Eine Zielscheibe, die auf einer Krebszelle liegt© artacet / iStock / Getty Images Plus
Antikörper-Wirkstoff-Konjugate sind Arzneistoffe mit einer ganz präzisen Wirkung. Sie bestehen aus mehreren Teilen und bringen hochtoxische Wirkstoffe direkt in die Krebszellen, so zum Beispiel bei Brustkrebs.

Bewaffnete Antikörper

ANTIKÖRPER-WIRKSTOFF-KONJUGATE: ZIELGERICHTET GEGEN KREBS

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate klingen sperrig, sind aber Arzneistoffe mit einer ganz präzisen Wirkung. Sie bestehen aus mehreren Teilen und bringen hochtoxische Wirkstoffe direkt in die Krebszellen, so zum Beispiel bei Brustkrebs. Das hat viele Vorteile.

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Neu ist der Ansatz der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate nicht, schon im Jahr 2000 wurde die erste Substanz in den USA zugelassen. Wir nutzen die Gelegenheit, auf ein Vierteljahrhundert dieser Therapie zurück- und auch ein bisschen nach vorn zu schauen.

  • Was sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate?
  • Wie wirken sie gegen Brustkrebs, Leukämie und viele andere Tumore?
  • Was sind Risiken und Nebenwirkungen?

Das Konzept, Wirkstoffe direkt an die Zielzelle zu bringen, ohne anderen Zellen zu schaden, geht auf Paul Ehrlich (1854-1915) zurück. Seitdem hat sich viel getan.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate: Fähren mit brisanter Ladung

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate bestehen aus einem Antikörper, an den über eine chemische Brücke namens Linker ein Wirkstoff gebunden ist. Der Antikörper dient als eine Art Fähre, die ein Toxin (den Wirkstoff) direkt in die Tumorzelle bringt und es nur dort freigibt. Weil Krebszellen oft vermehrt bestimmte Eiweiße auf ihren Oberflächen besitzen, die „normale“ Zellen nicht oder viel weniger bilden, kann man Antikörper gegen genau diese Proteine zur Krebsbehandlung einsetzen.

Die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate verfeinern diese Behandlung, zum Beispiel von Brustkrebs. Weil das Toxin, das die Tumorzellen schädigt, dort selektiv über das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bindet, bleiben die Nebenwirkungen verhältnismäßig gering. Diese beruhen nämlich meist auf der Schädigung gesunder Zellen. Weil bei soliden Tumoren, wie bei Brustkrebs, Magen- und Lungenkrebs, die Operationsmöglichkeiten eingeschränkt sind, bleibt aber oft nur die Chemotherapie. Die eingesetzten Toxine würden als Arzneistoffe niemals zugelassen, sie sind viel zu giftig. Bei der Behandlung von Krebs ist meist genau die Giftigkeit der Chemotherapeutika der Faktor, der die Nebenwirkungen auslöst und so therapielimitierend ist. Über die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate kann man dies verbessern.

Brustkrebs ist bei Frauen die häufigste Krebsart, die Therapie schränkt die Betroffenen nicht zuletzt wegen der Nebenwirkungen stark ein. Die neuen Substanzen können auch hier helfen. In Deutschland sind bisher zehn Antikörper-Wirkstoff-Konjugate zugelassen. Fünf davon wirken gegen solide Tumoren, zum Beispiel Brustkrebs. Fünf weitere kommen bei Blutkrebs zum Einsatz. Weitere Antikörper-Wirkstoff-Konjugate befinden sich in der klinischen Prüfung.

Der Anfang der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate
Das erste Antikörper-Wirkstoff-Konjugat im Jahr 2000 war Gemtuzumab Ozogamicin (Mylotarg®).  Der Name dieser Verbindungen setzt sich zusammen aus dem des eingesetzten Antikörpers als erstem Namensteil und dem Toxin plus Linker im zweiten. Gemtuzumab richtet sich gegen das Oberflächenprotein CD33 auf leukämischen Blutzellen. Bindet das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, wird es von der Zelle aufgenommen und das Toxin freigesetzt, das die DNA der Tumorzelle schädigt und zur Apoptose führt.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate gegen Brustkrebs und Leukämie

Für ein wirksames, aber sicheres Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das möglichst wenig Nebenwirkungen aufweist, muss der Antikörper gegen ein Protein gerichtet sein, das hauptsächlich von Tumorzellen gebildet wird. Die zugelassenen Medikamente gegen Leukämie nutzen zum Beispiel die Moleküle des Clusters of Differentiation (CD) auf Blut- und Immunzellen. Dies sind CD33, aber auch CD30, CD22, CD97b und CD19. Entarten Blutzellen, also vermehren sie sich unkontrolliert, kann man mit Antikörpern gegen diese Proteine eine Behandlung genau auf die Krebszellen richten. Die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate wirken dann gegen verschiedene Arten von Blutkrebs.

