Eine junge Frau trägt an ihrer Jacke einen Button in schwarz, rot und gold mit der Aufschrift "Bundestagswahl 2021".© Torsten Asmus / iStock / Getty Images Plus
Sie entscheiden, welche Parteien im neuen Bundestag die Mehrheit haben und die nächsten Gesetze erlassen. Eine Übersicht über Apothekenthemen in den Wahlprogrammen finden Sie hier.

Bundestagswahl 2021

GESUNDHEITSPOLITIK IST DIESES MAL KEIN NISCHENTHEMA

Auch aufgrund der Pandemie spielt Gesundheitspolitik in diesem Bundestagswahlkampf eine größere Rolle als in früheren. Die ABDA will mit ihrem „Wahlradar Gesundheit“ dafür sorgen, dass Positionen zur Arzneimittelversorgung konkret werden. Und: Schulgeldfreiheit in der Ausbildung bleibt ein Thema.

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Es ist ein Ritual: Vor jeder Bundestagswahl stimmen die großen Parteien auf Parteitagen medienwirksam ihr Wahlprogramm ab. Das umfasst dann teils sehr klare Ankündigungen, teils eher blumige Versprechungen. Und regelmäßig schwer verständlichen Buchstabensalat. Das haben Forscher der Universität Hohenheim unlängst dargelegt.

Eines ihrer Beispiele: Quellenkommunikationsüberwachung. Ein Wort mit 35 Buchstaben, Bedeutung: eher etwas für Spezialisten. Andererseits: Arzneimittelversandhandel hat auch schon 25 Buchstaben. Die Diskussion unter diesem Stichwort kennen vermutlich auch nicht viele im Land.

Wahlradar Gesundheit

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) will für mehr Klartext sorgen. Zum dritten Mal hat sie Anfang Juli ihre Initiative „Wahlradar Gesundheit“ gestartet. Die Idee: In den 299 Wahlkreisen befragen Apothekerinnen und Apotheker die rund 1500 Direktkandidatinnen und -kandidaten für den nächsten Deutschen Bundestag. „Mit Hilfe individueller Fragen sollen Politiker und Politikerinnen die Herausforderungen, die sie im lokalen Gesundheitswesen sehen, schildern und angeben, wie sie die Lage vor Ort verbessern wollen“, so die Erläuterung. Auf www.wahlradar-gesundheit.de, Facebook, Twitter und Instagram kann man sich über den aktuellen Stand informieren, auch über Auskünfte von Politikerinnen und Politikern aus dem eigenen Wahlkreis.

„Mit Hilfe individueller Fragen sollen Politiker und Politikerinnen die Herausforderungen, die sie im lokalen Gesundheitswesen sehen, schildern und angeben, wie sie die Lage vor Ort verbessern wollen.“

Offener Dialog zwischen ABDA und Kandidaten

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening hat betont, man wolle einen offenen Dialog mit den Kandidaten anstoßen: mit E-Mails, Apothekenpraktika, Kiezspaziergängen, Podiumsdebatten.

Beiträge zur Krankenversicherung: Apotheken kein Kostentreiber

Anfang September ist Overwiening zudem auf das Thema Ausgaben und Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung eingegangen. Nach einer aktuellen Umfrage für das ABDA-Wahlradar wollen 55 Prozent der Bürgerinnen und Bürger diese begrenzen. Die Präsidentin stellte klar: „Nicht alle Versorgungsbereiche sind Kostentreiber. Beispielsweise sinkt der Anteil der Apothekenvergütung an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen seit Jahren und beträgt nur noch 2,1 Prozent.“

Der Anteil der Apothekenvergütung an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen sinkt seit Jahren und beträgt nur noch 2,1 Prozent.

PTA fehlen in politischen Positionen

Ihre eigenen Positionen hat die Bundesvereinigung im Mai veröffentlicht. Einen Begriff sucht man darin allerdings vergeblich: Pharmazeutisch-technische Assistentin beziehungsweise Assistent. Das gilt im Übrigen für sämtliche Wahlprogramme der Parteien im Bundestag. Sie sprechen meist übergeordnete Gruppen an, beispielsweise die Gesundheitsberufe oder die Therapieberufe.

