Kolumne | Prof. Dr. Aglaja Stirn
GENDERN
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Seit vielen Jahren spricht man nicht nur vom biologischen Geschlecht, sondern auch vom Geschlechtsempfinden, also davon, welchem Geschlecht man sich selbst zugehörig fühlt. Manchmal ist auch die Rede vom von den Eltern zugewiesenen Geschlecht. Mir wurde beispielsweise von meinen Eltern das weibliche Geschlecht zugewiesen und zwar aufgrund der biologischen Merkmale, die sie bei mir sahen.
Womit sie richtig lagen: Ich wurde als Mädchen erzogen und identifiziere mich auch als Frau. Das bedeutet in der Sprachregelung der Genderwissenschaft, dass ich eine cis-Frau bin; meine Geschlechtsidentität und mein biologisches Geschlecht stimmen überein. Ein weiterer Begriff: binär oder eben nicht-binär. Binär, wie in der Computertechnik, bedeutet hier, dass es zwei Geschlechter gibt, weiblich und männlich.
Non-binäre Personen fühlen sich nicht genau dem einen oder anderen Geschlecht zugehörig. Außerdem ist noch die sexuelle Orientierung zu unterscheiden, also das Geschlecht, das ich begehre – da gibt es heterosexuell, homosexuell und auch bisexuell. Die allermeisten Menschen sind binär, cis und heterosexuell. Es gibt aber auch Menschen, die sich als trans identifizieren, die also keine Übereinstimmung mit ihrem biologischen Geschlecht erleben.
Manche möchten eine geschlechtsangleichende Operation durchführen und/oder durch Hormone die entsprechenden Körpermerkmale hervorrufen, andere nicht. Weltweit wurden und werden heute immer noch Menschen, die sich als trans geoutet haben, verfolgt und diskriminiert. Andere Menschen kämpfen darum, dass sie mit ihrem gefühlten Geschlecht angesprochen werden.
Das „Queer-Lexikon“ informiert über die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Darüber hinaus gibt es auch eine große sprachliche Genderbewegung. Es wird vor allem kritisiert, dass die Sprache oft das männliche Genus verwendet, wie zum Beispiel Lehrer, Apotheker, Arzt. Dies ist eine Eigenschaft der deutschen Sprache und Grammatik: Wenn es um eine konkrete Person geht, hat diese immer ein Geschlecht: die Freundin, die Apothekerin. Wenn es aber um Funktionen oder Rollen geht, wird das sogenannte generische Maskulinum verwendet. Dies ist nur dann verwirrend, wenn man das biologische und das grammatikalische Geschlecht gleichsetzt.
Gender-Aktivisten möchten – mit einer Vielzahl von Variationen, die ihrerseits verwirrend sind – dass etwa Sternchen, Doppelpunkte oder andere Sonderzeichen in Worte eingebaut werden, um alle Geschlechter abzudecken, was wiederum von anderen Gruppen als diskriminierend, ausgrenzend oder elitär empfunden wird, weil es das Vorlesen von Texten und auch das Textverständnis erschwert. Mit den Gendersternchen sind wir beim erwähnten Nicht-Binären: Es sollen auch die mitgemeint werden, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen. Die Möglichkeit, sich nachträglich als „divers“ ins Geburtsregister eintragen zu lassen, gibt es in Deutschland seit letztem Jahr – dies haben bisher erst zirka 400 Menschen getan.„Geschlecht“ ist also heute nichts Selbstverständliches mehr, das nicht viele Worte braucht, es hat für manche eine große Bedeutung – auch als Streitthema, das gesellschaftlich eher spaltet als zusammenführt.
Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 auf Seite 12.
Professor Dr. Aglaja Stirn
ist Direktorin des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Gruppentherapie, Psychoanalyse und Sexualtherapie an der Universität Kiel, Zentrum für Integrative Psychiatrie ZIP.
www.zip-kiel.de