Peristaltik
DARMBEWEGUNG BEEINFLUSST MIKROBIOM
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Unser Darm bewegt sich, um unsere Nahrung aufzuschlüsseln, zu verdauen und weiterzubefördern. Störungen dieser Peristaltik oder Motilität sind nicht nur unangenehm. Forscher zeigen erstmals, dass sie auch das Darmmikrobiom verändern.
Ein Team aus Mathematikern, Strömungsphysikern und Biologen konnte nachweisen, dass gestörte Darmbewegungen die Zusammensetzung der Keime an dessen Oberfläche verändern. Dieser Blickwinkel ist neu: Bisher war nur bekannt, dass das Mikrobiom die Darmkontraktionen beeinflussen kann.
Strömung entscheidend für das Mikrobiom
Wissenschaftler der Universität Kiel, des Helmholtz Pioneer Campus München und der University of Southern California in Los Angeles haben sich zusammengeschlossen, um den Einfluss spontaner Kontraktionen auf das Mikrobiom zu untersuchen. Die Mechanobiologin Dr. Janna Nawroth (München) und die Mathematik-Professorin Eva Kanso (Los Angeles) berechneten: Die Häufigkeit der Kontraktionen beeinflusst die flüssige Mikroumgebung und damit den Lebensraum der Mikroben.
Erstmals wurden dafür Methoden aus der Physik in der Mikrobiomforschung angewendet. Mit ihren theoretischen Modellen konnten die Forscherinnen das Fließverhalten der Darmwand zunächst exakt voraussagen.
Süßwasserpolyp steht Modell
In Kiel beschäftigt sich der Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 um Professor Thomas Bosch schon länger mit dem Süßwasserpolypen Hydra. Dieses kleine Nesseltier besitzt nicht nur ein gut definiertes Mikrobiom auf seiner Körperoberfläche, sondern zeigt auch spontane Kontraktionen der gesamten Körperhöhle, deren Funktion bisher unbekannt war. Sie ähneln der Peristaltik des Darms von Säugetieren.
Verlangsamte Doktorand Christoph Gietz die Kontraktionen über 48 Stunden, veränderte sich die Zusammensetzung des Mikrobioms in der Körperhöhle der Polypen. Bakterien, die vorher im unbeweglichen Fuß der Hydra vorkamen, hatten sich auf die gesamte Körperhöhle ausgebreitet.
Darmbewegungen beeinflussen haftende Grenzschicht
Die Gemeinschaftsarbeit der Forscher aus Kiel, München und Los Angeles zeigt also: Der Grund für die Veränderungen der Mikrobiom-Zusammensetzung liegt im Lebensraum der Bakterien auf der Darmschleimhaut. Zwischen Darmwand und dem flüssigen Darminhalt befindet sich bei allen Säugetieren eine zähflüssige Grenzschicht. Diese haftet je nach Fließgeschwindigkeit des Darminhaltes mehr oder weniger stark an der Darmschleimhaut.
Kontraktionen der Darmwand erhöhen die Fließgeschwindigkeit, die Grenzschicht wird in regelmäßigen Abständen abgetragen und nach einiger Zeit erneuert. Bei reduzierter Peristaltik verschlechtert sich der Stoffaustausch zwischen Darminhalt und Darmwand, da die zähe Grenzschicht weniger Kontakt zulässt. Die dadurch veränderten Lebensbedingungen für die Bakterien beeinflussen die Zusammensetzung des Mikrobioms.
Auch umgekehrt: Mikrobiom beeinflusst Motilität
Die Peristaltik unseres gesamten Magen-Darm-Traktes wird von rhythmischen elektrischen Impulsen aus sogenannten Schrittmacherzellen des peripheren Nervensystems gesteuert. Professor Bosch und sein SFB 1182 konnten bereits in einer früheren Forschungsarbeit belegen, dass das Mikrobiom das Nervensystem bei der Steuerung der Peristaltik unterstützt.
Zusammenhang mit Krankheiten erforschen
Laut Professor Bosch ist die Peristaltik „eine notwendige Voraussetzung für den regelmäßigen Austausch essenzieller Stoffe an der Darmoberfläche“. Sie hilft dadurch, so Bosch, wahrscheinlich dabei, das Mikrobiom in Balance zu halten. Die Forschungsarbeit zeigt, wie wichtig eine funktionierende Peristaltik des Darms für ein gesundes Mikrobiom ist.
Erstmals konnte ein direkter funktioneller Zusammenhang zwischen fehlenden Darmbewegungen und gestörtem Gleichgewicht der Bakterien im Darm nachgewiesen werden. Bosch will in Zukunft den gefundenen Mechanismus weiter untersuchen, um damit zusammenhängende mögliche Krankheitsursachen besser zu verstehen.
Quellen:
https://idw-online.de/de/news818767
Janna C Nawroth, Christoph Giez, Alexander Klimovich, Eva Kanso, Thomas CG Bosch: “Spontaneous body wall contractions stabilize the fluid microenvironment that shapes host–microbe associations”, eLife Sciences Publications, 3. Juli 2023. https://elifesciences.org/articles/83637#abstract