Abseits der Bundestagswahl: PTA vertretungsberechtigt?

Jenseits der Wahlprogramme fiel Mitte August ein Vorschlag des sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß auf. Er schlug vor, dass PTA mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung Apothekerinnen und Apotheker stundenweise vertreten können. „Angesichts des sich verschärfenden Personalengpasses in den Apotheken sollten wir jetzt nach praktischen Lösungen suchen“, sagte Krauß. „Durch eine entsprechende Berufserfahrung haben PTAs ein Gespür entwickelt, inwieweit sie den Kunden helfen können.“  

Möglich sei auch, die Vertretung an eine Weiterbildung zu knüpfen. In seinem Statement hieß es weiter: „Unabhängig von einer solchen Reform blieben die Länder in der Verantwortung, für ausreichend Pharmazie-Studienplätze zu sorgen.“  

Der Bundesverband PTA reagierte positiv: „Mit diesem Vorschlag trifft Krauß ins Schwarze.“ Für PTA könne zum Beispiel eine standardisierte Weiterqualifizierung geschaffen werden, die zu mehr pharmazeutischer Kompetenz führe „und somit eine Vertretungsbefugnis, fachlich sicher, möglich macht“.

Gleichzeitig würden aufgrund der Versorgungserfordernisse auch deutlich mehr Apothekerinnen und Apotheker gebraucht, stellte der Verband klar. Der Vorstand der Apothekengewerkschaft ADEXA, Andreas May, sagte, man werde den Vorschlag diskutieren. „Nicht zuletzt muss bedacht werden, welche Auswirkungen solch ein Modell auf die künftige Zahl an Pharmaziestudienplätzen hätte – und auf die Verfügbarkeit von PTA, die ja oft ebenfalls gesucht werden (zum Beispiel Ausfall durch Weiterbildung).“

Apotheken in den Wahlprogrammen

Schaut man die Wahlprogramme der großen Parteien nach den Themen Gesundheit und Ausbildung/berufliche Qualifikation durch, findet man unter anderem folgende Festlegungen:

CDU/CSU

CDU/CSU möchten „Deutschland wieder zur Apotheke der Welt machen“, also Forschung, Entwicklung und Herstellung von Medikamenten wieder stärker im eigenen Land sehen. Auch sollen neue Antiinfektiva und Impfstoffe durch geeignete Anreize in den Bereichen Forschung bis Erstattung gefördert werden. Ziel ist zudem ein digitaler, wohnortnaher und möglichst barrierefreier Weg für Bürger zu Gesundheitseinrichtungen. Dazu zählt die Union auch Apotheken. Die auf den Weg gebrachte Abschaffung des Schulgelds in den Gesundheitsberufen sowie die Einführung einer allgemeinen Ausbildungsvergütung will die Union „zügig umsetzen“.

SPD

Die SPD will ebenfalls „ihren Weg fortsetzen, in den Berufen der Gesundheit, Pflege und Erziehung die vollschulischen Ausbildungen dual auszurichten. Damit werden sie kostenfrei, und die Auszubildenden erhalten eine Vergütung“. Zudem will sie „die dualen akademischen Ausbildungswege und damit die Ausbildung der Professionalität“ in diesen Berufsfeldern stärken. Die Sozialdemokraten bemängeln zudem die stärkere Abwanderung der Arzneimittelproduktion als Ursache von Lieferengpässen. Sie wollen Innovationen gezielt fördern und neue Methoden im Arzneimittelbereich unterstützen.

