Proteinshakes in Gläsern.© MurzikNata / iStock / Getty Images
Vor der Operation sollte eine eiweißreiche, aber kalorienreduzierte Diät erfolgen.

Adipositas

DIE ENTSCHEIDUNG ZUR OPERATION

Wenn sich stark adipöse Menschen zu einer Magenverkleinerung entschließen, müssen sie zunächst ein Multimodales Konzept (MMK) erfolgreich absolvieren. Danach stellt sich die Frage: Wie isst man kurz vor und kurz nach der bariatrischen Operation?

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Die S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ legt fest, wann die Indikation für einen adipositaschirurgischen Eingriff gegeben ist: Zum einen geht es um Patienten mit einem BMI > 40 ohne Begleiterkrankungen und ohne Kontraindikationen nach Erschöpfung des MMK. 

Zum anderen ist auch für Patienten mit einem BMI > 35 mit einem oder mehreren Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus die Indikation gegeben. Unter bestimmten Umständen kann eine Primärindikation zu einem adipositaschirurgischen Eingriff gestellt werden, ohne dass vorher ein konservativer Therapieversuch in Form des MMK versucht wurde. Dies geschieht in der Praxis vor allem bei Patienten mit einem BMI > 50 oder bei Patienten mit einem BMI > 40 und Insulinresistenz beziehungsweise manifestem Diabetes mellitus.

Was ist das Multimodale Konzept (MMK)?

Das MMK kombiniert eine gezielte Ernährungstherapie mit mehr Bewegung und einer Verhaltenstherapie. Über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten in zwei Jahren sollen mindestens sechs Sitzungen im Sinne von Ernährungsschulungen (als Gruppe und/oder Einzelsitzung) stattfinden. Mindestens einmal sollte ein repräsentatives Ernährungsprotokoll angelegt und ausgewertet werden.

Ernährungsweise rund um die OP

Kurz vor und kurz nach der Operation sind wichtige Ernährungsthemen dringend zu beachten: Vor einer adipositaschirurgischen Operation sollte eine eiweißreiche, aber kalorienreduzierte Diät erfolgen. Direkt nach der Operation beginnt dann der Kostaufbau mit zunächst flüssiger, dann weicher bis hin zur festen Kost. Darüber hinaus sind wichtige Essverhaltensregeln einzuhalten. 

Beispielsweise wird nach der Operation Essen und Trinken getrennt. Das Essen wird sonst zu schnell durch den verkleinerten Magen geschwemmt und gelangt quasi unverdaut in den Dünndarm. Außerdem kann sich ein zu hoher Druck an der Operationsnarbe aufbauen. Wichtig ist auch, dass Frischoperierte die Verträglichkeit von Lebensmittel immer erst mit einer kleinen Menge ausprobieren.

Ein Fallbeispiel

Herr Ludwig* ist 49 Jahre alt und hatte kurz vor der OP einen BMI von 44: Bei einer Größe von 1,75 Meter wog er 138 Kilogramm. Er litt an metabolischen Erkrankungen, wie einer Fettleber und einer Fettstoffwechselstörung. Mittels der bioelektrischen Impedanzmessung wurde ein viszerales Bauchfett von 11,5 Liter (l) kurz vor der Operation gemessen. Viszerales Bauchfett ist das Fett, das sich um die inneren Organe ansammelt.

Diese Ansammlung ist vom Alter, Geschlecht, Alkoholkonsum, hormonellen und/oder erblichen Faktoren abhängig. Je größer die Menge an viszeralem Bauchfett ist, desto höher ist das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus Typ II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei Männern in seinem Alter gilt ein Wert für das viszerale Bauchfett bis 2,1l als normal und ab 3,8l als erhöht. 

Bei Herrn Ludwig wurde ein Omega-Loop-Bypass vorgeschlagen und die Operation wurde am 20. September 2022 angesetzt. In seiner Klinik wurde vom 5. bis zum 19. September eine eiweißreiche sowie stark kalorienreduzierte Diät mit speziellen Vorschriften gefordert. Die meisten Adipositaskliniken empfehlen diese Diät vor der adipositaschirurgischen Operation und unterscheiden sich nur in Details. Ziel dieser vierzehntägigen eiweißreichen Diätphase vor der Operation ist ein sicheres Gelingen des Eingriffs. 

Die Reduktion von Kalorien, Kohlenhydraten und Fetten führt

  • zur Verkleinerung der Leber,
  • zur Reduzierung des Bauchfettgewebes,
  • zum verbesserten chirurgischen Arbeiten und
  • zu einer verkürzten Operationszeit. 

Herrn Ludwig wurden zwei mögliche Optionen zur Durchführung der eiweißreichen Diätphasen erklärt. Dabei nutzt er ein Eiweißpulver mit mindestens 80g Eiweiß pro 100g.

Er hatte die Wahl zwischen drei Eiweißshakes über den Tag verteilt, mit jeweils 30 Gramm (g) Eiweißpulver, eingerührt in 300 Milliliter (ml) fettarme Milch, Hafermilch, Sojamilch oder Wasser oder zwei Eiweißshakes wie und einer eiweißreichen Mahlzeit. Hier konnte er aus konkreten Rezeptideen mit magerem Fleisch, Fisch, Quark oder Tofu und etwas Gemüse auswählen.

Herrn Ludwig gelang die Durchführung der eiweißreichen Diätphase sehr gut, denn er war hochmotiviert. So nahm er in dieser Phase bereits 11 kg Körpergewicht ab. Er trank in dieser Zeit auch drei Liter Wasser täglich und förderte die Verdauung durch Bewegung. Das chirurgische Legen des Omega-Loop-Bypasses konnte wie geplant am 20. September stattfinden. So wie in einer Adipositasklinik üblich, verblieb Herr Ludwig nach erfolgreicher Operation drei Tage in der Klinik. 

