Gerichte aus der Kindheit
SPINATSUPPE MIT GRIESSKLÖSCHEN
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Eigentlich stammt ihre heutige Lieblingsspeise gar nicht aus der Kinderzeit, sondern aus der 10. Klasse des Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasiums in Celle, schrieb unsere Leserin. Dort hat sie in den siebziger Jahren Abi gemacht, und zwar ein hauswirtschaftliches: Das Rezept, so verriet Astrid Remling uns, stammt aus dem Kochunterricht und wer es nachkocht, wird eine „herrlich wärmende Herbst- und Wintersuppe für vier Personen“ erhalten. So gut, dass die PTA aus der Jordan-Apotheke in Erlangen heute noch davon schwärmt.
Mein Mann, der Koch, schaute sich die Mail unserer Leserin an und seine Züge erhellten sich. „Lecker“, sagte er. Damit war er eindeutig im Vorteil, denn ich konnte mir unter Spinatsuppe nicht viel vorstellen. In meiner Kindheit gab es die nie, wahrscheinlich, weil meine Eltern keinen Spinat mochten. Und später dann diese Geschichte mit den grünen TK-Würfeln und dem „Blubb“, das war nicht so meine Sache. Wenn der Gatte „Lecker“ sagt und so einen speziellen Blick bekommt, weiß ich: Wir müssen los. Koch ist Koch, Lebensmittel sind denen heilig, und wenn sie eine Idee haben, muss diese möglichst sofort in die Tat umgesetzt werden. „Wir fahren zu Sinan“, sagte er.
Ich wollte eigentlich gerade etwas ganz anderes machen, aber er warf ein: „Wir müssen schließlich unsere Serie schreiben.“ Na gut. Sinan, das ist der türkische Ladeninhaber ein Dorf weiter. Wir sind so oft dort, dass wir mittlerweile die ganze Familie duzen und immer einen Tee angeboten bekommen. Sinan hat das tollste Gemüse, das schönste Obst weit und breit und dann noch viele andere Sachen, von denen ich noch nie gehört habe.
Während die Männer fachsimpeln, nippe ich an dem starken schwarzen Heißgetränk, das Tote aufweckt, und ich betrachte die Auslagen. Diesmal ließ der Gatte die Augen schweifen und den Spinat links liegen. Er steuerte stattdessen auf lange, bunte Stängel zu, blieb davor stehen und sagte: „Wusste ich’s doch. Weißt du was das ist?“ – „Mangold?“ riet ich. So schön farbig leuchteten die Stängel, in rot, blassviolett und gelb, so schön dunkelgrün die krausen Blätter. Wie stets in diesem kleinen Supermarkt, glänzte das Gemüse vor Frische, und kleine Wasserperlen liefen an der Seite herunter. Sinan war in der Nacht zuvor auf dem Großmarkt gewesen.
Einen Talk und einen Tee später fuhren wir eilig nach Hause. Mein Koch machte sich unverzüglich an die Arbeit, würfelte eine Zwiebel, schwitzte sie in ein wenig Öl an (dann karamellisiert der enthaltene Zucker, aber nur, wenn man die Temperatur niedrig hält) und schnippelte den Mangold klein. Ich las derweil über das Gemüse, das küchentechnisch eine Weile in Vergessenheit geraten war und nun seit einiger Zeit seine Renaissance erlebt: Vielleicht, weil es mit der Steckrübe verwandt ist, hat der „Krautstiel“, wie er auch genannt wird, wenig Glamouröses. Er schmeckt ähnlich wie Spinat, aber kräftiger, erdiger, und enthält außerordentlich viel Vitamin K, aber auch A und E, daneben Natrium, Magnesium, Kalium und Eisen. Außerdem Oxalsäure, wie im Rhabarber.
Über allem schwebt ein wenig Süße – Mangold enthält verhältnismäßig viel Zucker, so viel, dass man ihn früher deshalb auskochte. Später wurde er von seiner dickbäuchigen Verwandtschaft, der Zuckerrübe, abgelöst. Das klein geschnittene Gemüse wurde nun zur Zwiebel gegeben, kurz geschwenkt, dann kam die Fleischbrühe hinzu. In unserem Fall eine selbstgekochte, aber natürlich geht auch eine aus den praktischen Brühwürfeln. Eine dreiviertel Stunde sollten Sie die Suppe jetzt simmern lassen, dann erst kommt die Milch hinzu, in die Sie vorher (kalt) einen Teelöffel Speisestärke eingerührt haben. Aufkochen lassen, dann können Sie den Topf vom Feuer ziehen.
Grießklößchen, auch „Nockerln“ genannt, gibt es in jeder europäischen Küche irgendwie. Sie werden so zubereitet: Der halbe Liter Brühe wird aufgekocht, dann der Topf vom Herd gezogen und der Grieß rieselnd hineingeben. Kurz umrühren und 10 Minuten quellen lassen. Schließlich kommt noch ein Stich Butter sowie Salz, Pfeffer und geriebene Muskatnuss hinzu. Noch ist der Teig, aus dem die Nockerln sind, aber nicht fertig: Wenn die ganze Geschichte abgekühlt ist, wird noch ein rohes Ei hineingegeben und gut vermengt (das ergibt später die Bindung, sonst fallen die kapriziösen Miniklöße auseinander). Anschließend fest werden lassen.
Fürs Finale wird nun die Suppe wieder heiß gemacht. Nehmen Sie zwei Teelöffel und stechen Sie jeweils eine Nocke ab, lassen Sie mehr oder weniger elegant in die heiße Suppe gleiten und schwimmend noch ein wenig nachgaren. Fertig! An diesem Tag war es kalt und diesig. Der Nebel kam bis ans Küchenfenster und die Feuchtigkeit rann an den Scheiben hinab. Der Basilikum auf dem Fensterbrett ließ schlapp seine Blätter hängen und dachte sich wahrscheinlich: In meiner Heimat, da gibt es so ein Wetter gar nicht.
Der Gatte stellte den Suppentopf auf den Tisch und tunkte seine große Gastro-Kelle unter. „Nimm dir“, sagte er. Und, ach, was soll ich sagen: Gleich wurde die Welt ein wenig freundlicher. Die Suppe mit den bunten Mangoldstückchen, den sättigenden Klößchen und der sämigen Grundlage wärmte nicht nur den Bauch, sondern auch das Gemüt. Der Nebel draußen, er würde sich schon irgendwann auflösen. Der Winter, er würde schon verschwinden. Irgendwann. Und zwischendurch würden wir immer wieder von dieser Suppe essen. Mindestens einmal die Woche.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 02/2022 ab Seite 136.
Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin in Zusammenarbeit mit Michael Regner, Koch