Zwar hatte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ im März 2020 in Eckpunkten festgelegt, dass die Gesundheitsfachberufe schuldgeldfrei werden sollen und durchgängig eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird. Auch im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot war die Schulgeldfreiheit schon als Ziel genannt. Aber: Umgesetzt wurde sie noch nicht vollständig. Bei den in den Eckpunkten aufgelisteten Berufen fehlten zudem die PTA. Denn deren Ausbildungsreform hatte schon vorher stattgefunden.

FDP

Die FDP hält ebenfalls fest, dass Auszubildende in Gesundheitsberufen bundesweit von Schulgeld befreit werden sollen. Sie verlangt „mehr Anstrengungen für Innovationen bei Arzneimitteln, Medizintechnik und Digitalisierung“. Unter anderem Apothekerinnen und Apotheker sollten zudem „in medizinischen Fragen autonom und frei von Weisungen Dritter entscheiden können“. Auch müsse man „faire Rahmenbedingungen zwischen inländischen und ausländischen Apotheken sowie in- und ausländischen Versandapotheken“ umsetzen. Ein pauschales Versandhandelsverbot lehnen die Liberalen jedoch ab.

Die Linke

Die Linke sieht Arzneimittelforschung als eine „öffentliche Aufgabe“. Rabattverträge und andere Selektivverträge will sie abschaffen. Arzneimittelpreise will sie per Gesetz begrenzen. Sie vertritt ein Konzept regionaler Gesundheitszentren als zentrale, viele Gesundheitsberufe umfassende Anlaufstelle. Auch Heilmittelerbringer, Hebammen und Apotheken „müssen überall erreichbar sein“.

Bündnis 90/Die Grünen

Bündnis 90/Die Grünen wollen die Produktion von Medikamenten in europäischer Produktion vorantreiben. Auch soll es alternative Anreize zur Therapieentwicklung zum Beispiel von Antibiotika und antiviralen Medikamenten geben. In gemeinwohlorientierten regionalen Gesundheitszentren sollen alle Gesundheitsberufe auf Augenhöhe unter einem Dach zusammenarbeiten. Die Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen soll so reformiert werden, „dass nichtärztliche Gesundheits- und Pflegeberufe mehr Tätigkeiten […] eigenverantwortlich übernehmen können“. Schulgeldfreiheit, Vergütung und bessere Arbeitsbedingungen werden aufgelistet, allerdings wörtlich nur für die Therapieberufe.

AfD

Die AfD schlägt vor, Rabattverträge und Reimportquoten abzuschaffen, dafür den Festbetragsmarkt auszuweiten und Herstellerrabatte anzupassen. Die Umsatzsteuer auf Medikamente soll von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden. Außerdem plädiert die AfD für den Erhalt inhabergeführter Apotheken.

Wer was am Ende durchzusetzen vermag, wird auch von der Parteienkoalition nach der Wahl abhängen. Die gesundheitspolitischen Herausforderungen sind groß. Und die neuen Bundestagsabgeordneten werden sie teilweise mit, teilweise gegen ganz unterschiedliche Akteure und Interessen anpacken müssen. Wie urteilten doch drei Politikwissenschaftler in einer gemeinsamen Veröffentlichung im Jahr 2010

„Gesundheitspolitik ist die Kunst, es keinem recht zu machen.“

Quellen:
https://www.bundestagswahl-2021.de/wahlprogramme/
https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=52576&cHash=c9e03c9cc14af57dfc6c7e8399026599
Pressemitteilungen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vom 9.Mai, 9. Juli, 17. August, 3. September und 9. September 2021
https://www.wahl-o-mat.de/bundestagswahl2021/app/main_app.html
https://www.alexander-krauss.com/2021/08/19/ptas-vertretung-der-apotheker-erm%C3%B6glichen/
https://www.bvpta.de/aktuelle-aktionen/vertretungsbefugnis-fuer-pta/
https://www.adexa-online.de/aktuelles/detailansicht/news/adexa-statement-zum-vorschlag-einer-stundenweisen-vertretungsbefugnis-fuer-pta/
https://www.bpb.de/apuz/32389/reformunmoeglichkeiten-in-der-gesundheitspolitik

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