Unsere Autorin Sabrina Thaden ist Ernährungstherapeutin. Mehr zu ihrer Person und ihrem fachlichen Hintergrund finden Sie unter www.nutrition-master.de

Aufbau nach der OP Schritt für Schritt

Nach der Operation ist die Empfindlichkeit im Verdauungstrakt sehr hoch, die adipösen Menschen haben eine neue Körperwahrnehmung und die Portionen müssen erstmal sehr klein sein. Der Kostaufbau lässt mit dem eines Säuglings nach der Stillphase vergleichen. Viele adipöse Menschen wünschen sich direkt nach der Operation einen Plan mit konkreten Portionen, was sie an welchem Tag essen dürfen. Dies ist allerdings nicht möglich, denn jeder Körper reagiert und verträgt unterschiedlich. 

Herr Ludwig begann daher ganz langsam Lebensmittel auszuprobieren und achtete auf die Verträglichkeit. Anfangs aß er pürierte Lebensmittel aus der Gruppe „leichte Vollkost“ wie beispielsweise Möhrenpüree oder Käse-Kartoffel-Püree. Mit der Zeit wurde die Konsistenz fester, dann wählte er Lebensmittel, die er mit der Gabel zerdrücken konnte, wie zum Beispiel weichen Fisch.

Nach ungefähr einem Monat, auch das ist individuell unterschiedlich, begann er langsam feste Lebensmittel einzubauen und kaute diese Lebensmittel sehr gut, bevor er sie herunterschluckte.

Drei Wochen nach der Operation

Herr Ludwig kam mit diesem Speiseplan sehr gut zurecht. Er lässt sich jedoch nicht einfach auf andere magenoperierte Menschen übertragen.

Auch bei Herrn Ludwig variieren die Portionsgrößen und sind nicht bei jeder Mahlzeit gleich. Sie ist abhängig von der Art des Lebensmittels und auch vom Essverhalten sowie vom Befinden. Sobald Herr Ludwig gestresst ist und zu schnell isst, ist die Gefahr sehr hoch, dass er sich schon nach einem Esslöffel weicher Kost übergeben muss und weitere Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Einige operierte Personen vertragen Milchprodukte auch nicht mehr gut und entwickeln eine Laktoseintoleranz.

Das Sättigungsgefühl neu erlernen

Herr Ludwig spürt einen Druck in der Speiseröhre und weiß dann, dass er die Mahlzeit zu beenden hat. Er lernte nach der Operation genau zu beobachten, wann er sich satt fühlt. Hungergefühl und Verlangen nach Nahrung wie vor der Operation spürte er nach der Operation nicht mehr. Er genoss dies sehr und sagte, am liebsten würde er gar nichts essen. Trotzdem ist es sehr wichtig, dass er regelmäßig Nahrung verzehrt. Von größter Bedeutung ist dabei die tägliche Eiweißaufnahme. Protein ist ein lebensnotwendiger Baustoff für Muskulatur, Organe, Blut, Hormone und Enzyme. Der tägliche Eiweißbedarf liegt bei 1 bis 1,5 g pro kg Körpergewicht. 

Nach der Adipositas-Operation nehmen die Menschen sehr viel Körpergewicht ab, das ist ja auch das Ziel des Eingriffs. Auch Herr Ludwig nahm in den ersten vier Wochen nach der Operation sieben Kilogramm (kg) ab und hatte ein Gewichtsverlust von 18 kg in sechs Wochen. Vor der Operation wurde bei Herrn Ludwig nicht nur zu viel viszerales Bauchfett durch die bioelektrische Impedanzmessung festgestellt, sondern auch ein hoher Muskelanteil gemessen.

Gerade seine Beine hatten viel Muskulatur. Dies ist bei adipösen Menschen nicht unüblich, denn die Beine müssen ja das ganze Gewicht tragen. In der Ernährungsversorgung nach der Operation ist dies unbedingt zu berücksichtigen. Nicht nur die Verträglichkeit der Kost ist entscheidend, wichtig ist auch ein schrittweiser Aufbau des täglichen Eiweißbedarfes, um zu hohen Muskelverlusten vorzubeugen. Und wenn nicht bereits während der Eiweißphase vor der Operation damit begonnen wurde, dann sollte spätestens mit der Entlassung nach der Operation mit der lebenslangen Supplementation (Multivitamine und Spurenelemente) zur Vermeidung einer Mangelernährung begonnen werden.

Gute Aussichten

Herr Ludwig wird mit der Zeit immer mehr verschiedene Lebensmittel vertragen und seine Portionen werden sich mengenmäßig entwickeln. Dafür sind jedoch folgende Verhaltensweisen bedeutsam:

  • Regelmäßige Mahlzeiten einplanen,
  • Langsam essen, gut kauen, sich Zeit nehmen,
  • Aufhören zu essen, sobald ein leichter Druck verspürt wird,
  • Kleine Teller und kleines Besteck verwenden, damit kleine Portionen gegessen werden,
  • Empfohlene Ess-Trink-Pause von 30 min einhalten,
  • Schluckweise trinken und zu Beginn am besten ohne Kohlensäure,
  • Verträgliche Lebensmittel wählen.

Das Beispiel von Herrn Ludwig zeigt, dass sich Patienten rund um eine bariatrische Operation mit sehr vielen Gedanken zum Essverhalten beschäftigen müssen. Dies braucht viel Zeit und Geduld, aber nur so kann der ganze Prozess erfolgreich verlaufen.

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