Ein holzvertäfelter Saal, auf dem Podium sitzen sieben Personen. Aufsteller mit dem Apotheken-A, rotes Flatterband.© Sandra Schneider, Spreekind-Fotografie
Am 12. September diskutierten in Berlin berufsübergreifend Meinungsträger zum geplanten Apothekenreformgesetz.

Apothekenreform

„GEHT ES IHNEN GUT? ODER MACHEN SIE BALD ZU?“

Die Kritik am Entwurf zum Apothekenreformgesetz reißt nicht ab. Seit Wochen warnen Berufsvertretungen der Apotheken vor den Folgen einer Umsetzung. Die Apothekerkammer Berlin und der Berliner Apotheker-Verein luden Mitte September ein, um öffentlich über die „Mogelpackung“ Apothekenreform zu diskutieren.

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Dena Rostamzadeh ist überzeugte Berliner Kiezapothekerin. „Viele ältere Menschen mit einer Dauermedikation kommen persönlich zu uns. Sie werden von mir und dem Team mit Namen angesprochen. Wir beraten persönlich und gern, wir hören zu, wir versuchen, eine Problemlösung zu finden.“

Die Inhaberin der Marien-Apotheke im Stadtteil Lankwitz findet es gut, dass ihre Offizin ein Vertrauensort für Kundinnen und Kunden ist. Zum Angebot gehören aber ebenso Informationen zu verschiedenen Themen auf ihrer Homepage und die Möglichkeit, online zu bestellen inklusive der Option, Fragen hierzu in zehn Minuten beantwortet zu bekommen.

„Die Miete ist höher als früher, die Stromkosten, die Gehälter."

Rostamzadeh berichtet über ihren Berufsalltag bei der Protestveranstaltung gegen die Apothekenreform von Apothekenkammer Berlin und Berliner Apotheker-Verein. Zur Diskussionsrunde am 12. September in Berlin sind nach Angaben der Veranstalter 200 Menschen gekommen. Rostamzadeh diskutiert auf dem Podium mit, bei dem es nicht nur um die geplante Apothekenreform geht. Sondern ebenso um bestehende Sorgen und Nöte der öffentlichen Apotheken und ihrer Teams.

„Ich habe einen guten Umsatz“, stellt Rostamzadeh klar. „Aber ich weiß nicht, wohin meine Zahlen gehen. Die Miete ist höher als früher, die Stromkosten, die Gehälter.“ Beim Apothekenhonorar muss sie mit dem auskommen, was schon 2013 bezahlt wurde. Deshalb zögert sie, weiteres Personal einzustellen, obwohl genug zu tun wäre. Inzwischen fragt der ein oder andere Kunde schon: „Geht es Ihnen gut? Oder machen Sie bald zu?“

Vor-Ort-Apotheken sind unverzichtbare Anlaufstellen

Dr. Ina Lucas, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, weiß um die Lage ihrer Kolleginnen und Kollegen: „Die Vor-Ort-Apotheken bieten viel mehr als die Arzneimittelversorgung. Sie sind eine unverzichtbare gesundheitliche Beratungs- und Versorgungsinstanz, die jetzt zur Disposition gestellt werden soll“, kritisiert sie.

Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins, warnt mit Hinweis auf den Gesetzentwurf: „Apotheken als wohnortnahe, niedrigschwellige Anlaufstellen für eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung werden über kurz oder lang verschwinden und durch reine Arzneimittelabgabestellen ersetzt werden.“ Die Apotheken bluten ihrer Ansicht nach von Jahr zu Jahr weiter aus. Sie benötigten längst mehr Geld, auch angesichts des Fachkräftemangels in Vor-Ort-Apotheken. Reformen ja, aber: „Man sollte die Hinweise und Argumente derjenigen berücksichtigen, die Tag für Tag in den Apotheken arbeiten.“

Fachkräfte fliehen aus der Apothekenbranche

Zu diesen zählt auf dem Podium auch Melanie Dolfen, Inhaberin mehrerer Unternehmen mit Hauptapotheke am Berliner Roten Rathaus. Dolfen und ihr Team haben sich unter anderem auf die Abgabe von Medizinalcannabis spezialisiert und auf die Versorgung von HIV- beziehungsweise Aids-Patienten. Auch sie berichtet von erheblichem finanziellem Druck: „Wir haben ein großes Warenlager und finanzieren vieles vor.“ Mehrere Teammitarbeiter haben nicht nur ihre Apotheken verlassen, sondern die Branche insgesamt: „Das macht mir Sorgen. Wir sind chronisch unterbezahlt. Besser zu bezahlen, dass können wir uns aber nicht mehr leisten.“

Dass es etwas bringen könnte für die Versorgung, Apothekerinnen und Apotheker durch erfahrene PTA zu ersetzen, scheint fast keiner im Saal zu glauben. Und dass damit Geld gespart werden soll, finden einige Redner ärgerlich. Im Gesetzentwurf heißt es: Durch den Einsatz erfahrener PTA anstelle von Apothekern könnten sich für eine Apotheke Gehaltseinsparungen von etwa 1300 Euro monatlich ergeben. Würde etwa die Hälfte der Apotheken entsprechende Reduzierungen vornehmen, ließen sich mehr als 11 Millionen Euro pro Jahr an Personalkosten einsparen.“

PTA allein in der Apotheke
Eine der Neuerungen im Gesetzentwurf: Flexiblere Leitungsstrukturen. U.a. soll  der Apothekenbetrieb auch allein mit erfahrenen PTA zulässig sein, sofern Apotheker oder Apothekerin mindestens acht Stunden pro Woche vor Ort sind und den Rest der Zeit telepharmazeutisch angebunden. PTA dürften dann aber nur die Tätigkeiten übernehmen, für die heute schon die Beaufsichtigung durch den Apotheker nach Paragraf 5b Apothekenbetriebsordnung entfällt. Außerdem muss vorab geregelt werden, wann ein Apotheker von einer PTA per Telepharmazie hinzugezogen werden muss.

