Ein Gebissmodell, bei dem ein Zahn fehlt und nebendran steht© Maryna Auramchuk / iStock / Getty Images Plus
Im Modell stört eine Zahnlücke nicht - im echten Gebiss schon.

Parodontitis

REZEPTORBLOCKADE IN DER MUNDSCHLEIMHAUT STOPPT ENTZÜNDUNG

Jeder zweite Mensch entwickelt in seinem Leben eine Parodontitis – im schlimmsten Fall droht der unwiederbringliche Zahnverlust. US-Forschende haben nun ein Gel entwickelt, das in klinischen Tests den Entzündungsprozess effektiv stoppen konnte.

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Manche Bakterien wollen wir einfach nicht im Mund haben. Die Empfehlung lautet daher: Mindestens zweimal am Tag Zähne putzen und Zunge wie Zahnfleisch pflegen. Andernfalls entsteht ein mikrobieller Biofilm, also Zahnbelag oder auch Plaque genannt. Der enthält dann allerhand Mikroben, deren produzierte Säuren Zahnschmelz und Zahnfleisch angreifen – wir bekommen Karies oder eben Parodontitis.

Letzteres wird manchmal auch als Parodontose bezeichnet und meist erst dann bemerkt, wenn es schon zu spät ist. Selbst bei guter Mundhygiene und leitliniengerechter Behandlung lässt sich die Krankheit nicht heilen, nur der Entzündungsprozess zeitweise eindämmen. „Bisher gibt es keine Behandlung, die die Entzündung und den Knochenschwund hemmt und auch die gestörte Mundflora wieder normalisiert“, sagt Erstautor Yuqi Guo von der New York University.

Succinat-Rezeptor ausschalten

Bei einem Datenabgleich fiel auf: Parodontose-Betroffene verfügen über eine auffällige Konzentration von Succinat in ihren Zahnfleischtaschen. Diese Salze und Ester der Bernsteinsäure fallen als Stoffwechselprodukt im Zahnfleischgewebe und Mundmikrobiom an und stehen im Verdacht, zu einer Dysbalance des Mikrobioms zu führen. Welche physiologischen Prozesse im Anschluss zu Parodontose führen könnten, ließ sich nur vermuten.

Das Team um Yuqi Guo wollte es genauer wissen und schaltete einen bestimmten Rezeptor in der Mundschleimhaut von Mäusen mittels Genblockade aus: SUCNR1. Trotz hoher Succinatwerte entwickelten die Versuchstiere keinen Knochenschwund und die Entzündung des Zahnhalteapparates fiel schwächer aus. In der Kontrollgruppe mit aktivem SUCNR1 führte die exogene Succinatzufuhr zu einer Verschlimmerung der Parodontose. Die geblockten Tiere zeigten sich hingegen unbeeindruckt. „Die SUCNR1-KO-Mäuse waren gegen die Succinat-Gabe resistent und zeigten genauso wenig Knochenschwund wie gesunde Kontrolltiere“, schreibt das Team.

Bei einem Abgleich des Mundmikrobioms fielen bei den Kontrollmäusen erhöhte Besiedelungszahlen von Bakterien aus den Gruppen der Bacteroidetes und Saccharibacteria. Das Mikrobiom der veränderten Mäuse zeigte kaum auffällige Schwankungen. „Diese Ergebnisse sprechen stark dafür, dass die Aktivierung des Succinat-Rezeptors die Manifestation von Parodontitis fördert“, konstatieren die Forschenden. „Die Blockade von SUCNR1 verringert dagegen die Anfälligkeit für Parodontitis signifikant.“

Der lautlose Killer: Parodontose
Optisch sehen wir von unseren Zähnen lediglich die Krone – im Zahnfleisch verborgen liegt die Zahnwurzel sowie der Großteil des weichen Zahnmaterials (Zahnmark, Wurzelhaut, Nerven und Blutgefäße). Durch den Zahnhalteapparat (das Parodont) ist der Zahn mit dem Kiefer verbunden. Dazu zählen Bindegewebe, Zahnfleisch und Teile des Kiefernknochens.
Bei Parodontitis führt eine bakterielle Entzündung des Zahnhalteapparates zunächst zum Anschwellen des Zahnfleisches. Dadurch löst sich die Verbindung von Zahn und Zahnfleisch und es entstehen sogenannte Zahnfleischtaschen – Tummelplätze für Mikroben. Jetzt wird das Immunsystem aktiviert: Immunzellen schwirren herbei und feuern die Entzündung an, gleichzeitig werden Osteoklasten aktiv, die am Parodont zu Abbauprozessen beitragen – das Zahnfleisch geht zurück, der Zahn lockert sich und fällt schließlich aus.
Das Problem: Betroffene bemerken die Erkrankung erst spät, sie verläuft zunächst schmerzfrei. Parodontosen stehen zudem in Verdacht, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Alzheimer zu fördern.  

Neues Zahnfleischgel als vielversprechende Chance

Das Team entwickelte ein Zahnfleischgel, das nach dem Auftragen zur Rezeptorblockade führt – bei Mäusen und menschlichen Zellkulturen konnten bereits erste Erfolge verzeichnet werden. Jeden zweiten Tag aufgetragen, konnten sowohl die lokale als auch die systemische Entzündung sowie der Kiefernknochenschwund bei den Mäusen mit Parodontose deutlich reduziert werden. Die Zahl krankmachender Bakterien innerhalb des Mundmikrobioms ging innerhalb weniger Tage zurück. „Das Gel verändert die Mikrobengemeinschaft durch Regulation der Entzündung“, erklärt Guos Kollege Deepak Saxena.

„Die Blockade des Succinat-Rezeptors durch diesen neuen Wirkstoff hat einen klaren therapeutischen Wert, um Zahnfleischentzündungen gezielter und einfacher zu bekämpfen als bisher“, sagt Ko-Erstautor Xin Li von der New York University. Für genaue Anwendungsangaben wie Dosierung und Zeitabstände während der Behandlung sollen nun weitere klinische Untersuchungen folgen. Ziel ist es, ein Gel zu entwickeln, das zu Hause angewendet werden kann. Oder bei schwereren Verläufen, aber auch in angepasster Dosierung von Zahnmediziner*innen direkt in die Zahntasche eingebracht werden kann.

Quellen:
Guo Y et al.: „Targeting the succinate receptor effectively inhibits periodontitis“, Cell Reports, 20. September 2022. doi: 10.1016/j.celrep.2022.111389
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