit hoher Qualität ist.

Ich bedanke mich recht herzlich für das spannende Interview und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!


Dr. Nadine Herwig studierte an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg Angewandte Naturwissenschaften mit den Vertiefungen Naturwissenschaftliche Grundlagen der Biotechnologie und Umweltanalytik.
Nach ihrer Promotion im Bereich der Krebsforschung war sie zunächst Lehrerin für Biologie und Chemie und arbeitete dann in der Arzneimittelzulassung bei der Firma Abanta Pharma GmbH in Leipzig. Seit 2022 ist sie Leiterin der Grünhorn Academy in Leipzig.

 

 


Das Interview führte Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde.

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