Ein Korb voll einjährigem Beifuß.© gabrielabertolini/iStock/Getty Images Plus
Könnte ein Wirkstoff aus Beifuß die PCOS-Therapie revolutionieren?

Artemisinin

STOFF AUS BEIFUSS WIRKT GEGEN PCOS

Frauen mit Polyzystischem Ovarialsyndrom leiden – unter Zyklusstörungen über Insulinresistenz und Gewichtszunahme bis hin zu Unfruchtbarkeit. Die Beschwerden entstehen durch einen Überschuss an männlichen Hormonen. Genau da setzt nun ein Malariamittel pflanzlichen Ursprungs an.

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Das Polyzystische Ovarialsyndrom, kurz PCOS, ist die häufigste endokrinologische Erkrankung bei Frauen im gebärfähigen Alter. Zwischen 10 und 13 Prozent der Frauen leiden darunter, und zwar oft erheblich. Bisher gibt es weder zugelassene Medikamente noch Therapieleitlinien. Das könnte sich ändern.

Chinesische Forscher untersuchen schon länger den Wirkstoff Artemisinin, gewonnen aus dem Einjährigen Beifuß und bewährt gegen Malaria. Nun konnten die Forscher zeigen, dass die Substanz auch bei PCOS Potenzial hat. Doch an ihrer Studie gibt es auch Kritik.

Was ist PCOS?

Bei PCOS gerät der Regelkreis für die Produktion von Sexualhormonen durcheinander. Er verläuft vom Hypothalamus über die Hypophyse zu den Eierstöcken und ist mit zahlreichen Rückkopplungen versehen. In bestimmten Zellen der Eierstöcke sind dann Membranen verdickt, das Follikel-Stimulierende Hormon (FSH) kann nicht richtig wirken.

Weil die betreffenden Zellen durch mangelnde Stimulation zugrunde gehen, entsteht ein Mangel an Aromatasen, also den Enzymen, die aus Androgenen Estrogene bilden – es fehlen also nicht nur Estrogene, es bleiben auch mehr Androgene über. Wegen der fehlenden Wirkung von FSH fehlt zusätzlich auch eine Rückkopplung, die dem Gehirn meldet, dass genug Hormone vorhanden sind. Die Produktion wird nicht gebremst. Folglich werden noch mehr Androgene gebildet, die dann nicht ausreichend in Estrogene umgewandelt werden.

Die Symptome reichen von Zyklusstörungen bis zum völligen Ausbleiben der Periode. Die Eierstöcke weisen zahlreiche Zysten auf. Der Eisprung bleibt aus. Außerdem besteht oft eine Insulinresistenz und Adipositas. Die Überproduktion männlicher Sexualhormone kann auch zu Vermännlichung des Körpers führen, wie Brustbehaarung, Haarausfall, tiefer Stimmlage und männlicher Körperform.

Bislang unterdrücken Therapien die Aktivität der Eierstöcke mithilfe der Antibabypille, die zeitgleich weibliche Hormone zuführt. Metformin kann off-label bei Insulinresistenz eingesetzt werden und steigerte in Studien die Ovulationsrate. Ein Kinderwunsch erfüllt sich, wenn überhaupt, oft nur nach langwierigen Behandlungen.

Malariamittel wirkt auf Hormonspiegel

Das Team um Yang Liu von der Fudan-Universität in Schanghai untersuchte Artemether (eine von Artemisinin abgeleitete Substanz) an Mäusen und Ratten, in denen vorher experimentell eine Art PCOS erzeugt wurde. Unter der Behandlung ging die pathologisch erhöhte Produktion männlicher Hormone zurück, die Zyklusunregelmäßigkeiten und die polyzystische Morphologie der Eierstöcke ebenfalls. Auch die Fruchtbarkeit verbesserte sich.

Verantwortlich für die Linderung der Symptome ist die durch Artemether verstärkte Enzyminteraktion zwischen der Lon Peptidase-1 (LONP1) und CYP11A1. LONP1 ist zuständig für den Abbau von CYP11A1 und in den Versuchstieren herunterreguliert. Das bedeutet, dass CYP11A1 übermäßig vorhanden ist. Dieses Enzym katalysiert den ersten Schritt der Androgensynthese, was zu einer Überproduktion an männlichen Hormonen führt. Artemether fördert den Abbau von CYP11A1 und verringert so den Androgen-Überschuss.

Auch bei 19 PCOS-Patientinnen, die über zwölf Wochen Dihydroartemisinin erhielten, verzeichneten die Forscher positive Effekte. Die Testosteronspiegel sanken, bei zwei Dritteln der Frauen gelang es, eine regelmäßige Menstruation wiederherzustellen. Schwere unerwünschte Wirkungen blieben aus. Die Autoren der Studie sehen bei PCOS großes Potenzial in Artemisinin-Derivaten.

Kann Artemisinin in Folgestudien überzeugen?

Unabhängige Experten bewerten die Ergebnisse allerdings anders. Zum einen beschränke sich die Studie auf Enzyme, die PCOS beträfen, kritisiert Dr. Jaursch-Hanke. Sie koordiniert die PCOS-Leitlinie, die gerade erstellt wird. Die stellvertretende Leiterin des Fachbereiches Diabetologie und Endokrinologie der Helios Klinik Wiesbaden gibt zu bedenken, dass die Wirkungen von Artemisinin auf den menschlichen Organismus nicht ausreichend untersucht seien. Die Methodik der Studie sei gut, aber sie sieht zunächst keine Perspektive für Artemisinin.

Mit oralen Kontrazeptiva und Metformin gäbe es bereits hochwirksame Therapien für PCOS, zudem würden immer wieder alternative Therapien diskutiert. Inositol, Resveratrol, Mönchspfeffer, Coenzym Q10, Ginseng, Curcumin und viele weitere Substanzen zeigten in ähnlichen Studien zwar Wirkung, konnten in Placebo-kontrollierten Folgestudien aber nicht überzeugen.

Professor Dr. Beata Seeber, stellvertretende Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie in Innsbruck, weist auf die Rolle von CYP11A1 im Hormonstoffwechsel hin. Das Enzym katalysiert einen sehr frühen Schritt der Synthese der Steroidhormone in den Eierstöcken. Die Auswirkungen auf andere Hormone wie Progesteron und Estradiol wurde in der Studie aber nicht untersucht.

Die Hintergründe von PCOS sind bisher nur unzureichend bekannt. Man vermutet, dass bei der vielschichtigen Funktionsstörung der Eierstöcke genetische Faktoren eine Rolle spielen. Alles in allem ist der Leidensdruck für Betroffene immens.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/artemisinin-bei-pcos-in-pilotstudie-wirksam-148047/
https://www.science.org/doi/10.1126/science.adk5382
https://www.gelbe-liste.de/krankheiten/polyzystisches-ovarialsyndrom-pcos

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