Eine Apothekerin aus dem Publikum stimmt Dolfen zu. In ihrer Apotheke hätten sechs Leute das Team verlassen. „Die sind auch raus aus der Branche, die sagen, sie hätten keinen Bock mehr. Da blutet mir das Herz.“

PTA weiterqualifizieren?

Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen, hört als Podiumsteilnehmerin genau zu, ist aber nicht in allen Punkten einer Meinung mit den Praktikern. „Natürlich wollen wir auch, dass die Vor-Ort-Apotheken bleiben.“ Aber um die Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen, könnte man doch PTA weiter qualifizieren, damit sie Arzneimittel abgeben dürfen.

Kiezapothekerin Rostamzadeh findet diese Argumentation unlogisch. Es gibt doch genug Pharmaziestudierende, wendet sie ein. Deren Zahl sinkt ja nicht. „Aber der Job in der Apotheke ist nicht mehr interessant. Die Kollegen können sich da keine Zukunft mehr vorstellen. Sie haben aber ein volles Studium absolviert und eine tolle Ausbildung. Warum muss man sie ersetzen durch weiterqualifizierte PTA?“

Auch Michaela Barbara Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, sieht die Reforminhalte kritisch. Apotheken sind ein wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge, unterstreicht sie. Mit 21 Apotheken pro 100000 Einwohner liege Deutschland auch nicht an der Spitze, sondern nur im Mittelfeld in der Europäischen Union. Der Schnitt seien 32 Apotheken pro 100000 Einwohner. Wohnortnähe und Erreichbarkeit sind keineswegs immer so ausgeprägt, wie man es sich vorstellt.

Im Saarland kommen Engelmeier zufolge 26 Apotheken auf 100000 Einwohner, in Berlin sind es je nach Bezirk nur 15 bis 19. Dass es Apotheken light geben soll, nur mit erfahrenen PTA, „sehen wir kritisch“. Das würde einen eingeschränkten Leistungsumfang bedeuten.   

Mehr ärztliche Aufgaben für Apotheken?

Dr. Peter Bobbert, ebenfalls Mitdiskutant auf dem Podium, hebt als Präsident der Ärztekammer Berlin die Gemeinsamkeiten zwischen Apotheker- und Ärzteschaft hervor: Fachkräftemangel, Finanzierungsprobleme, Arbeitsüberlastung. Doch dass Apotheker mehr und mehr ärztliche Aufgaben wie Impfungen übernehmen sollen, was ebenfalls im Apothekenreformgesetz vorgesehen ist, kritisiert er: „Es werden strikte Linien, die die Berufe trennen, überschritten.“

Anne-Kathrin Klemm sieht es anders: „Apotheker können mehr, als sie heute dürfen. Das Impfen in Apotheken ist anderswo gang und gäbe.“ Vieles, auch über die heutigen pharmazeutischen Dienstleistungen hinaus, könne zukünftig in Apotheken stattfinden. Eine Forderung hat sie aber. Mehr Vernetzung, mehr gegenseitige Information: „Bitte keine Doppelstrukturen. Bitte nicht fünfmal Blutdruckmessen. Was gemacht wurde, muss alles in die elektronische Patientenakte.“

Was steht eigentlich im Apothekenreformgesetz?

Das Wichtigste des geplanten „Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform“ im Überblick:

  • Flexiblerer Fachkräfteeinsatz: Einfachere Gründung von Filialapotheken und leichtere Genehmigung von Zweigapotheken. Möglichkeit zu einem Filialverbund (Hauptapotheke plus höchstens drei Filialapotheken plus höchstens zwei Zweigapotheken.) Apotheker und Apothekerinnen sollen die Leitung von Filial- und Zweigapotheken selbst übernehmen können. Deren gemeinsame Leitung durch zwei Teilzeitapotheker soll möglich werden.
  • Eingeschränkter Apothekenbetrieb allein mit erfahrenen PTA
  • Zweigapotheke als Zwerg: Zukünftig würden dafür Offizin und ausreichend Lagerraum genügen.
  • Weitere Wege zulässig: Ein Filialverbund soll sich auf eine Fläche verteilen können, „in der zwischen den Filialstandorten eine PKW-Fahrdauer von bis zu drei Stunden realistisch erscheint“.
  • Größere Flexibilität bei der Öffnung: Dienstbereitschaft nur zu bestimmten Zeiten
  • Ausbau von Telepharmazie: Nutzung interaktiver Videoverbindungen in der Beratung durch Apotheken
  • Ausbau der Impfmöglichkeiten in Apotheken nach ärztlicher Schulung.

Quellen:
Referentenentwurf zum Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform, Fassung vom 11.7.2024
„Gesundheitsversorgung in Gefahr!“ – Veranstaltung von Apothekerkammer Berlin und Berliner Apotheker-Verein, 12.9.2024  
https://www.akberlin.de/fileadmin/user_upload/hauptverzeichnis/dateien/medien/presse/Pressemitteilung/PM_AKB_und_BAV_-_Gesundheitsversorgung_in_Gefahr.pdf

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