Gerichte aus der Kindheit
DAMPFNUDELN
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Ähnliches hatte ich schon von meinem Odenwälder Gatten gehört: Die Dampfnudel hat einen göttergleichen Status unter den Traditionsgerichten südlich des Mains. Hausrezepte werden bis aufs Blut verteidigt, und verschiedene Zubereitungsarten stehen jenseits aller Diskussionen, sie sind sozusagen in Stein gemeißelt. Albrecht König, der bei uns im Verlag nur Albi genannt wird und der für alle Fragen rund um den Vertrieb und um Abonnements zuständig ist und ohne den nichts läuft! –, der hatte uns in einer langen Mail von den Gerichten seiner Kindheit berichtet: „Als Kind fand ich es toll, wenn meine Mutter Dampfnudeln gemacht hat. Mit Vanillesoße natürlich, ohne Fertigpulver!“ Ganz wichtig anscheinend: „Man durfte NICHT in den Topf schauen!“ Ich als Nordlicht stand dem ratlos gegenüber. Nicht in den Topf schauen?
Warum nicht? Und von Nudeln mit Vanillesauce hatte ich noch nie etwas gehört. Die aß man doch mit Hackfleischsoße? Merkwürdige Sitten waren das. Das Licht in den Augen meines Gatten flammte auf, als ich ihm berichtete. Er sah mich ein wenig mitleidig an ob meiner Wissenslücken, ging dann in die Küche, weil, am Küchentisch ließ es sich am besten telefonieren, findet er. Mein Mann rief seine Mutter an. Die ist schon sehr betagt und lebt noch immer im Odenwald, woher die Familie stammt. Ich verstand an meinem Schreibtisch nur Bruchstücke. „Ja, im gelben Heft mit den Kochrezepten… wie hast du die denn immer gemacht?... so viel Mehl!… Salz… Hefe… ein bisschen Zucker… wie viel?… Fastnachtsküchlein…“ Um nicht durch weitere Unbildung aufzufallen, recherchierte ich ein wenig.
Der Begriff Nudel kommt in diesem Fall von „Knödel“– Dampfnudeln sind nämlich nichts anderes als Hefeknödel, die in einem geschlossenen Topf sowohl gebraten als auch gedämpft werden. Dadurch entsteht eine knusprige Kruste (unten) und eine lockere Krume (oben). Deswegen darf man auch den Topfdeckel nicht aufmachen, man möchte nämlich den kurzen Moment ausnutzen, indem das Dämpfen ins Braten übergeht. Aber nicht zu lange, sonst verbrennt der Boden des Knödels, pardon, der Nudel.
Ich las weiter, dass es um den Ursprung der Nudel sozusagen diplomatische Verstimmungen gegeben hatte. Da niemand so genau weiß, woher das Gericht eigentlich stammt, und da die Pfälzer und die Bayern es auf unterschiedliche Art aßen, empfanden es die Pfälzer als Frechheit, dass die Bayern es im Internet auf die Liste „Bayrischer Spezialitäten“ gesetzt hatten. Erst die Versicherung aus dem Münchner Landwirtschaftsministerium, man werde die Dampfnudel nicht EU-weit für Bayern schützen lassen, besänftigte den rheinland-pfälzischen Ministerkollegen. Das Ganze passierte 2008. Interessant. Worum ging es bei den Verstimmungen? Darum, dass die Bayern die dicke Nudel lieber süß aßen und die Pfälzer beim Anbraten auf den Boden des Topfes etwas Salz streuten. Und sie dann entweder süß oder mit herzhaftem Beiwerk verspeisten.
Der Gatte also fabrizierte am Abend den Vorteig. Er löste den Würfel Hefe in etwas lauwarmer Milch plus einem Teelöffel Zucker und etwas Mehl auf und ließ ihn bis zum nächsten Vormittag stehen. Man muss aber nicht so viel Aufwand betreiben: Der Vorteig kann auch am Morgen des Zubereitungstages angesetzt werden, eine halbe Stunde gehen lassen reicht laut Schwiegermutter auch. Holen Sie dann Ihren großen, schweren Bräter aus dem Schrank, den mit dem fest schließenden Deckel. Fügen Sie zum Teig das restliche Mehl mit dem Salz und die lauwarme Milch hinzu.
Die Flüssigkeits-Mengenangabe ist übrigens nur ungefähr; Sie sehen während des Knetens, ob der Teig die locker-elastische Konsistenz eines guten Hefeteigs bekommt. Noch einmal eine Stunde gehen lassen. Dann auf dem Boden des Bräters einen guten Klecks Butterschmalz schmelzen lassen und anderthalb Teelöffel Salz darüber streuen (Sie sehen, man bereitet hier die pfälzische Variante). Den Hefeteig zu aprikosengroßen Kugeln formen und sie mit genügend Abstand auf den Boden des Topfes setzen. Wenn das getan ist, eine teetassengroße Menge Wasser auf den Boden (nicht auf die Kugeln) gießen.
Nun den Deckel drauf und die Dampfnudeln auf kleiner Flamme schmoren lassen. Zuerst hört man das Wasser brodeln. Dann zischt es wütend. Und wenn dann, am Ende der Viertelstunde Schmorzeit, hörbar alles Wasser aufgenommen wurde und der Boden der Dampfnudel richtig brutzelt, dann heißt es aufpassen. Wir standen mit Stoppuhr neben dem (Gas-)Herd, da war nach fünfzehn Minuten Schluss. Es kann sein, dass der Elektroherd ein paar Minuten länger braucht. Dann – erst dann – den Deckel heben und nachgucken.
Die Dampfnudeln haben jetzt die Größe kleiner Brötchen und unten hat sich eine Kruste gebildet. Die Vanillesoße können Sie schon vor- her zubereiten. Dazu anderthalb Pa- ckungen Fertig-Puddingpulver in einen Teil der Milch einrühren, zwei gehäufte Esslöffel Zucker dazu. Die übrige Milch zum Kochen bringen, derweil eine Va- nilleschote aufschlitzen, das Mark in die Milch befördern, die Schote mitkochen lassen. Wenn die Milch kocht, den Topf vom Herd ziehen, das aufgelöste Puddingpulver mit dem Zucker und der Flüssigkeit hineingeben, unter Rühren noch einmal eine Minute aufkochen lassen – und fertig ist der süße Teil.
Für die Kartoffelsuppe schälen Sie bitte ein kleines Netz Kartoffeln, schnippeln sie klein. Sie braten die klein gewürfelte Zwiebel mit dem Bauchspeck in etwas Öl an, gießen die Brühe auf und geben die Kartoffeln hinzu. Das kann man gut am Abend vorher machen. Wir haben dann folgendermaßen gespeist: Erst die Kartoffelsuppe. Dann die Dampfnudel mit der Vanillesoße. Es ist ein tolles Gemisch: Die salzige Kruste, die vanillige Süße, der lockere Hefekloß.
Und am Schluss hatte der Gatte noch eine Überraschung parat: Da wir Faschingsdienstag hatten, warf er noch ein paar kleine Kugeln des Teigs in die Fritteuse, buk sie aus, wälzte die braunen Krüstchen dann in Zucker und servierte sie umgehend. Fertig waren die „Fastnachtsküchlein“, eine Spezialität aus seiner Heimat, die aus demselben Teig zubereitet werden!
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 04/2022 ab Seite 120.
Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin in Zusammenarbeit mit Michael Regner, Koch