Richtet sich der Antikörper gegen ein Membranprotein namens HER2, wirkt das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat gegen solide Tumoren bei Brustkrebs und anderen Krebsarten, die dieses Protein auf ihrer Zelloberfläche besitzen. HER2 hemmt die Apoptose und führt dazu, dass sich Zellen unkontrolliert vermehren und so solide Tumore bilden können. Vor allem Zellen von Brustkrebs besitzen häufig HER2. Gesunde Zellen teilen sich nicht unkontrolliert.

Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®), zugelassen gegen metastasierten, inoperablen Brustkrebs, besteht aus einem HER2-Antikörper und einem Toxin, das nach der Aufnahme in die Zelle deren Vermehrung zum Stillstand bringt. Wer es genau wissen will: DM1, so der Name des Toxins, hemmt die Assoziation der Mikrotubuli und macht so eine Mitose unmöglich. Durch den Einsatz des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats überleben behandelte Frauen mit Brustkrebs nicht nur länger, sie spüren auch weniger Nebenwirkungen.

Auch bestimmte Folat-Rezeptoren oder weitere membranständige Proteine können neben HER2 als Target für die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate dienen und so ebenfalls gegen Brustkrebs, aber auch gegen Blasen-, Magen-, Lungen- oder Eierstockkrebs zum Einsatz kommen. Weil solide Tumore oft nicht operabel, schwer zu behandeln undrecht häufig sind, erwartet man Großes von den neuen Substanzen.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugate haben weniger Nebenwirkungen

Generell weisen Antikörper-Wirkstoff-Konjugate weniger Nebenwirkungen auf als klassische bei Brustkrebs, Lungenkrebs oder Leukämie eingesetzte Zytostatika. Allerdings müssen dafür einige Voraussetzungen erfüllt sein.

  1. Das Toxin muss eine hohe Toxizität für die Tumorzelle aufweisen. Die verwendeten Substanzen schädigen entweder die DNA direkt, hemmen die Zellteilung oder behindern die DNA-Synthese. Das Toxin darf sich aber keinesfalls frühzeitig vom Antikörper lösen. Der Linker, also die Bindung zwischen Antikörper und Toxin, spielt also eine wichtige Rolle. Es gibt Linker, die durch saure pH-Werte abgetrennt werden, enzymatisch spaltbare Peptid-Linker und solche, die gar nicht spaltbar sind. Letztere Verbindungen werden nach Bindung des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats über rezeptorvermittelte Endozytose aufgenommen und der Antikörper in der Zielzelle abgebaut. Am größten ist das Risiko für eine vorzeitige Spaltung des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats bei pH-abhängig spaltbaren Linkern; eine Freisetzung im Blut führt zu starken Nebenwirkungen.
  2. Die Halbwertzeit des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats sinkt  unter Umständen gegenüber dem Antikörper allein, der in der gleichen Indikation  eingesetzt werden kann, stark ab. Das ist zum Beispiel der Fall bei Kadcyla® gegen Brustkrebs. Der verwendete Antikörper allein besitzt eine Halbwertzeit von 28 Tagen, als Antikörper-Wirkstoff-Konjugat sinkt diese auf nur sechs Tage. Auch hier drohen Nebenwirkungen, weil die Therapie häufiger gegeben werden muss.
  3. Die eingesetzten Toxine dürfen nicht zu hydrophob sein, denn sonst verklumpen die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Der Vorteil der Therapie, nämlich die geringen Nebenwirkungen, kommt auch daher, dass die Wirkstoffkonzentrationen wegen der hohen Wirksamkeit der Toxine sehr gering sind. Leider neigen die Toxine zur Bindung an Kunststoffe, zum Beispiel in Infusionsflaschen.

Gut zu wissen
Kadcyla® gegen Brustkrebs besitzt einen nicht spaltbaren und damit sehr sicheren Linker. Mylotarg® gegen Leukämie, das erste zugelassene Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, beinhaltet dagegen einen pH-abhängig spaltbaren Linker und musste kurzzeitig vom Markt genommen werden wegen zu hoher Risiken.

Neueste Entwicklungen
Das jüngste zugelassene Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist Elahere® (Mirvetuximab Soravtansin) gegen Eierstock-, Eileiter- und Bauchfellkrebs bei Frauen. Während Brustkrebs rund 33 Prozent der Krebserkrankungen bei Frauen ausmacht, sind es rund acht Prozent bei Eierstockkrebs. Elahere® richtet sich gegen einen Folat-Rezeptor in Tumorzellen und transportiert einen Mitosehemmstoff als Toxin. In Zukunft werden sicher weitere Antikörper-Wirkstoff-Konjugate zugelassen werden, vor allem gegen solide Tumoren wie Brustkrebs. Die geringeren Nebenwirkungen und die zuverlässige Wirksamkeit machen sie schon heute unverzichtbar.

Quellen:
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/magic-bullets-in-der-onkologie-152581/
https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/aktuelle-themen/news/bei-brustkrebs-mit-antikoerper-wirkstoff-konjugat-behandeln.htmhttps://www.krebsdaten.de/Krebs/DE/Content/Krebsarten/krebsarten_node.html

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